Montenegro

Erste Parlamentswahl im jüngsten Land Europas

Am 10. September wählt Montenegro ein neues Parlament. Klarer Favorit ist die Regierungspartei von Premier Milo Djukanovic. Es sind die ersten Wahlen in Montenegro seit dem erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendum im Mai diesen Jahres. 

Die Schweizerin Anita Bosovic lebt seit neun Jahren in Milocani, einem Dorf im Norden Montenegros an der Grenze zu Serbien. Mit ihrem Mann betreibt sie dort eine kleine Schreinerei. Seit sich das Land in einem Referendum am 21. Mai mit einer knappen Mehrheit von 55,5 Prozent der Stimmen von Serbien losgesagt hat, spricht die eine Hälfte des Dorfes nicht mehr mit der anderen, hat die Schweizerin beobachtet. „Es ist schon seltsam, wenn die Gespräche überm Gartenzaun zwischen denen, die für die Unabhängigkeit wählten und denen, die dagegen gestimmt haben, plötzlich verstummen.“

Die ersten Parlamentswahlen seit der Unabhängigkeit am 10. September werde an der Spaltung des Landes nichts ändern, fürchtet die Schweizerin. Nach aktuellen Umfragen spricht alles dafür, dass die Regierungspartei unter Premierminister und Unabhängigkeitsbefürworter Milo Djukanovic sich erneut durchsetzen kann. Djukanovics Demokratische Partei des Sozialismus (DPS), stellt auf dem Balkan eine Besonderheit dar. Über die 90er Jahre hinweg gelang es den Postsozialisten bis heute an der Macht zu bleiben. In der letzten Parlamentswahl 2002 errangen sie – zusammen mit der verbündeten Sozialdemokratischen Partei – fast die Hälfte der Stimmen. Auch bei den kommenden Wahlen treten beide Parteien  als Bündnis „Zusammen für Europa“ an.

Schon der Name sagt es aus: Der Beitritt zur EU ist das wichtigste Ziel.Ob es im Land aber wirklich vorwärts geht, bezweifelt Bosevic. Die Auftragslage ihrer Schreinerei sehe momentan schlechter aus als noch vor fünf Jahren. Die Leute, so die Handwerkerin, hätten immer weniger finanzielle Reserven. Umso mehr sei man auf Beziehungen angewiesen. Befände man sich im falschen politischen Lager, das gegen die Unabhängigkeit sei, so blieben die Aufträge aus. Gegen die Unabhängigkeit kämpfte bis zum Referendum die Sozialistische Volkspartei unter Pedrag Bulatovic. Der wichtigste Herausforderer tritt mit zwei kleineren Parteien an, in den Umfragen schafft er es allein aber nicht über zehn Prozent. Die Sozialistische Volkspartei (SNP) gründete sich Ende der 90er Jahre, als eine Fraktion aus der DPS austrat.

Ursache des Zerwürfnisses war die Frage der Unabhängigkeit. Während Djukanovic stärkere Autonomie – und später Unabhängigkeit – von Belgrad anstrebte, wollten die Abspalter bei Serbien bleiben. So konnte man die montenegrinische Parteienlandschaft lange in zwei Lager einteilen. Vier Monate nach dem Referendum ist dies zwar schwieriger geworden. Doch auch wenn Djukanovic mit dem Referendum vollendete Tatsachen geschaffen hat, spaltet die Frage weiterhin das Land. Nun mehren sich die Stimmen, dass eine Koalition von Djukanovic und Bulatovic Montenegro endlich wieder einen könne.

Eine Gruppierung aber bringt neue Themen in den sonst ruhigen Wahlkampf: Die liberale, westlich orientierte Bewegung für Wandel von Nebojsa Medojevic kritisiert die Privatisierungen in den 90er Jahren und die im Land verbreitete Korruption und drängt auf schnelle Reformen. Aus einer Nichtregierungsorganisation (NGO) entstanden, präsentiert sich die Bewegung als Gruppe von Pragmatikern und Experten. Bei den Wählern scheint dies anzukommen. In den Umfragen liegt sie mit weit über zehn Prozent derzeit auf dem zweiten Platz. Vielleicht aber werden ganz andere Fragen den Wahlausgang beeinflussen. Bislang ist es in Montenegro gelungen, eine Ethnisierung der Parteienlandschaft weitgehend zu vermeiden.

Die nicht-serbischen Minderheiten – muslimische Bosnjaken, Albaner, Kroaten und Roma – wählten bislang für die Unabhängigkeit und damit meist für Djukanovics DPS. Doch bei den kommenden Wahlen könnten die bosnischen und albanischen Minderheitenparteien Zulauf erhalten. Eindeutig auf die ethnische Karte setzt die „serbische Liste“ – eine Koalition aus der Serbischen Volkspartei, einiger kleinerer Parteien und der Serbischen Radikalen Partei. In Montenegro will man sich in der nächsten Legislaturperiode eine neue Verfassung geben.

Die Minderheitenparteien wollen sich in diesem Prozess ihren Einfluss sichern.  Auch wenn sich leichte Veränderungen abzeichnen, ein Regierungswechsel liegt in Podgorica, der jüngsten Hauptstadt Europas, in weiter Ferne. „Irgendwann wird man auch in Milocani wieder miteinander reden müssen“, lacht die Schweizer Schreinerin Bosovic. „Schließlich benutzen alle den gleichen Brunnen.“ Aber dass viele im Dorf ihre Stimme für ein unabhängiges Montengro unter Druck oder aufgrund finanzieller Lockangebote gaben, dies werde in der Dorfgemeinschaft tiefe Spuren hinterlassen.


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