27 Jahre für „Mister No“
Das politische Porträt eines serbischen KriegsverbrechersAm 27. September verurteilte das Haager Tribunal (ICTY) Momcilo Krajisnik, nach Milosevics Tod „ranghöchster“ unter knapp 30 serbischen Angeklagten, zu 27 Jahren Haft. Das Ex-Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums nahm das Urteil unbewegt hin - alt geworden, geradezu zerknittert, selbst die schwarzen Augenbrauen ergraut. War er wirklich „eine der übelsten Typen der Region, ein Rassist, Separatist und Kriegsverbrecher“? So hatte ihn Richard Holbrooke, Präsident Clintons Friedensstifter in Bosnien, 1995 charakterisiert. Drei Jahre später veröffentliche Holbrooke seine Erinnerungen „To end a war“, auf deren 600 Seiten Krajisnik nur viermal erwähnt ist – ganz nebenher, wie ein nichtssagender Beisitzer.Holbrooks divergierende Wahrnehmung Krajisniks ist signifikant für diesen Mann, dem offenkundig nicht einmal das ICTY selber die Verbrechen zutraute, die es in der Anklage so akribisch aufgelistet und in einem langen Prozess zu beweisen suchte. Den schwersten Anklagepunkt, „Beteiligung am Völkermord an Muslimen und Kroaten“, hatte das Gericht überraschend fallen gelassen, „wegen Mangels an Beweisen“, womit die ansonsten unumgängliche lebenslange Haftstrafe vermieden wurde. Es blieben „Mord, Vertreibung, Vernichtung, Depor¬tation und gewaltsame Aussiedlung“, alle begangen in Bosnien zwischen dem 1. Juli 1991 und dem 30. Dezember 1992. Verbrecherisches GruppenunternehmenNatürlich hat Krajisnik persönlich kein Verbrechen begangen, aber eine Schlüssel¬rolle bei den Ereignissen gespielt. Damit trafen auf ihn die zwei Rechtsgrundsätze zu, die das ICTY von den Kriegsverbrecherprozessen 1946/47 in Nürnberg und Tokio übernommen hat: „Commands responsibility“ (Verantwortung des Befehlshabers) und „Joint criminal enterprise“ (verbrecherisches Gruppenunternehmen). Die jetzige Strafe für Krajisnik war wohl eher Karadzic und Mladic zugedacht, aber ein Befehlshaber mit kriminellen Neigungen ist Momcilo Krajisnik zeitlebens gewesen.
Am 20. Januar 1945 wurde er in dem Dorf Zabrdje geboren, früher ein Vorort Sarajevos, später dessen Stadtteil „Railovac“, wo die Bundeswehr seit Jahren ihr zentrales „Feldlager“ unterhält. In Sarajevo studierte er Ökonomie und promovierte in diesem Fach. 1968 kam er in die Finanzabteilung des Konzern „Energoinvest“, wechselte aber 1975 zu dem Werk „Termo-Apparate“ (TAT) über. Er wurde Vizechef der Wirtschaftsabteilung, was einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkam. Die TAT arbeitete höchst ertragreich mit sowjetischen Kernkraftwerken zusammen, was sie zu einer der reichsten Firmen Jugoslawiens machte. Dabei flossen auch illegale Gelder, zumeist in Krajisniks Taschen, der davon zwei Häuser baute – für sich und seinen Freund Radovan Karadzic, mittlerweile der meistgesuchte Kriegsverbrecher Bosniens. Ende 1984 flog die Sache auf, Krajisnik und Karadzic wanderten für neun Monate ins Gefängnis.SpitzennameKrajisnik war niemals Mitglied in Titos „Bund der Kommunisten“ (SKJ); daran hinderte ihn seine Anhänglichkeit an die Serbische Orthodoxe Kirche, deren Nationalismus er schon früh verinnerlicht hatte. „Wie schön ein komplett serbisches Bosnien wäre“, hatte er schon als junger Mann geträumt, und 1990 gehörte er zu den Gründungsvätern von Karadzics „Serbischer Demokratischer Partei“ (SDS), in deren Auftrag er nach den ersten Mehrparteien-Wahlen 1990 Parlamentspräsident Bosniens wurde. Aus Protest gegen das bosnische Unabhängigkeitsreferendum trat er kurz darauf zurück, alle serbischen Abgeordneten folgten ihm. In dem 1991 ausbrechenden Krieg bemühte sich das Mörder-Trio Karadzic-Mladic-Krajisnik, alle die nord- und ostbosnischen Regionen ethnisch zu säubern, die sie für ihre „Republika Srpska“ (RS) beanspruchten. Dabei kam es zu den zahllosen Verbrechen, für die Krajisnik jetzt verurteilt wurde, da er als Präsident des Parlaments der RS und Mitglied ihres Obersten Verteidigungsrats (VSO) größte Machtfülle besaß.
