Wieder sind die Medien schuld
Jaroslaw Kaczynski kritisiert die Autoren, die den PiS-Stimmenkauf gefilmt haben
WARSCHAU (n-ost). Es hat eine gewisse Ironie, dass der polnische Premierminister Jaroslaw Kaczynski ausgerechnet wegen eines Fernsehberichts sein Amt verlieren könnte. Ausgerechnet jener Politiker, der seinen vorgeblich moralischen Zielen der „IV. Republik“ alles unterordnet, was sich die noch junge Demokratie an Freiheiten erarbeitet hat. Und dazu gehört auch die Meinungs- oder Pressefreiheit. Es ist, als wäre für Kaczynski nur ein patriotischer Journalist ein guter Journalist - einer, der bei Ausübung seiner Arbeit die rot-weiße Schere schon im Kopf hat. Also niemand der beiden Autoren des TVN-Magazins „Teraz My“ (Und jetzt wir), Tomasz Sekielski und Andrzej Morozowski, über deren bewegte Bilder aus dem Hotelzimmer der Abgeordneten Renata Beger (Samoobrona) sich die ganze Welt inzwischen räuspert. Weil sie zeigen, wie der Kanzleichef des Premiers versucht, eine oppositionelle Abgeordnete zu kaufen, und der Zuschauer aus dem übertragenen Wortlaut schließen kann, dass die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) in diesen Tagen der Mehrheitssuche viele derartige Gespräche führt.Geheimdienste und SpezialeinheitenDie Reaktion Kaczynskis heißt wieder mal „Angriff“. Ohne sie beim Namen zu nennen, sieht er die beiden Autoren als Teil eines „Netzwerks“ von Vaterlandverrätern, die sich gegen ihn und damit „gegen Polen“ richten. Kaczynski sucht Schuldige, auch bei den Medien, und lenkt geschickt vom eigentlichen Thema ab. Der Fraktionschef der PiS im Sejm, Marek Kuchcinski fordert deshalb einen Untersuchungsausschuss, um noch weiter vom eigentlichen Problem der verkommenden politischen Gepflogenheiten wegzuführen. Er unterstellt, dass sich die beiden Journalisten fremder Hilfe bedient haben. Das Wort „Geheimdienst“ macht die Runde. „Wir haben es hier mit dem Tatbestand des Gebrauchs technischer Hilfsmittel zu tun, für dessen Anwendung es einer Spezialeinheit bedarf, und das auf parlamentarischem Gebiet (das Hotelzimmer liegt in einem Abgeordnetenkomplex, Anm. der Redaktion).“ Die Angesprochenen reagieren in einer Mischung aus korrekter Sachlichkeit und Ironie: „Auf unserer Seite steht weder irgendein Netzwerk, noch eine Spezialeinheit“, so Sekielski. Man habe sich lediglich einer kleinen digitalen Kamera des Senders TVP bedient – und das mit bestimmter Motivation. „Wir haben in die Küchen gebracht, wie der parlamentarische Markt um die Mehrheit funktioniert“. Es bleibt die Frage, ob sie ihrerseits dafür den Preis hätten zahlen dürfen, vom Beobachter zum Teilnehmer zu werden. Denn sie waren es, die sich die Geschichte ausgedacht und die Abgeordnete Renata Beger als Mitspielerin gewonnen haben. Das stößt auch unter einigen Journalisten in Warschau auf Kritik, gegen die sich Andrzej Morozowski wehrt: „Es widerspricht wohl kaum der journalistischen Ethik, wenn man Politikern auf die Finger haut“. Viele Patrioten in Polen sehen das anders; einige schimpfen selbst in der interaktiven Talksendung „Sklo kontaktowy“ (Kontaktlinse) beim Nachrichtensender TVN24 auf diese Methode. Immerhin will ein Zuschauer auch gerne zum Teilnehmer werden. Per SMS schrieb er auf den Bildschirm: „Renata, gib mir deine Zimmernummer, ich will auch ins Fernsehen“.Ende--------------------
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