Kroatien

Kroatischer Tourismus: Bilanz mit Fragezeichen

Auf dem Bild sieht man zwei Touristen. Der eine führt einen Zehn-Euro-Schein an der Leine, der andere einen Hunderter, und zudem geben sie einander Ratschläge: „Pass auf, dass der Kleine nicht in der Kneipe verschwindet!“ „Halte den Großen von Restaurants fern!“. So brachte das Zagreber Vecernji List (Abendblatt) die touristische Saison 2006 auf den Punkt: Touristen kamen reichlich nach Kroatien, aber ihre Taschen waren merklich zugeknöpfter.

1.777 Kilometer misst Kroatiens Adria-Küste – 5.835 Kilometer sind es sogar, wenn man die zahlreichen Inseln hinzurechnet. Diese Küste war im alten Jugoslawien eine wahre Goldgrube, die alljährlich von 3,5 Millionen sonnenhungrigen Deutschen, 1,7 Millionen Italienern und ungezählten weiteren Urlaubern alimentiert wurde. Der Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien, von Kroatiens Staatspräsident Franjo Tudjman (1922-1999) um der kroatischen Eigenstaatlichkeit Willen billigend in Kauf genommen, hat diesen Erfolg ins Gegenteil verkehrt. Erst 2005 konnte, nach zwanzig verlustreichen Jahren, ein kleiner Gewinn von 130 Millionen Euro eingefahren werden. Inzwischen trägt der Tourismus 23 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) Kroatiens bei. Bis 2010 soll diese Rate auf 30 Prozent wachsen und der Tourismus 320.000 Menschen Arbeit geben. Wie realistisch ist diese Prognose?

Strandpromenade von Split / Veronika Wengert, n-ost

Die zu Ende gehende Saison 2006 kann diese Frage nicht eindeutig beantworten, obwohl ihre Bilanz auf den ersten Blick imponierend anmutete: Insgesamt 7,9 Millionen Touristen, die meisten aus dem Ausland, urlaubten in Kroatien. Ein Plus von zwei Prozent gegenüber 2005. Ein erster Wehrmutstropfen ist die Zahl von nur 45,3 Millionen Übernachtungen, die Kroatien als Zielland für Kurztrips und Kurzurlauber ausweist. Und das ist bitter für ein Land, das außer Sonne und Meer wenig zu bieten hat, was es für die Weltwirtschaft in Zeiten der Globalisierung interessant machen könnte. Diese Einseitigkeit wird durch neuere hausgemachte Lasten erschwert, die Stanko Ljubic, Direktor der Firma „Globtour“ in Dubrovnik aufzählt: Steuern und Abgaben wachsen ständig und werden an die Gäste „weitergereicht“, der Tourismus ist nicht mehr von der Mehrwertsteuer befreit, staatliche Subventionen für Gruppenreisen wurden gestrichen, die Konkurrenz der touristischen Mittelmeerländer hat sich enorm verstärkt, die um rund 30 Prozent überbewertete kroatische „Kuna“ (1 € = 7,5 Kuna) macht alle Waren und Dienstleistungen unverhältnismäßig teuer – sehr zum Ärger der Touristen: „Ich fürchte, wir haben die Obergrenze dessen erreicht, was wir den Gästen zumuten können“, sinniert Ivo Rudenjak, einer der bekanntesten Hoteliers in Dubrovnik. Einheimische Gäste können kaum noch mithalten: Ein kroatisches Durchschnittseinkommen betrug im Sommer 4.500 Kuna, der preisgünstigste Camping-Urlaub kostete 3.000 Kuna pro Woche (bei mitgebrachten Nahrungsmitteln). 

Im Gefolge dessen haben sich im Tourismusgeschäft Kroatiens gewichtige Umverteilungen bei Gästen, Kapazitäten und Erträgen ergeben. Niko Bulic, Chef des „Hauptamtes der Kroatischen Tourismusbranche“, hat sie im Blick: Traditionell anhängliche Gäste, vor allem Deutsche und Tschechen, kommen deutlich weniger – neue Gäste, Japaner und Nordamerikaner, konnten nur durch aufwändige Werbekampagnen angelockt werden; teure Hotels werden gemieden, Campingplätze bevorzugt (auch wenn diese laut ADAC die teuersten Europas, jedoch qualitativ unterdurchschnittlich sind).

Kroatiens Tourismus, klagte Jurica Pavicic im Zagreber „Jutarnji list“ (Morgenblatt), ist teuer, seine Organisation chaotisch, sein Service schlecht und langsam, seine Gäste werden oft betrogen und gelegentlich von einheimischen Rowdies bedroht. Allein die offiziellen Schätzungen des touristischen Umsatzes für 2006 reichen von 5,9 bis 17 Milliarden Euro. Genaue Zahlen gibt es nicht, da Steuerhinterziehung an der Tagesordnung ist. Darum hat der Staat ein Heer von Inspektoren mobilisiert, die der touristischen „grauen Wirtschaft“ zu Leibe rücken sollen – aber außer Verärgerung bei Touristen, die kurzerhand aus „illegalen“ Unterkünften hinausgesetzt wurden, bislang wenig erreichten. Mehr ist wohl auch nicht „drin“, nachdem nur 20 Prozent aller Touristen in ordentlich angemeldeten und versteuerten Unterkünften weilt.
Hinzu kommen die seit Jahren bekannten Missstände: Dutzende Abwässerleitungen, die direkt neben Stränden ins Meer führen, verstopfte Kanalisation, die zum Beispiel den Stradun, Dubrovniks weltbekannte Prachtstraße, mehrfach unter übel riechende Überschwemmungen setzten, Baustellen in Strandnähe, deren Lärm auch nachts nicht verstummt, tätliche Angriffe auf ausländische Fotografen oder britische Homosexuelle, Wasserknappheit auf den Inseln, überfüllte Autostraßen, überteuerte Parkplätze und vieles mehr.

So darf es nicht weitergehen, sagt Zdenjko Micic, Staatssekretär im Touristikministerium, und kündigte ein Investitionsprogramm von 4,5 Milliarden Euro an, mit dem bis 2012 zahlreiche Hotels von Istrien im Norden bis Prevlaka im Süden auf Vier-Sterne-Glanz poliert werden sollen. Zwölf Millionen Gäste will man beherbergen und zehn Milliarden Euro an ihnen verdienen. Ob daraus etwas wird? „In Kroatien glauben manche an Gott, andere ans Volk und wieder andere an den kroatischen Tourismus“, höhnte vor einigen Jahren ein Wirtschaftsexperte in Zagreb.


Weitere Artikel