Walhalla für das Volk
Die Oper Breslau bringt Wagners „Ring des Nibelungen” komplett auf die BühneBreslau (n-ost) - Klotzen, nicht kleckern - selten hat die Devise so gut gepasst wie nun zum Saisonauftakt der Oper Wroclaw (Breslau). Das Ensemble spielt vom 6. bis 15. Oktober den kompletten „Ring des Nibelungen”. Erst zum zweiten Mal seit 1945 wird damit Richard Wagners vierteiliger Opernzyklus auf einer polnischen Bühne gezeigt. Mit dem Wagner-Festival will Direktorin Ewa Michnik bewusst an Vorkriegstraditionen anknüpfen: „Wir wollen den Zusammenhang und die Kontinuität zwischen der Arbeit des deutschen und des polnischen Theaters betonen.” Wagner eignet sich dafür besonders gut: 1882 war Angelo Neumann von hier mit einem 150-köpfigen Ensemble aufgebrochen, um den „Ring” in einer Tourneefassung in ganz Europa populär zu machen. Und von 1920 bis 1940 war es Tradition, dass die Breslauer Oper mit dem „Ring” in die Saison startete.Heute will die Oper nicht nur Zuschauer aus Wroclaw und Umgebung anziehen, sondern auch aus ganz Europa - und vor allem aus Deutschland. „Die Breslauer Oper wird immer mehr zu einem Treffpunkt für Opernfreunde - und zu einem Magneten für Besucher von außerhalb”, sagt Helmut Schöps, deutscher Generalkonsul in Wroclaw. Und Hans-Peter Lehmann hofft, der Kulturtourismus könnte zum Bindeglied zwischen den Nationen werden - als „Zeichen der Versöhnung durch die Musik”. Szene aus der "Götterdämmerung" in der Breslauer Inszenierung. Foto: Opernhaus WroclawDer Musikprofessor, der für Regie und Inszenierung des „Rings” verantwortlich zeichnet, ist selbst ein solches Bindeglied. 21 Jahre lang war er Intendant der Hannoveraner Oper. Durch einen intensiven Austausch mit der Oper der Partnerstadt Poznan (Posen) ist er seit Jahrzehnten eng mit dem Kulturleben Polens verbunden. 1999 inszenierte er in Poznan den „Parsifal“ - „das war der erste Parsifal in Polen seit dem Zweiten Weltkrieg“, erinnert er sich. Lange war Wagner, der mit dem Hitler-Regime assoziiert wurde, verpönt. Heute ist das anders: „Es ist eine große Normalisierung eingetreten und damit kam das Interesse. Das ist sicher auch eine Generationenfrage“, sagt Lehmann. Über den Breslauer „Ring“ urteilt die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Hans-Peter Lehmanns Inszenierung ist ein kleines Kunststück: ein seriöses Spektakel, das Wagner-Neulinge nicht überfordert und die Kenner nicht unterfordert.“Stattfinden wird das Festival in der Jahrhunderthalle - das monumentale Bauwerk ist seit Juli 2006 Unesco-Weltkulturerbe. Für Hans-Peter Lehmann ist es der perfekte Ort, um Wagner zu inszenieren: „Diese Halle verkörpert alles, was das 19. Jahrhundert ausmacht.” Bei der ersten Besichtigung habe er sofort an die mythische Ruhmeshalle der gefallenen Germanenkämpfer denken müssen: „Was wollen wir mehr - das ist doch Walhalla!” Die Jahrhunderthalle, 1913 von dem Breslauer Architekten Max Berg gebaut, war mit rund 95 Meter Durchmesser des Innenraums zum Zeitpunkt der Fertigstellung weltweit die größte ihrer Art. Kaiser Wilhelm II. soll der Bau so verstört haben, dass er es bei der Einweihung vorzog, den Saal nicht zu betreten. Steht seit 2006 unter dem Schutz der UNESCO: die gigantische Jahrhunderthalle in Breslau. Foto: Andreas MetzAuf Polnisch heißt das Bauwerk Hala Ludowa - Volkshalle. Und das Volk ist es, das heute die Halle bei Messen, Sportveranstaltungen und Konzerte bevölkert - und eben bei Opernaufführungen. Seit zehn Jahren nutzt die Breslauer Oper die Jahrhunderthalle, um vor Massenpublikum zu spielen. Rund 5 000 Besucher sahen „Carmen”, berichtet der Marketing-Chef der Oper, Marek Pienkowski. Bis zu 3000 können den „Ring” sehen - wegen des Platzes, den die Bühnendekoration einnimmt. Denn was die Halle anderen Spielstätten voraus hat, ist die schiere Größe. Hier haben mehrere Meter lange und breite Kulissen Platz: „In ein normales Theater passt eine so große Dekoration nicht hinein”, sagt Pienkowski. Innerhalb Polens hat sich Wroclaw einen Ruf erworben - mit jungen Künstlern und acht Premieren in der vergangenen Saison. Wo im Land der Takt vorgegeben wird, steht auch für den polnischen Kulturminister außer Frage: „Wroclaw ist die musikalische Hauptstadt Polens”, sagte Kazimierz Michal Ujazdowski, der ankündigte, dass sich der Staat auch weiterhin engagieren wolle - knapp ein Drittel des 16 Millionen Zloty schweren Opernbudgets kommt aus Warschau. Der Rest wird von der Wojewodschaft und der Stadt getragen.Was damit angefangen wurde, kann man sehen. Das Opernhaus an der Swidnicka-Straße erstrahlt in neuem Glanz. Zehn Jahre Bauzeit und 110 Millionen Zloty hat die Sanierung gekostet. Und es gibt Pläne: Inspiriert vom Erfolg der Freiluftaufführungen von Ponchiellis „Gioconda”, die 2003 am Oderufer fast 30 000 Zuschauer fand, will die Oper ab 2007 an der Pergola der Jahrhunderthalle Opern zeigen - und das Sommerfestival in Europas Kulturkalender verankern.
Einziges Hindernis: Die Bühne dafür muss noch gebaut werden. „Wir schaffen das in wenigen Monaten”, sagt Mitarbeiterin Anna Leniart zuversichtlich. Fehlen nur noch die rund drei Millionen Zloty, die der Bau kosten soll. Da bauen die Breslauer auf ihre Mäzene: „Wir halten unsere Versprechen”, hat Kulturminister Ujazdowski gesagt.Infokasten:Termine: „Das Rheingold“, 6. Oktober, 19 Uhr; „Walküren“, 7. Oktober, 19 Uhr; „Siegfried“, 13. Oktober, 17 Uhr; „Götterdämmerung“, 15. Oktober, 16 Uhr. Alle Aufführungen finden in der Jahrhunderthalle (Hala Ludowa) statt.
Mitwirkende: Musikalische Leitung: Ewa Michnik; Dirigent: Tomasz Szreder; Inszenierung und Regie: Hans-Peter Lehmann
Service: Karten gibt es beim Zuschauerservice der Breslauer Oper unter 0048-71-370-88-80. Kontakt per E-Mail: opera@opera.wroclaw.pl.
Ausstellung: Im Anschluss an die „Rheingold“-Ausstellung wird im Foyer der Jahrhunderthalle eine Ausstellung eröffnet. Der in Berlin lebende argentinische Künstler Mariano Rinaldi Goñi zeigt unter dem Titel „Walküren“ 50 Werke, die sich mit weiblicher Macht und Erotik beschäftigen. 2007 soll sie während der Bayreuther Festspiele im Schloss Goldkronach gezeigt werden. Informationen im Internet: www.wroclaw.opera.plEnde----------------------------------------------------------------
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