Billig und fleißig: osteuropäische Pflegekräfte
Deutschen Pflegeheimen ist die Konkurrenz aus dem Osten ein Dorn im AugeMyśliborz/Berlin (n-ost) – Für Joanna Sikorska (Name geändert) endet jedes Arbeitsverhältnis mit einem Tod. Wenn der alte Mensch, den sie monatelang gewaschen, gefüttert und ins Bett gebracht hat, stirbt, fährt sie zurück nach Polen. Dort, in der Kleinstadt Myśliborz an der deutsch-polnischen Grenze, wartet die 50-jährige ausgebildete Krankenschwester auf das nächste Angebot. Irgendeine deutsche Familie, die eine 24-Stunden-Betreuung für den Opa oder die Oma braucht – und zwar schwarz. Während des Wartens erholt sie sich nicht nur körperlich, es ist auch eine Zeit des Abschiednehmens. „Es ist so, als wäre ein naher Familienangehöriger von mir gegangen“.In sechs Jahren hat Joanna Sikorska in acht Familien gelebt. Wo genau in Deutschland, interessiert sie nicht. In der Nähe von Koblenz, irgendwo bei Mainz, dann bei Karlsruhe. Zum Shoppen oder Besichtigen hat sie bei Demenzkranken sowieso keine Zeit. Sie machen sich steif wie kleine Kinder, wenn man sie waschen will. Manchmal muss sie sechs Mal in der Nacht nach dem Kranken schauen – Demenzkranke haben häufig einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus. Liebevoll aber teuer: Altenpflege in einem deutschen Seniorenheim. Foto: Katrin LechlerWie viele osteuropäische Pflegekräfte in deutschen Haushalten tätig sind, weiß Michael Schulz, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenpflege (VDAB) nicht. Doch er weiß, wie sie dorthin kommen: „Ich kenne Autobahnparkplätze, wo die Pflegekräfte getauscht werden oder die Familien ihre Kraft abholen können, um Transportkosten zu sparen.“Für Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste sind diese Frauen eine echte Bedrohung geworden: Sie sind fleißig, häufig gut ausgebildet und unschlagbar billig. 30 Euro verlangt Joanna Sikorska pro Tag für ihre Arbeit, wenn es zwei Personen zu betreuen gibt, kommt sie auf etwa 1200 Euro im Monat. Kost und Logis stellt die Familie.
Für einen ähnlichen Rund-um-die-Uhr-Dienst verlangen Pflegedienste 4000 Euro und mehr im Monat, von denen nur in Härtefällen maximal 1918 Euro von der Pflegekasse übernommen werden. Ein Platz im Pflegeheim ist mit 50 bis 100 Euro pro Tag – je nach Pflegestufe und Komfort – etwas günstiger. Dort ist jedoch eine Pflegekraft für mehrere alte Menschen zuständig und die Pflegebedürftigen müssen ihre vertraute Umgebung verlassen. Pflege ist in Deutschland eine teure Angelegenheit. Viele Familien stehen vor der Wahl, entweder das Ersparte komplett aufzubrauchen und dem Sozialamt auf der Tasche zu liegen, oder sich mit einer osteuropäischen Pflegekraft zu behelfen. Für viele ist sie der Retter in höchster Not. Und trotz der enormen Kosten kommen deutsche Einrichtungen mit den Zahlungen kaum aus: Etwa 16 Prozent der Pflegeheime sind besonders insolvenzgefährdet, hat eine Studie zur Zukunft deutscher Pflegeheime ergeben, durchgeführt vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. 20 Prozent wiesen eine leicht erhöhte Insolvenzgefahr auf. Ein Grund: Durch langfristig geschlossene Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen seien Pflegeheime nicht flexibel. So müssten beispielsweise 50 Vollzeitstellen während eines vereinbarten Zeitraums eingehalten werden, auch wenn die Arbeit mit weniger Personal zu bewältigen sei, erklärt VDAB-Geschäftsführer Michael Schulz. „Einrichtungen, die ordentlich wirtschaften, werden im jetzigen System dafür bestraft“, sagt er. Nicht nur Schwarzarbeiter bringen die Heimleitungen ins Schwitzen. Legale Vermittlungsagenturen erhöhen den Druck auf den deutschen Pflegemarkt. Sie heißen Seniocare oder Europapflege und dürfen seit dem 1. Januar 2004 Pflegepersonal aus Polen, der Slowakei, dem Baltikum oder Tschechien vermitteln. Der Vertrag wird dabei zwischen einem ausländischen Pflegeunternehmen und der Familie in Deutschland geschlossen. Die Pflegekräfte können aufgrund der Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU entweder als sozialversicherungspflichtig Angestellte arbeiten oder auch als Selbstständige. Den deutschen Pflegeeinrichtungen sind diese Kräfte ein Dorn im Auge. Der stellvertretende Bundesvorsitzende des VDAB, Stephan Dzulko, nennt sie Billigpflege und stellt ihre Seriosität in pflegerischer und wirtschaftlicher Hinsicht in Frage. Doch wie bitter nötig Deutschland diese helfenden Hände bald haben wird, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Dieses rechnet mit einem Anstieg der Pflegebedürftigen von derzeit 2,08 Millionen (Stand 2003) auf 2,83 Millionen bis zum Jahr 2020. Vielleicht werden die Ungarinnen, Polinnen und Slowakinnen – fast immer sind es Frauen - in den nächsten Jahren in ihrem eigenen Land gebraucht, denn auch in Osteuropa altert die Gesellschaft. Gleichzeitig beginnt sich die traditionelle Großfamilie, in der die Alten von den Jungen versorgt werden, aufzulösen. Daher gibt es erst seit drei Jahren in Polen und Rumänien den Beruf des Altenpflegers. Schon jetzt entwickelt sich in den östlichen Nachbarstaaten ein Markt für Alten- und Pflegeheime. „Unsere Absolventen sind sehr gefragt“, erklärt Ewa Kordaczuk, Direktorin der Altenpflegeschule „Laurentius“ im polnischen Olsztyn (früher Allenstein in den Masuren). Nur zwei ausgebildete Kräfte sind nach Irland und Großbritannien gegangen. In den Masuren, einer der ärmsten Regionen Europas, verdienen die Altenpfleger nicht schlecht und vor allem: Ihr Beruf hat Zukunft. Legal in Deutschland arbeiten? Joanna Sikorska ist zu misstrauisch gegenüber den Behörden. Wahrscheinlich ist ihr Deutsch auch zu schlecht, um in die Datei einer Vermittlungsagentur aufgenommen zu werden. Mit ihren privaten Arbeitgebern kommt sie dagegen gut zurecht, oft behandelt man sie wie ein Familienmitglied und stellt sie den Nachbarn vor. Wie man über das Gehalt verhandelt, hat Joanna gelernt. Es ist das einzige Einkommen, das sie und ihr arbeitsloser Mann haben. Wenn eine Familie nicht zahlen will, fährt sie halt nach Hause und wartet auf das nächste Angebot. ENDE---------------------------------------------
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