Brautschau in der lettischen Provinz
Bereits seit fünf Jahren lockt eine Singleparty jüdische Jugendliche anRiga (n-ost) - „Tutti Frutti au rutti. A-bop-bop-a-loom-op a-lop-bop-boom!”, dröhnt der King of Rock´n Roll in die Nacht. Männer mit schwarzen Hüten und langen Schläfenlocken wirbeln maskierte Bräute über die Tanzfläche. Mittel drin im Getümmel steckt Maria, eine junge Jüdin aus der lettischen Hauptstadt Riga, die hofft, hier einen jüdischen Lebenspartner zu finden. „Meine Eltern haben zwar die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als ich ihnen davon erzählte, aber ich wollte unbedingt hierher kommen“, erzählt die Studentin etwas verlegen. Während sich die 24-Jährige in Riga am Wochenende eher langweilt, kann hier von Langeweile keine Rede sein: Die Stimmung ist ausgelassen und heiter. Es wird getanzt, gesungen und geflirtet.Bereits zum fünften Mal feierten Ende August junge Juden zwischen 18 und 35 Jahren das „Fest der Liebe“. Mitten auf dem Lande, 80 Kilometer nördlich der lettischen Hauptstadt Riga, hat sich ein alljährlicher jüdischer Singletreff etabliert. „Das Fest ist unter jungen Leuten, die einen jüdischen Partner suchen, sehr beliebt“, erklärt Victoria Gubatova, Leiterin des Gemeindezentrums „Alef“ in Riga, und fügt hinzu: „Im Vergleich zum Vorjahr haben wir diesmal doppelt so viele Teilnehmer.“ Diese müssen zwei Bedingungen erfüllen: Familienstand „ledig“ und Abstammung „jüdisch“. „Wir kontrollieren das sehr genau“, so Gubatova, denn unangenehme Überraschungen wolle sie vermeiden. Und das nicht ohne Grund, denn gemischtreligiöse Partnerschaften seien in jüdischen Kreisen nicht sehr beliebt.Welcher Deckel passt auf welchen Topf? Teilnehmer der jüdischen Singleparty beim Anbandeln. Foto: Nadja Cornelius. Einmal habe sich eine junge Frau als Jüdin ausgegeben, um am „Fest der Liebe“ teilnehmen zu können. Kurz vor der Hochzeit mit einem der Teilnehmer enttarnte sich die „falsche Braut“ jedoch als Nicht-Jüdin. Dies sei ein familiärer Skandal gewesen, erinnert sich Gubatova. Schließlich gelten Kinder nach den halachischen Gesetzen nur dann als jüdisch, wenn es ihre Mütter auch sind.24 jüdische Frauen und 25 jüdische Männer sind an diesem Wochenende eigens angereist, um gemeinsam eine alte jüdische Tradition wieder aufleben zu lassen. Die meisten kommen aus Lettland, drei aus Estland, zwölf leben in Moskau. „Wir sind hierher gekommen, um ein bisschen Spaß zu haben und Leute kennen zu lernen“, erzählt Kyrill. Der gut aussehende junge Mann hat die lange Busreise aus der russischen Hauptstadt gerne auf sich genommen –„schließlich ist es ja auch nicht ausgeschlossen, dass ich hier die Frau meines Lebens treffe“, schmunzelt er.„Die jungen Leute heute haben neben Ausbildung und Karriere kaum noch Zeit, jüdische Freunde und Lebenspartner zu finden“, weiß Gubatova. Die kleine, rundliche Frau mit der großen Brille hat deshalb 2001 das alte „Fest der Liebe“, das im jüdischen Kalender als „Tubiav“ bekannt ist, in Lettland wiederbelebt. „Diese Tradition war in unserer modernen Gesellschaft – selbst in Israel – weitgehend vergessen“, sagt sie. Die Idee dazu hatte Gubatova durch ihre Diplomarbeit, in der sie die Ursprünge des Tubiav-Fests erforscht hat. „Tubiav ist schon sehr, sehr alt. Es ist ein heidnisches Fest, das mit jüdischen Traditionen verschmolzen ist“, erzählt sie. Ob auch die jungen Teilnehmer von den Wurzeln des „Fests der Liebe“ wissen, ist fraglich. Fest steht jedenfalls, dass sich das gemeinsame Lachen und Tanzen, Singen und – natürlich –Flirten großer Beliebtheit erfreuen. „Etwas unsicher war ich anfangs schon noch“, erzählt Maria, „aber schon am nächsten Morgen waren wir wie eine große Familie“. Für