Rumänien

„Mehr deutsche Firmen nach Siebenbürgen“

Christoph Machat, geboren 1946 in Schäßburg/Rumänien, emigrierte 1973 nach Deutschland. Der Kunsthistoriker leitet seit 1992 den Siebenbürgisch-sächsischen Kulturrat, einen Dachverband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Hauptberuflich arbeitet Machat als Denkmalpfleger und ist Vizepräsident von ICOMOS Deutschland, dem Internationalen Rat für Denkmalpflege der UNESCO, sowie Berater für die Welterbeliste. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Köln.


ostpol: Der deutschen Minderheit sagt man nach, sie habe die Nationalitäten gewechselt wie das Hemd – sie gehörte erst zu Ungarn, dann zu Österreich, wieder zu Ungarn, zu Rumänien und nun vielleicht  bald zur Europäischen Union. Was bedeutet der EU-Beitritt für die Deutschen in Rumänien?

Machat: Die Menschen hatten immer im Bewusstsein, dass sie zwar Staatsbürger eines Landes sind, aber ihre eigene Kultur und Herkunft pflegen. Daran ändert auch der EU-Beitritt nichts.

Rückt die deutsche Minderheit mit der Erweiterung im Geiste wieder näher an Deutschland heran?

Machat: Nein, man verspricht sich eher engere Kontakte wirtschaftlicher Art, dass beispielsweise mehr deutsche Firmen nach Siebenbürgen kommen und es ihnen einfacher gemacht wird, Standorte zu eröffnen und zu produzieren. In Schäßburg allein beträgt die Arbeitslosigkeit zurzeit mehr als 20 Prozent, weil die traditionelle Textilindustrie in Regionen abgewandert ist, wo noch billiger produziert wird.

Wie deutsch ist die Minderheit denn noch?

Machat: Die Menschen sprechen selbstverständlich Deutsch, das ist ihre Muttersprache. Die Gottesdienste in den Kirchen sind in deutscher Sprache, gesungen wird auf  Deutsch. Wenn Sie einen Siebenbürger Sachsen fragen, ob er sich als Rumäne ansieht, würde er wütend werden. Das geht mir genauso. Ich habe mich nie als Rumäne gefühlt, obwohl ich dort geboren bin. Ich habe Rumänisch erst in der Schule gelernt, meine Kindheit im deutschen Kindergarten und in der deutschen Schule verbracht.

Heute gehören etwa 60 000 Menschen der deutschen Minderheit in Rumänien an, 1940 waren es noch 1,1 Millionen. Die meisten sind nach Deutschland gegangen – warum?

Machat: Um als Deutsche unter Deutschen zu leben. Das hängt auch damit zusammen, wie mit den Menschen umgegangen wurde. Unter kommunistischer Herrschaft war die deutsche Minderheit zwar geduldet, wurde aber nicht als vollwertig angesehen. Die Abwanderung hat sich inzwischen aber stark verringert. Heute gehen vielleicht noch ein Dutzend Familien pro Jahr weg. Und die Rumänische Regierung behandelt die deutsche Minderheit gleichwertig mit den Rumänen.

Wenn aber so viele Menschen weggezogen sind – hat das den Zusammenhalt der deutschen Minderheit verändert?

Machat: Nein. Natürlich sind vor allem die Dörfer geschrumpft. Die deutsche Bevölkerung konzentriert sich nun in den Städten, wie Kronstadt, Schäßburg, Mediasch, Hermannstadt. Die Gottesdienste sind allerdings erstaunlich gut besucht. Und in Hermannstadt zum Beispiel sitzen seit der letzten Kommunalwahl sechzehn Stadträte des Demokratischen Forums, also der politischen Vertretung der deutschen Minderheit, im Stadtparlament und stellen auch den Bürgermeister. In Schäßburg sind es immerhin drei. Dadurch können sie mitreden und etwas bewegen.

Durch den EU-Beitritt wird es nun noch einfacher, aus Siebenbürgen wegzugehen. Ist die Gefahr nicht groß, dass die deutsche Minderheit sich nach 2007 wieder stärker dezimiert?

Machat: Das glaube ich nicht. Anfang der 1990er Jahre konnten Deutschstämmige beispielsweise eine Zuzugsgenehmigung nach Deutschland beantragen und auch bekommen. Das haben nicht alle wahrgenommen, weil sie eben nicht auswandern wollten. So wird es auch künftig sein.

Das Durchschnittsalter der deutschen Minderheit liegt bei 69 Jahren. Ist sie vom Aussterben bedroht?

Machat: Im Prinzip entspricht die Diskussion zur Überalterung dort jener, die wir derzeit in Deutschland führen. Die Jugendlichen, die studieren und eine internationale Karriere anstreben, haben in Rumänien oft das Gefühl, weniger Chancen zu haben. Deswegen wandern sie aus. Alte Bäume kann man aber nicht verpflanzen – deshalb sind die Alten eben geblieben.

Seit 1990 haben Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium die deutsche Minderheit mit etwa 100 Millionen Euro unterstützt. Eine angemessene Summe?

Machat: Mit Sicherheit. Das Geld ist vor allem in die Alten- und Sozialpflege geflossen. Altenheime waren nicht vorhanden, mit dem Geld konnten sie gebaut werden.

Wenn Rumänien Mitglied der EU wird, erübrigen sich diese finanziellen Hilfen.

Machat: Ja, das ist die Kehrseite. Dann muss Rumänien einspringen und diese sozialen Leistungen mittragen.


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