Zum Verkauf geboren
Handel mit Babys von Prostituierten
WARSCHAU (n-ost). Anna sieht gar nicht aus wie eine Prostituierte, eher wie eine Abiturientin mit ihrem rot-weiß-geringeltem T-Shirt und einem Freundschaftsband am Handgelenk. Keine Schminke, kein Nagellack, den nussbraunen Pferdeschwanz unter einer weißen Baseballkappe. „Das sind keine Menschen, das sind Monster“, schluchzt sie mit zitternder Stimme in sich hinein. Anna ist bislang die erste öffentliche Zeugin im Fall der polnischen Mädchenhändler, die in den vergangenen drei Jahren Kinder polnischer Prostituierter nach Deutschland verkauft haben sollen. In dieser Woche wurden bei Poznan in Westpolen vier Männer im Alter von 21 bis 39 Jahren festgenommen, nachdem sich eine dieser Prostituierten an die Polizei gewandt hatte. Bei der ermittelnden Sonderpolizei CBS, einer polnischen Bundespolizei nach dem Vorbild des US-amerikanischen FBI, ist bereits von einer „Baby-Farm“ die Rede.Auch Anna ist durch die Hände dieser Männer gegangen, wenngleich ohne schwanger zu werden. Ihre Geschichte erzählt sie im polnischen Fernsehen. Den Hauptverdächtigen, den 39-jährigen Janusz T., hätte sie „in irgendeiner Bar“ kennen gelernt. Zuerst habe er ihr einen Job angeboten, als Kellnerin, wie sie glaubte. „Ich dachte, keinen anderen Ausweg zu haben, weil ich große Angst vor Janusz hatte“. Ausweg vor dem Vorschlag, den Janusz T. bereits am ersten Tag nach ihrem Kennen lernen machte: Anna solle anschaffen gehen.Mal für 20, mal 30 EuroJanusz T. ist groß und kräftig, ein bulliger Typ, wie sie in Polen vor den Spelunken stehen. Bei seiner Festnahme im grauen Kapuzenpullover wird er mit auf dem Rücken zusammen gebundenen Händen von Sonderpolizisten mit schwarzen Gesichtsmasken abgeführt. Janusz T. hat eine Glatze; hier ist das ein Zeichen für Stärke und Männlichkeit. Irgendwo an der stark befahrenen Landstraße zwischen Swiecko an der deutschen Grenze und Poznan, der Hauptstrecke für Lastwagen im Transit, zwingt er Anna, auf den Strich zu gehen. Hier, an der E 30, stehen die Mädchen dicht neben vorbeidonnernden Lkws und warten. Hält einer an, geht es für ein paar Minuten auf den nächsten Parkplatz. Nach dem Geschäft springen die Mädchen wieder aus dem Wagen, und es geht wieder auf der anderen Straßenseite zurück - hin und her, den ganzen Tag, mal für 20, mal 30 Euro. Ein paar Monate ist Anna dabei, dann will Janusz T. richtiges Geld mit ihr verdienen. In Deutschland, in einem ordentlichen Bordell. „Na ja, ich habe gedacht, dass ich dort mehr Geld verdienen kann, und zum Anschaffen hatte er mich ja ohnehin gezwungen, dann besser weg von der Straße“. Mit ihr schaffte Janusz T. und seine drei mutmaßlichen Mittäter auch andere Frauen nach Deutschland, die genaue Zahl ist noch ungewiss. „In Deutschland durften wir niemals das Haus verlassen. Wir haben uns immer nur mit den Freiern und dem Eigentümer des Bordells getroffen, die dann mit uns gemacht haben, was ihnen gefiel“. Anna verliert ihre Stimme. „Am liebsten will ich gar nicht darüber reden“. Organhandel oder PädophileDiejenigen, bei denen das Geschäft nicht so gut lief, mussten zurück nach Polen. „Einige wurden an andere Banden verkauft, danach hatten sie dann noch eine bessere Idee.“ Die Mädchen seien mit Gewalt geschwängert worden, sagt Anna. Oder man habe sie einem Freier überlassen, der das besorgte, damit sie dann anschließend die Kinder verkaufen konnten. „Ich weiß nicht, wie viele Kinder auf diese Weise auf den Markt kamen, auf jeden Fall waren es viele, die das Bordell mit dicken Bäuchen verlassen haben“. Was dann mit den Kindern passiert ist? „Ich weiß es nicht“. Anna kennt nur Gerüchte. „Ich habe gehört, dass sie in den Organhandel kamen oder in die Hände reicher Pädophile. Die beste Version war immer noch die, dass die Babys einfach zur Adoption frei gegeben wurden. Diese Monster haben damit wohl wahnsinnig viel Geld verdient. „Wir waren doch alle von ihnen abhängig, weil sie uns sonst geschlagen oder weiterverkauft hätten“. Irgendwann jedoch konnte Anna fliehen. Nun wird sie als Zeugin im Verfahren gegen die Menschenhändler aussagen. Der CBS hat ein halbes Jahr ermittelt, bevor die vier Männer festgenommen wurden. Unterdessen melden sich bei der Polizei in Poznan immer mehr geschädigte Mütter, die nun allesamt unter Polizeischutz stehen. „Der Fall zieht immer größere Kreise“, sagte eine Polizeisprecherin. Zusammen mit ihren deutschen Kollegen wollen die CBS-Ermittler nun die Kinder von der polnischen „Baby-Farm“ suchen.Ende--------------------
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