Bosnien-Herzegowina

Drei nationalistische Sieger erwartet

Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Bosnien-HerzegowinaSarajewo (n-ost) – Bosnien-Herzegowina ist seit dem Abschluss des Dayton Friedensabkommens Ende 1995 in zwei Teilrepubliken gegliedert: die so genannte Bosniakisch-Kroatische Föderation und die Serbische Republik. Der Streit um diese Aufteilung ist es, die den Wahlkampf vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag prägt. Milorad Dodik, Regierungschef der Serbischen Republik und Vorsitzender der "Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten" (SNSD), hatte in den letzten Wochen immer wieder laut über ein Referendum zur Abspaltung der Serbischen Republik vom Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina nachgedacht. Wenn das Kosovo unabhängig werde, so Dodik mit Rückendeckung aus Belgrad, könne die Serbische Republik dieselben Rechte geltend machen. Dodik weiß, dass die große Mehrheit der bosnischen Serben ihn in diesem Ansinnen unterstützt. Die hervorragenden Umfragewerte für die SNSD bestärken ihn. Doch mit seinen Aussagen hat der Regierungschef harsche Kritik der nicht-serbischen Parteien auf sich gezogen. Auch der mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, der ehemalige deutsche Postminister Christian Schwarz-Schilling, drohte Dodik letzte Woche damit, ihn seines Amtes zu entheben und von der Kandidatenliste für die Parlamentswahlen zu streichen, falls er mit dieser "aufhetzenden Rhetorik" nicht aufhöre.KompromisslosDodiks einflussreichster Gegenspieler ist Haris Silajdzic, Präsident der "Partei für Bosnien-Herzegowina" (SBiH) und Kandidat für den bosniakischen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium. Silajdzic, ehemaliger Außen- und Premierminister, tritt kompromisslos für einen einheitlichen bosnisch-herzegowinischen Staat und die Abschaffung der beiden im Dayton-Abkommen festgeschriebenen Teilrepubliken ein. Nur so könne die durch den Krieg geschaffene ethnische Trennung des Landes, das heute etwa vier Millionen Einwohner zählt, überwunden werden. Es war auch die SBiH, die im April eine Verfassungsreform mit der Begründung scheitern ließ, die Reformen gingen nicht weit genug. So werde die auf Vertreibung und Gewalt basierende Teilung des Landes nur zementiert. Gleichzeitig sieht sich Silajdzic als Vertreter der Bosniaken (bosnische Muslime) – und macht damit der vom verstorbenen ersten Staatspräsidenten Alija Izetbegovic gegründeten "Partei der Demokratischen Aktion" (SDA) Konkurrenz. Wahlplakate in Sarajewo kündigen die Wahlen an. Foto: Norbert RütscheDie bosnisch-serbischen Parteien wollen ihren "Staat im Staat" aber auf keinen Fall aufgeben. Dies sei der wahre Grund, warum Dodik mit einem Referendum gedroht habe, sagt Gajo Sekulic (68), Professor für politische und gegenwärtige Philosophie an der Universität von Sarajewo. "Dodik möchte in Wirklichkeit keine Abspaltung der Serbischen Republik, aber er will ein klares Bekenntnis der Internationalen Gemeinschaft zum Dayton-Vertrag – und damit zur Zweiteilung des Landes". Dodik scheint sein Ziel erreicht zu haben, denn auf seine Sezessions-Rhetorik reagierten ausländische Diplomaten stets mit dem Verweis auf das Dayton-Abkommen, in dem sowohl die Grenzen von Bosnien-Herzegowina als auch die innere Organisation des Staates festgelegt sind."Zwang zum Nationalismus"Der Streit rund um das Referendum in der Serbischen Republik hat die Gräben in der bosnisch-herzegowinischen Politik weiter vertieft: Sie verlaufen meist scharf zwischen den Volksgruppen der Bosniaken (zirka 48 Prozent der Bevölkerung), Serben (37 Prozent) und Kroaten (14 Prozent). Laut Umfragen werden die ethnonationalistischen Parteien denn auch als klare Sieger aus den Wahlen hervorgehen. Ihr "Programm" ist die Vertretung der Interessen der jeweiligen Volksgruppe. Gajo Sekulic erklärt dies einerseits mit der "Erfahrung des grauenhaften Krieges, die einen normativen Zwang zum Nationalismus" geschaffen habe. Andererseits kritisiert er die aktuelle bosnisch-herzegowinische Verfassung, die das "Denken und Handeln in nationalistischen Dimensionen fördert. Bei jeder politischen Entscheidung stellt sich die Frage: Was nützt