Eklat um Ahtisaari – Verhandlungen vor dem Scheitern
In Wien soll bis Ende des Jahres unter UN-Vermittlung eine der schwierigsten politischen Fragen in Europa gelöst werden: Was für ein Gebilde ist das Kosovo? Ist es weiterhin Teil Serbiens, so wie in der geltenden UN-Resolution 1244 festgeschrieben ist? Oder erkennt man das Streben der kosovo-albanischen Bevölkerungsmehrheit nach Unabhängigkeit an? Seit Februar dieses Jahres treffen sich in regelmäßigen Abständen hochrangige politische Vertreter Belgrads und Pristinas in Wien.
Acht Gesprächsrunden sind bislang ohne nennenswerte Ergebnisse vorüber gegangen. Zu gegensätzlich sind die Vorstellungen, zu schwer wiegt die Vergangenheit von Krieg, Terror und Vertreibung auf beiden Seiten. Doch die UNO drängt auf eine baldige Entscheidung und hat dazu den ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari ins Rennen geschickt. Als UN-Chefunterhändler ist es bislang sein größter Erfolg gewesen, die politischen Führungen beider Seiten überhaupt an einen Tisch zu bringen.
Doch nun haben Aussagen Ahtisaaris zu einem Eklat geführt, der die gestern (Donnerstag) in Wien begonnene neunte Verhandlungsrunde überschattet. Gegenüber Vertretern des serbischen Verhandlungsteams soll der Finne geäußert haben, dass die Serben als Nation schuldig für die Situation im Kosovo seien. Die Aussage Ahtisaaris über die „Kollektivschuld der Serben“ wurde durch den Schweizer Völkerrechtler Thomas Fleiner bestätigt, meldete die Österreichische Nachrichtenagentur APA. Fleiner nimmt als Mitglied der serbischen Delegation an den Kosovo-Verhandlungen in Wien teil.
Dem Eklat vorangegangen sei ein Erklärungsversuch der serbischen Seite, warum keine kosovo-serbischen Vertreter bei den Verhandlungen anwesend seien. Ein Vertreter des serbischen Verhandlungsteams soll erklärt haben, dass diese nicht mit jemandem verhandeln wollen, der von den Serben allgemein als Kriegsverbrecher angesehen werde. Er verwies dabei auf Fatmir Limaj, den ehemaligen Kommandanten der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) und Mitglied der kosovo-albanischen Delegation. Daraufhin habe Ahtisaari geantwortet: „Yes, but you are guilty as a nation“, ergaben die Recherchen der APA.
Belgrad wies Ahtisaaris Aussage zurück und fordert eine Entschuldigung. Auch die serbisch-orthodoxe Kirche, die serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, sowie der Nationalrat der Roma verurteilten die Worte Ahtisaaris. Dieser wies die Anschuldigungen jedoch als aus dem Zusammenhang gerissen und falsch übersetzt zurück. Eine Entschuldigung lehnte er ab. Stattdessen sagte er vergangene Woche in einem Interview mit der finnischen Nachrichtenagentur SST, dass es bedauerlich sei, dass die Serben beginnen, mit den Säbeln zu rasseln.
Auch diese neuerliche Aussage sorgte für Entrüstung in Serbien, da dies die serbische Seite mit Waffen oder Krieg in Verbindung bringen würde. Ahtisaari ließ daraufhin erklären, dass er diesmal erneut falsch verstanden worden sei. Die Vorfälle zeigen allerdings, in welch schwieriger Umgebung das diplomatische Tauziehen in Wien stattfindet.
Verwunderung und Enttäuschung hat Ahtisaari auch beim renommierten Belgrader „Forum für ethnische Beziehungen“ ausgelöst. Die Nichtregierungsorganisation arbeitet seit Beginn der 90er Jahre an der Lösung des Kosovo-Konflikts und hat den Dialog zwischen Belgrad und Pristina immer wieder vorangebracht. Der Koordinator des Forums, Dusan Janjic, ein international geschätzter Kosovo-Experte, bewertet Ahtisaaris Aussage ebenfalls als Provokation. Auf der anderen Seite habe aber auch Belgrad überreagiert.
Dusan Janjic sieht nun die Gefahr, dass die Verhandlungen abgebrochen werden könnten. In diesem Fall wäre das Kosovo in einer sehr schwierigen Situation, schätzt Janjic ein. Neue Gewalt sei dann nicht auszuschließen.Dies würde auch Deutschland unmittelbar betreffen: Am 1. September hat der Deutsche Joachim Rücker das höchste Amt im Kosovo übernommen und leitet fortan die UN-Mission. Gleichzeitig rückte der deutsche Generalleutnant Roland Kather an die Spitze der Nato-geführten Kosovo-Mission.
Kather befehligt 16.500 Soldaten, darunter 2900 Deutsche. Die Bundeswehr stellt damit im Kosovo das größte Truppenkontingent. Sollten sich Belgrad und Pristina nicht einigen, dürfte die Entscheidung zurück an den UN-Sicherheitsrat gehen. Ob eine neue UN-Resolution eine Lösung der Statusfrage erbringt, hängt dort vor allem von den Stimmen Russlands und Chinas ab, die bereits signalisiert haben einer vollständigen Unabhängigkeit nicht zustimmen zu wollen. Inzwischen wird in internationalen Diplomatenkreisen deshalb die Idee einer bedingten Unabhängigkeit lanciert, die bestimmte staatliche Merkmale wie einen eigenen Sitz in der UN oder eine eigene Armee ausschließen soll.