Der bosnische Krieg endete im August 1995 mit US-Bombardements auf serbische Stellungen. Zu den ersten Opfern gehörte Krajisniks Ehefrau Milanka, die auf dem Weg ins Krankenhaus verblutete. Im November 1995 trafen sich die Kriegsparteien in Dayton (Ohio), wo Milosevic für alle Serben, auch die aus Bosnien, sprach, aber Krajisnik zu seiner Delegation gehörte. Dessen sture Ablehnung aller Vorschläge trug ihm den Spitznamen „Mister No“ ein, doch Krajisnik wurde auch zum Ja-Sager, wenn Geld und Macht winkten: Bereits 1996 war er, der Dayton-Bosnien nie anerkannte, neben dem Muslim Alija Izetbegovic und dem Kroaten Kresimir Zubak drittes Mitglied des Staatspräsidiums Bosnien-Hercegovina. "Ein Fehlurteil"Gleichzeitig unterhielt er profitable Kontakte zum Serbien des Slobodan Milosevic. Mit dessen Vertrauten Nikola Sajnovic handelte er 1996 einen Geheimvertrag über 106 Millionen D-Mark aus. Mit diesem Geld sollten 29 serbische Firmen aus kroatisch-muslimischen Föderation, der zweiten Entität von Dayton-Bosnien, in die RS geholt und in der neuen Stadt „Serbisch-Sarajevo“ angesiedelt werden. Daraus wurde nichts, auch von dem versprochenen Geld tauchten nur 57,5 Millionen auf – der Rest landete bei Krajisnik und seinen Genossen. Politisch war er abgemeldet: Sein einstiger Mentor Karadzic war auf der Flucht, seine einstige Kameradin Biljana Plavsic war als neue RS-Premierministerin zu seiner erbitterten Gegnerin geworden, seinen Präsidiumsposten verlor er 1998 an den gemäßigten Zivko Radicic, nur zu Milosevic hatte er als Chef der „Gemischten Kommission für Sonderbeziehungen zu Serbien“ einen guten Draht.
Im Morgengrauen des 3. April 2000 verhafteten französische SFOR-Soldaten Krajisnik in seinem Elternhaus in Pale, 12 Kilometer östlich von Sarajevo, und führten ihn in Handschellen und Pyjama ab. Vier Tage später stand er vor dem ICTY, verwarf alle Anklagepunkte und beteuerte seine Unschuld. Er wisse von „keinem Verbrechen“, sei über nichts informiert worden, nur einmal habe er die serbischen Lager Omarska und Keraterm besucht und sei „schockiert“ gewesen. Als Verteidiger wählte er Dejan Brasic, einen Serben aus den USA, dem aber wegen Mandantenbetrugs die Approbation entzogen wurde. Als 2002 Krajisniks 84-jähriger Vater Sretko starb, gewährte ihm das ICTY keinen Hafturlaub, um am Begräbnis teilzunehmen.
Noch Anfang September gab sich Krajisnik in seinem Schlusswort vor dem Tribunal uneinsichtig: „Sie haben genügend Beweise gehört und gesehen, die alle Anklagepunkte gegen mich widerlegen. Ich erwarte einen Freispruch, denn alles andere wäre ein Fehlurteil“. Das Gericht sah es anders – zur Erleichterung Belgrads ohne den Anklagepunkt Völkermord, der das ohnehin angespannte Verhältnis Serbiens zum ICTY weiter belastet hätte. Jetzt können die im Frühjahr unterbrochenen EU-Beitrittsver¬hand¬lungen wieder aufgenommen werden. Für Krajisnik bleibt nur ein Trost: Die Untersuchungshaft und Prozessdauer von zusammen 2.369 Tagen werden auf die 27 Jahre Haftstrafe „angerechnet“. Das macht immerhin sieben Jahre weniger aus.
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Wolf Oschlies
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