Ungarn

Gyurcsany bleibt im Amt

Ungarns Premier gewinnt Vertrauensvotum / Hunderttausende fordern Rücktrittvon Thorsten Herdickerhoff  Budapest (n-ost) Der ungarische Premierminister Ferenc Gyurcsany hat am gestrigen Freitag die Vertrauensfrage überstanden. Die links-liberale Regierungsmehrheit stellte sich in einer offenen Abstimmung hinter den umstrittenen Premier, der wegen einer Wahllüge und Sparmaßnahmen stark kritisiert wird. Zuvor hatte sich Gyurcsany dafür entschuldigt, im Wahlkampf verschwiegen zu haben, dass die Staatsfinanzen aus dem "Gleichgewicht" geraten seien. Die Anschuldigung, er habe die Wähler mit falschen Haushalts-Zahlen bewusst betrogen, wies er jedoch zurück.Die Opposition hatte dieses Ergebnis erwartet und bereits im Vorfeld zu einer Großkundgebung am Freitagnachmittag aufgerufen. Ziel der Opposition ist der Regierungswechsel. Um den zu erreichen, setzt sie vor allem auf den Widerstand der Straße. Mehrere Hunderttausend Menschen wurden auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlament erwartet, um die Regierung zum Rücktritt aufzufordern. Parallel dazu blockierten tagsüber Traktoren und Autos im ganzen Land Straßen.Der Unmut der Menschen entzündet sich an der Wahllüge des Premiers und seinem neu aufgelegten Programm zur Konsolidierung des Haushalts. Am 17. September hat der Ungarische Rundfunk eine parteiinterne Rede veröffentlicht, in der Gyurcsany zugibt, die Wähler im April über die desolate Haushaltslage belogen zu haben. Um das erwartete Staatsdefizit von bis zu zehn Prozent zu drücken, will Gyurcsany jetzt entgegen der Wahlversprechen auch Sozialleistungen kürzen. Eine neue Regierung hat Wirtschaftsexperten zufolge allerdings kaum die Möglichkeit, das Programm zu verändern. Der EU-Finanzkommissar Joaquin Almunia etwa sagte, "wer immer in Ungarn regiert, hat keine andere Möglichkeit, als ein Konsolidierungs-Programm wie das jetzige durchzusetzen." Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Fidesz, Viktor Orban, ist anderer Meinung. "Das Haushalts-Defizit muss langsamer gesenkt werden", sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Magyar Hirlap. "Die Menschen können eine vier- bis fünfprozentige Senkung der Reallöhne nicht ertragen", gab er sich volksnah und bot sich gleichzeitig als neuer Premier an.Die Kommunalwahlen letzten Sonntag gaben ihm neue Argumente für sein Bestreben, bald Ministerpräsident zu sein. Die Opposition errang einen überwältigenden Sieg, nun regiert sie in 18 der 19 Komitate Ungarns und stellt in den 23 größten Städten des Landes 16 Bürgermeister. Vorher hatte die Sozialistische Partei des Premiers in 16 Komitaten das Sagen und stellte in den größten Städten 17 Bürgermeister. Insgesamt wählten über 53 Prozent der Menschen den rechts-konservativen Fidesz. Nur 36 Prozent wählten Sozialisten, Liberale und deren Verbündete.Orban will darin einen Volksentscheid über die Regierung sehen, doch Staatspräsident Laszlo Solyom rief ihn auf den Boden der Verfassung zurück. "Das Parlament entscheidet über die Person des Ministerpräsidenten", hob der konservative Präsident hervor. Er empfahl den Abgeordneten zwar indirekt, gegen Gyurcsany zu stimmen, weil der "das Vertrauen in die Demokratie gefährdet hat." Doch bisher steht die Mehrheit im Parlament hinter Gyurcsany. Der will ausdrücklich im Amt bleiben, um die von der EU akzeptierten Reformpläne umzusetzen.*** ENDE*** ---------------------------------------------------------------------------
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