„Alle bisherigen Strategien sind gescheitert“ / Interview mit Dusan Janjic
Herr Janjic, wie bewerten sie die jüngsten Äußerung Martti Ahtisaaris?
Janjic: Ich hätte das nicht von ihm erwartet. Ich schätze ihn, als einen seriösen Diplomaten und Politiker. Sein Statement lässt nun gewisse Interpretationen zu. Klar ist aber dabei geworden, dass er nicht in der Lage ist zu verstehen, wie die Serben ihre eigene Vergangenheit bewerten. Das ist wirklich eine Provokation für sie. Die psychologische Situation, in der sich die Serben befinden, ist vergleichbar mit der Situation der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie reagieren sehr sensibel, wenn das als eine Kollektivschuld verstanden werden könnte. Und es war auch interpretierbar, als eine Bestrafung. So dass sie deshalb ein Teil ihres Territoriums abtreten müssen. Leider hat sich Ahtisaari damit selbst diskreditiert.
Belgrad hat scharf protestiert und stellt nun Ahtisaaris Neutralität ernsthaft in Frage. Wie bewerten Sie das?
Janjic: Die Überreaktion der serbischen Seite könnte als klare Distanzierung der kommenden Ereignisse im Kosovo verstanden werden. Das meint auch die Ergebnisse der gegenwärtigen Verhandlungen. Vielleicht war das Ganze auch ein Missverständnis seitens Belgrads, dass es nun die an der Zeit sei, ihn zu attackieren. Das wäre aber der falsche Weg, besonders wenn es jemand ist, der die internationale Gemeinschaft repräsentiert.
Was bedeutet der Zwischenfall für die Verhandlungsposition der Uno?
Janjic: Ahtisaari steckt jetzt wirklich in Schwierigkeiten. Er wird nicht derjenige sein, der eine Lösung erreichen wird. Den Beginn des Prozesses begann er sehr optimistisch. Er wollte eine Rahmenvereinbarung beider Seiten erreichen. Davon ist er weit entfernt. Er wird vielleicht einen Bericht für den UN-Sicherheitsrat verfassen. Aber sein Bericht wird nicht der entscheidende sein, der dort eine Lösung über den künftigen Status erbringen wird. Sein Erfolg ist fast Null. Es besteht nun die Gefahr, dass die Verhandlungen abgebrochen werden.
Der neue UN-Verwaltungschef im Kosovo, der Deutsche Joachim Rücker, ist dort kein Unbekannter. Wie erfolgreich war seine bisherige Arbeit?
Janjic: Leider hat Joachim Rücker in der Vergangenheit nicht allzu viel getan, den technischen Dialog zwischen Pristina und Belgrad zu beginnen. Er war für wirtschaftliche Entwicklung, die Infrastruktur und Elektrizität zuständig. Sollten nun Athisaaris Verhandlungen scheitern und auch die technischen Verhandlungen nicht wieder aufgenommen werden, dann wird das Kosovo in großen Schwierigkeiten sein. Das bedeutet die Gefahr neuer Gewalt. Auch die Wirtschaft ist in einem schrecklichen Zustand. Er war für Investitionen und den Privatisierungsprozess verantwortlich. Die EU verkauft Dinge, die ihr nicht gehören. Wenn sie nicht der Eigentümer sind, wie können sie dann etwas verkaufen? Ebenso war er für Telekommunikation und die Energieversorgung zuständig. Obwohl Belgrad ihm konkrete Hilfe angeboten hatte um die Stromprobleme zu lösen, blieben die Menschen ohne Strom. Er hat seine Möglichkeiten nicht genutzt, diese Probleme zu lösen.
Zur Person
Dr. Dusan Janjic ist Soziologe und Experte für ethnische Beziehungen und Konfliktmanagement. Er arbeitet in Belgrad am Institut für Sozialwissenschaften. Außerdem leitet er die Belgrader Nichtregierungsorganisation „Forum for Ethnic Relations“ (FER), die bereits 1989 gegründet wurde. Seit vielen Jahren befasst sich dieses Forum, das auch aus kosovo-albanischen Mitarbeitern besteht, mit dem Kosovo-Konflikt. Speziell mit den Statusverhandlungen, dass eine Kooperation mit der US-amerikanischen Organisation „Project on Ethnic Relations“ einschließt. Dr. Dusan Janjic ist Autor zahlreicher Publikationen zum Kosovo-Konflikt.
Was erwarten sie dann von ihm, in seiner neuen Position?
Janjic: Ich würde es sehr begrüßen, wenn er es in den nächsten zwei Monaten schaffen sollte, das Problem der einheitlichen Autokennzeichnung, der Ausstellung von Pässen oder der Stromversorgung anzugehen. Ich glaube aber, dass er derzeit in einer heiklen und schwachen Position ist. Er wird, manchmal auch unfair, von Belgrad kritisiert. Andererseits steht er der albanischen Seite zu nahe. Das Beste wäre aber, mit allen Seiten des Konflikts auf Distanz zu sein. Die Albaner erwarten von ihm die volle Unabhängigkeit bis Ende des Jahres. Ich frage mich, was mit ihm im November sein wird, wenn die Albaner herausfinden, dass es keine volle Unabhängigkeit geben wird? Ganz anders war das mit Michael Steiner, seinem deutschen Vorgänger. Der verlor zwar die Unterstützung aller Seiten. Steiner war jedoch einer der wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte der UNMIK. Ich wäre froh, wenn Rücker das Niveau von Steiner erreichen würde.
Steiners „Standards vor Status“ hat ausgedient. Welche Strategie verfolgt die UN heute im Kosovo?
Janjic: Keine. Alle bisherigen Strategien sind 2004 gescheitert. Seit der Gewaltwelle im März 2004 hat man nun die Zeit verstreichen lassen, ohne die UNMIK selbst zu reformieren. Und verwirrend ist, dass es keine gemeinsame Vision gibt. Es gibt keine Vorstellung davon, was künftig sein wird. Die internationale Gemeinschaft wiederholt nun die Philosophie und die Fehler, die schon Slobodan Milosevic gemacht hat.
Sehen sie eine Lösung in einem geteilten Kosovo?
Janjic: Ich bin dagegen. Jede Teilung wäre ein Alptraum. Besonders wenn sie auf einer ethnischen Trennung beruht. Es wäre gegen die Interessen aller Seiten. Es wäre, als würde man die Idee aufgeben, dass man miteinander leben kann. Ich bin für eine wirklich weitgehende Dezentralisierung. Da die Gesellschaft stark gespalten ist, sollte es auch eine nationale und regionale Autonomie geben. Diese Regionalisierung, wäre auch für das Kosovo selbst hilfreich. Die vier Regionen die im Kosovo existieren, könnten die Grundlage bilden, um dem ethnischen Nationalismus entgegenzuwirken. Eine Teilung ist keine Lösung, sondern nur eine plurale Demokratie, die sich daran orientiert, wo die gemeinsamen Interessen der Menschen liegen.