Der Hyperrealismus und die kleinen Galerien
Gábor Rieder ist Kunsthistoriker und schreibt für die ungarische Website Artportal und die Kunstzeitschrift Art-magazin. Er beobachtet die ungarische Kunstszene seit Jahren. „In letzter Zeit sind Galerien für zeitgenössische Kunst in Budapest wie Pilze aus dem Boden geschossen“, stellt er fest. Seit mehr als zwei Jahren komme quasi im Zweimonats-Rhythmus eine neue hinzu.
Trotz des regen Treibens seien die Preise für die Kunstwerke aber auf einem niedrigen „Osteuropa-Niveau“ geblieben, erklärt Rieder, der Profit der Galerien sei minimal. Angesichts der Wirtschaftskrise geraten insbesondere kleine Galerien finanziell unter Druck. „Viele werden meiner Ansicht nach dicht machen müssen,“ fürchtet der Kunsthistoriker.
Der Geschmack der Masse
Der Boom der Galerien und die damit einhergehende Verbreitung zeitgenössischer Kunst in Ungarn nahmen zur Jahrtausendwende ihren Anfang. Damals dominierte der Hyperrealismus den Kunstmarkt. Hyperrealismus ist auch für das breite Publikum verständlich und versöhnte offenbar den öffentlichen Geschmack mit der zeitgenössischen Kunst. Auf den Realismus folgten Retro, Pop-Art und Minimalismus, ebenfalls eher eingängige Kunstrichtungen.
„Angesichts des kommerziellen Erfolgs haben sich viele ungarische Künstler diesen populistischen und profitorientierten Stilen voll und ganz verschrieben“, sagt Rieder. Dabei blieb die Originalität mitunter auf der Strecke. Dennoch habe der Galerien-Boom einen frischen Wind in die ungarische Kunstszene gebracht.
Muffige öffentliche Museen
Im Prinzip sei moderne Kunst den meisten Ungarn völlig gleichgültig, meint János Szoboszlai, ebenfalls Kunsthistoriker und Leiter der acb Galerie. Die Ursachen sieht es im Bildungssystem. Kunst und Kunstgeschichte würden in den Schulen vernachlässigt. Daher sehen sich selbst Intellektuelle nicht oft Ausstellungen an.
Die staatlichen Museen spiegeln die periphere Rolle, die zeitgenössische Kunst in der Gesellschaft Ungarns spielt, wider. So hat sich die Nationalgalerie in Budapest in den vergangenen 30 Jahren fast nicht verändert. Moderne Kunst ist hier kaum zu erwarten. Die Nische wird von eben diesen kleinen Sammlungen und privaten Galerien besetzt.
Wohnungsgalerie acb
János Szoboszlais Galerie besteht seit 2003 als Wohnungsgalerie und hat zehn Künstler unter Vertrag. Pro Jahr organisiert er sieben Ausstellungen, in denen neben etablierten auch völlig unbekannte Künstler gezeigt werden. Die Galerie fungiere als wegweisender Partner der Kunstsammler, denen er seine Neuentdeckungen vorstelle, sagt Szoboszlai,. „Es wimmelt nur so von talentierten ungarischen Künstlern.“ Im Ausland seien die jedoch kaum bekannt, und ausländische Sammler investieren nur selten in ungarische Kunst. Das liege vor allem daran, dass es den ungarischen Galerien an Geld fehle, sich im internationalen Kunstmarkt angemessen zu präsentieren, erklärt Szoboszlai.
Um Abhilfe zu schaffen, entwickelten die Budapester Kunsthalle und der Nationale Kulturfonds ein gemeinsames Projekt, das 2008 erstmals aufgelegt wurde: „Visitors“. Sie luden die Direktoren internationaler Kunstmärkte nach Ungarn ein und organisierten Galeriebesuche und Begegnungen Künstler.
