Schlechte Nachricht für „Die Nachrichten“
Regierung attackiert polnische Tagesschau
WARSCHAU (n-ost). Nicht erst seit dem Koalitionsbruch der polnischen Regierung dieser Tage werfen die Kritiker von Jaroslaw Kaczynski dem Premierminister und Vorsitzenden der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ Intoleranz und Streitsucht vor. Die rechtsliberale politische Oppositionspartei PO (Bürgerplattform) hat deshalb nun eine Kampagne gegen die Aggressivität in der Politik gestartet, die sie einfach nur „Razem“ (Zusammen) nennt, „um an das den Polen eigene Harmoniebedürfnis“ zu erinnern. Jaroslaw Kaczynski liegt das wohl fern. Denn nach seiner Kampagne gegen deutsche Korrespondenten in Warschau, die seiner Meinung nach Schuld am schlechten Bild seiner Regierungspolitik im Ausland sind, wendet er sich nun auch gegen das eigene staatliche Fernsehen TVP. Und das, obwohl er mitten in einer Regierungskrise steckt und aus den Scherben der von ihm zerbrochenen Koalition nun eine neue Regierungsmehrheit kitten muss.Heftig angegriffenIn einem Interview mit der Zeitung „Zycie Warszawy“ sagte Kaczynski, dass ihm die Hauptnachrichten (Wiadomosci) im staatlichen polnischen Fernsehen TVP nicht gefielen, weil seine Regierung dort zu stark kritisiert würde. Auch aus diesem Grund werde er den TVP-Intendanten Bronislaw Wildstein nicht weiter vor den Angriffen anderer, noch weiter rechts stehender, Parteien schützen. Die rechtsradikale Koalitionspartei LPR (Liga der polnischen Familien) hat Wildstein bereits den 28-jährigen ehemaligen Neonazi und Fußballhooligan von Widzew Lódz, Piotr Farfal, als Stellvertreter und Aufpasser zur Seite gestellt. Erst im Mai diesen Jahres wurde der konservative Publizist Wildstein von der PiS – die im Aufsichtsgremium des Senders die Mehrheit besitzt - auf diesen Intendantensessel gesetzt, vor allem, um die Entfernung von Kommunisten in dem Sender voran zu treiben. Diese „Säuberung“ der polnischen Gesellschaft ist ein Hauptanliegen der PiS beim Aufbau ihrer so genannten „IV. Republik“. Der PiS-Vorsitzende wendet sich nun aber ab von TVP: „Es ermüdet mich, dass ich einerseits ständig für meine angebliche Parteinahme für TVP angeklagt werde, mich das Fernsehen aber andererseits heftig angreift“. Damit bezog er sich zuletzt auf die TVP-Berichterstattung über Polens kommenden Afghanistan-Einsatz. Kaczynski hatte US-Präsident George Bush bei einem Besuch in Washington in der vergangenen Woche zugesichert, dass Polen sich an der NATO-geführten Schutztruppe ISAF schon bald mit 1000 Soldaten beteiligen werde. Bislang unterhält Polen erst ein größeres Militärkontingent - im Irak, wo es eine eigene Sicherheitszone kontrolliert.Ehrenvolle ZieleDie meisten polnischen Medien haben mit Ablehnung auf den angekündigten Afghanistan-Einsatz reagiert, sogar viele der eher regierungstreuen Redaktionen und eben auch TVP. Jaroslaw Kaczynski bezeichnete einen entsprechenden Bericht in der TVP-Nachrichtensendung „Wiadomosci“ (Die Nachrichten) als „künstliche Affäre“, die gegen ihn lanciert worden sei. Und prompt standen ihm einige im Sender zur Seite: So etwa Janusz Niedziela, der seinen Posten als Geschäftsführer des TVP-Aufsichtsrates der PiS zu verdanken hat. „Ich habe den Eindruck, dass sich die Tendenz durchsetzt, eine eigene Wirklichkeit zu kreieren. Es sieht mir danach aus, dass die Regisseure (der „Wiadomosci“, Anm. der Red.) den Premierminister nicht besonders mögen, dagegen andere Politiker viel wohlwollender behandeln“. Niedziela bezog sich damit auch auf die Live-Berichterstattung aus Washington, wo der Premierminister angeblich unvorteilhaft ins Bild gerückt wurde. Er stand dort gemeinsam mit einem TVP-Reporter vor der Kamera, der fast zwei Köpfe größer ist als der polnische Premierminister. Gegen die Kritik wendet sich Redaktionsleiter Radoslaw Rybinski: „Das sind doch absurde Vorwürfe – darauf werde ich gar nicht reagieren. Unsere Aufgabe ist es, die Wirklichkeit abzubilden – wir schaffen sie ja nicht erst“. Auch Intendant Bronislaw Wildstein, der seit Wochen in der Kritik steht, wendet sich gegen die Regierungsvorwürfe. In einem Interview mit der Tageszeitung „Dziennik“ sagte er: „Politiker behandeln die Medien immer nur zu einem fürchterlichen Eigennutz. Und im Augenblick glauben einige wohl, dass ihre ultranoblen Motive allgemein gültig sind“.Ähnlich äußerte sich der Berlin-Korrespondent der liberalen „Gazeta Wyborcza“, Bartosz Wielinski, im Gespräch mit dieser Zeitung: „Wiadomosci“ sind Nachrichten und sie bemühen sich um so viel Objektivität als möglich. Denn noch nicht alle Journalisten in Polen sind Sklaven der Regierung. Dagegen tritt Kaczynski wie ein Inquisitor auf: Er strebt nach ehrenvollen Zielen – nach seinen Maßstäben – und ordnet dem Streben danach alles unter, wobei ihm die Folgen seines Handels egal sind“. Die Reaktion Kaczynskis, sowohl auf die deutschen Berichterstatter als auch auf die Hauptnachrichtensendung des polnischen Fernsehens, überrascht Wielinski nicht. „Er reagiert ja immer sauer, wenn die Medien schlecht über ihn berichten. Sogar Bronislaw Wildstein ist immer dann unter Druck, wenn TVP kritisch über die Regierung berichtet“. Seit einiger Zeit schon wird offen über Wildsteins Nachfolge spekuliert: Malgorzata Raczynska, Programmchefin bei TVP 1, besäße bereits die Unterstützung der beiden Brüder Kaczynski; möglicherweise wirbelt die Regierungsumbildung aber das Aufsichtsgremium des Senders wieder durcheinander.Ende
------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Das marktübliche Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors.Olaf SundermeyerBelegexemplare bitte UNBEDINGT an die folgende Adresse:
n-ost
Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.
Matthias Echterhagen / Andreas Metz
Schillerstraße 57
10627 Berlin