oder schadet dies meiner Volksgruppe?" Zudem würden die religiösen Führungspersönlichkeiten den Nationalismus fördern. Die einzige einflussreiche politische Partei, die versucht, sich aus dem nationalistischen Korsett zu befreien, ist die Sozialdemokratische Partei (SDP) von Zlatko Lagumdzija. Sie tritt für soziale Sicherheit und eine möglichst rasche Annäherung an die Europäische Union ein. Mit Zeljko Komsic hat die Partei einen aussichtsreichen Kandidaten für den kroatischen Sitz im Staatspräsidium aufgestellt. Er wolle ein Präsident für alle Bürger des Landes sein, nicht nur für die Kroaten, sagte Komsic im Wahlkampf immer wieder. Damit hat er prompt die Kritik der kroatisch-nationalistischen Parteien auf sich gezogen, die Komsic mehrmals zum Rückzug seiner Kandidatur aufforderten. Sie werfen ihm vor, als SDP-Mann kein "guter, richtiger Kroate" zu sein.Mangelnde ReifeFür Dennis Gratz, einen 28jährigen Rechtsanwalt aus Sarajewo, sind die bevorstehenden Wahlen die wichtigsten in der Geschichte des jungen Staates. Nach dem 1. Oktober gehe es darum, endlich die dringend notwendige Verfassungsreform durchzubringen, um die gesamtstaatlichen Institutionen zu stärken. "Sind die Gewählten dazu nicht fähig oder willens, verpasst die Region den Anschluss an Europa, und es kann ein neuer gefährlicher Brandherd entstehen." Die Botschaft aus Brüssel an Bosnien-Herzegowina, wo 7000 EUFOR-Soldaten aus 33 Ländern stationiert sind, ist klar: Ohne Reformen wird es kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union geben. Damit würde das Land auf dem von fast allen Parteien im Wahlkampf eifrig propagierten "Weg nach Europa" keinen Schritt vorankommen. Zu den erforderlichen Reformen gehört in erster Linie die Polizeireform, mit der eine gesamtstaatlich organisierte Polizei geschaffen werden soll. Bis heute hat sich die Serbische Republik gegen diesen Schritt gewehrt und will die Kommandogewalt über ihre Polizeikräfte nicht abgeben.Obwohl Dennis Gratz hofft, dass sich nach den Wahlen etwas zum Positiven ändert, ist er pessimistisch: "Unsere Politik wird von inkompetenten Menschen – seit 15 Jahren dieselben Gesichter – bestimmt. Ich kenne keinen Politiker, der wirklich Konzepte vorweisen kann, wie das Land für die nächsten fünf bis zehn Jahre regiert werden soll. Im Wahlkampf hörte ich nur unbrauchbare Slogans wie 'Für die Gerechtigkeit' oder 'Wähle das Beste'." Die mangelnde Reife der bosnisch-herzegowinischen Politiker, ihr Land zu führen, beklagt auch der Politphilosoph Gajo Sekulic. Er hält deshalb eine Schließung des Büros des Hohen Repräsentanten, wie sie auf Mitte des nächsten Jahres angekündigt wurde, weder für klug noch für realistisch. Christian Schwarz-Schilling deutete bereits an, dass es möglicherweise zu einer Verschiebung kommen könnte, falls bis im Februar weder das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet noch wichtige Reformen beschlossen seien.INFOKASTENWahlen erstmals ohne internationale Beteiligung2,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind am Sonntag aufgerufen, das Abgeordnetenhaus (42 Sitze) sowie die Mitglieder des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina neu zu wählen. Seit dem Friedensabkommen von Dayton bilden je ein Vertreter der bosniakischen, der serbischen und der kroatischen Volksgruppe gemeinsam das Staatspräsidium. Dessen Vorsitzender wechselt nach dem Rotationsprinzip alle acht Monate. Ebenfalls werden die Parlamente der Föderation (140 Sitze) sowie der Serbischen Republik (83 Sitze) bestellt. Die Stimmberechtigen in der Föderation wählen zudem die zehn Kantonsparlamente neu, in der Serbischen Republik stehen der Republikspräsident und seine beiden Stellvertreter zur Wahl. Insgesamt sind auf den Wahllisten die Namen von über 7200 Kandidierenden zu finden, davon gut 36 Prozent Frauen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist am Sonntag mit 220 Wahlbeobachtern im Land präsent. Erstmals in der Geschichte des jungen Staates organisieren die bosnisch-herzegowinischen Behörden die allgemeinen Wahlen komplett selbständig und ohne internationale Mitglieder in der Wahlkommission.*** ENDE ***

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