den gemeinsamen Auftakt am Freitag plant Organisatorin Gubatova erst einmal ein lockeres Beisammensein. Nach einem gemeinsamen Sabbatdinner versammeln sich die jungen Leute im Freien um ein großes Lagerfeuer – das wirke wie ein einigendes Band zwischen den Teilnehmern, weiß die Organisatorin. Tags darauf geht es dann früh los. Nach dem Frühstück stehen Workshops zum Thema „Jüdische Ehe und Familienplanung“ auf dem Programm. Die Teilnehmer werden nach Geschlechtern in zwei Gruppen aufgeteilt. Ein Rabbi ist für die jungen Männer zuständig, dessen Ehefrau kümmert sich um die Mädchen. Das Thema „Wie man ein erfülltes jüdisches Familienleben gestaltet“ wird in beiden Gruppen diskutiert. In einer abschließenden gemeinsamen Gesprächsrunde sind sich die Teilnehmer einig: Am Wichtigsten fürs Familienglück ist ein geteiltes Verständnis für die spirituellen Dinge des Lebens. „Ich wünsche mir eine echte jüdische Familie. In meinem Alter sollte man sich darüber im Klaren sein“, sagt Maria anschließend und fügt hinzu: „Die meisten hier denken wie ich“.Nun steht dem eigentlichen Festakt des Wochenendes nichts mehr im Wege: Der Samstagabend beginnt abermals mit einem gemeinsamen Sabbatmahl. Nach mehreren Gläsern Wein ziehen sich die Mädchen aus dem Speisesaal zurück. Im Nebenraum schlüpfen sie flink in Brautkostüme, die sie am Nachmittag selbst genäht haben. Emsig helfen sie sich gegenseitig beim Ankleiden, Schminken und mit der Frisur. Sie wollen den Männern gefallen. Ein letzter Blick in den Spiegel. Aufregung ist spürbar. Gleich soll ein eigens einstudierter traditioneller jüdischer Tanz aufgeführt werden. „Wenn nur alles gut geht und ich die Schrittfolge nicht vergesse!“, zittert Maria ein bisschen. Derweil stellen sich die jungen Männer schon im Tanzsaal auf. In Reih und Glied mit schwarzen Hüten auf dem Kopf, die Schläfen mit Kunstlöckchen geziert, warten sie laut albernd auf ihre „Bräute“. Dann Stille. Gedämpftes Licht, Klezmermusik tönt aus den Lautsprechern. Die Show beginnt. Im Brautkleid tänzeln die jungen Frauen auf die Bühne. Gegenüber den „Bräutigamen“ halten sie inne. Die Männer singen sich in die Herzen der Damen. Die Texte der traditionellen jüdischen Lieder haben sie abgewandelt: „Ihr seid unsere Schätze. Wir sind eure Jungs. Ohne euch bekommen wir Kopfschmerzen!“, trällern sie – und werden erhört: Die Bräute tanzen den einstudierten Reigen, heimliche Blicke werden getauscht. Bald löst sich die Tanzgruppe auf und Pärchen wirbeln übers Parkett. Es wird geschwitzt und viel gelacht.Fast unbemerkt tauschen die Mädchen die blütenweißen Kleider später wieder gegen Jeans und Pullover, verschwinden die Hüte von den Köpfen der Jungs und spielt die Stereoanlage plötzlich nicht mehr jüdische Tanzmusik, sondern 80er Jahre Pop – und zwischendurch heizt auch mal Elvis „Tutti Frutti“ dem Publikum ordentlich ein. Manche sitzen draußen am Lagerfeuer. Andere vergnügen sich beim Bade unterm Sternenhimmel im nahe gelegenen Swimmingpool. Die Nacht wird kurz für die jungen Leute, die sich tags darauf schon wieder verabschieden werden. „Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit dem Fest“, resümiert Gubatova. Welche konkreten Ergebnisse es gebe, könne sie jetzt noch nicht sagen. Bei einigen sei jedoch gegenseitiges Interesse spürbar gewesen, zwinkert sie. Bislang war der Erfolg groß: „17 Hochzeiten haben wir schon zu verzeichnen!“, erzählt die engagierte Dame stolz. Maria indes bleibt unkonkret: „Es gab einen Mann, der mich interessiert“, sagt sie und lächelt. „Nun werde ich ein paar Wochen abwarten und sehen, ob sich daraus mehr entwickelt“.Ende---------------------------------------
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