Nextart Galerie
Für Orsolya Németh, Leiterin der Nextart Galerie, lohnte sich die Teilnahme an „Visitors“. Sie wurde vom Direktor der Art Cologne prompt nach Köln eingeladen. „Für eine junge Galerie wie die unsere ist das ein riesiger Erfolg,“ schwärmt sie. Die Nextart Galerie wurde erst im Oktober 2007 gegründet.
Derzeit hat die Galerie sieben Künstler unter Vertrag, zehn bis zwölf sollen es noch werden. Für Németh spielt der „menschliche Faktor“ bei der Auswahl der Künstler eine große Rolle. Sie stellt nur solche Bilder aus, die ihr selbst gefallen. „Nur so kann ich gegenüber den Sammlern authentisch sein,“ betont sie. Dabei setzt sie vor allem auf junge Künstler, die am Anfang ihrer Karriere stehen, und zeigt Einzelschauen. Der Katalog, der zu jeder Ausstellung gehört, ist nicht nur in ungarischer, sondern auch in englischer Sprache.
Németh bewertet den ungarischen Kunstmarkt optimistischer als Rieder und Szoboszlai. Die Preise würden kontinuierlich steigen, die Kunstsammler sich der modernen Kunst zuwenden, sagt sie. Die Nextart Galerie versteht sich jedoch nicht nur Vermarkter von zeitgenössischer Kunst, sie hat auch eine pädagogische Mission. Im Rahmen des Programms Elképesztő(„Verblüffend“) führt sie Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren an die moderne Kunst heran. „Wenn die Kinder in der Schule schon nichts über Kunst erfahren, so müssen eben wir sie dafür sensibilisieren“.
Galerie B55
Die Galerie B55 liegt im so genannten Pester Galerienviertel und wurde im April 2008 eröffnet. Leiterin Zsuzsa Csébi erzählt, dass es ein hartes Brot sei, eine Kunstgalerie zu führen. Drei bis fünf Jahre dauere es, bis sie sich etabliert habe. „Will jemand eine Galerie eröffnen, muss er sich vor Augen halten, dass es hier nicht nur um Kunst und Schöngeistigkeit geht“, sagt Csébi, sondern auch um Wirtschaftlichkeit.
So hat sie den Standort strategisch günstig gewählt: Im Galerienviertel findet vier Mal im Jahr die „Nacht der Kunstsammler“ statt, die Treffpunkt für Sammler und Künstler ist. Zwei Mal jährlich lockt darüber hinaus das Straßenfest Falk Art Fórum das breite kunstinteressierte Publikum in die Gegend.
In den großzügigen Räumen der B55 Galerie waren bereits etablierte Namen der ungarischen Kunstwelt zu sehen. Ende 2008 beispielsweise wurden Werke des ungarischstämmigen Malers Sam Havadtoy gezeigt. Havadtoy war lange Jahre Lebensgefährte von Yoko Ono und auf Tuchfühlung mit Kunstgrößen wie Andy Warhol und Keith Haring. In Anbetracht des klingenden Namens sei die Havadtoy-Ausstellung jedenfalls ein großer Erfolg gewesen, sagt Csébi.
Galerie Deák Erika
Auf den ersten Blick deutet nichts an dem grauen Wohnhaus auf eine Galerie hin, erst beim genauen Hinsehen entdeckt man eine kleine Tafel: Deák Erika galéria. Die Wohnungsgalerie gibt es seit zehn Jahren.
Ihr Leiter Pál Tóth hat einen internationalen Schwerpunkt gesetzt. Die Deák Erika Galerie hat insgesamt 14 Künstler unter Vertrag, darunter auch einige Ausländer. Eine Künstlerin, Zsuzsa Moizer, ist inzwischen mit ihren Werken in mehreren deutschen Kunstsammlungen vertreten.
Neben den rund 20 Kunstsammlern, die zur Stammklientel der Galerie zählen, will Tóth künftig vor allem vermögenden jungen Geschäftsleuten die Augen für zeitgenössische Kunst öffnen. „Hat in Ungarn jemand Geld und Kunstsinn, sollte es für ihn eine Verpflichtung sein, für die junge ungarische Kunst Opfer zu bringen“, sagt Tóth.