Polen

Polen geht gegen Stasi-Spitzel vor

Neues Durchleuchtungsgesetz bedroht Journalisten und verschont PriesterWarschau/München (n-ost) - Ehemalige Informanten und Geheimagenten der polnischen Stasi haben es künftig in ihrem Heimatland besonders schwer, einen Job zu bekommen. Nach dem Sejm beschloss Mitte dieser Woche auch die zweite Parlamentskammer, der Senat, eines der strengsten „Durchleuchtungsgesetze“ Europas. Über 17 Jahre nach Ende des kommunistischen Regimes müssen demnächst nicht nur Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, sondern unter anderem auch Anwälte und Journalisten eine Bescheinigung des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) vorlegen, dass sie nicht mit dem Geheimdienst SB zusammengearbeitet haben. Eine mutmaßliche Kollaboration stellt nach dem Gesetz einen Entlassungsgrund dar. Außerdem sollen die Namen von einstigen Spitzeln im Internet veröffentlicht werden.Die Aufdeckung aller Geheimagenten war ein zentrales Wahlversprechen der seit Oktober regierenden rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Der Kampf gegen die ehemaligen Stasi-Seilschaften ist in Polen äußerst populär. Angeblich kontrollieren sie weiter wichtige Unternehmen. Vor allem die aus der kommunistischen Arbeiterpartei hervorgegangene und heute sozialdemokratische SLD lehnte das Gesetz ab. Aber auch ehemalige Dissidenten kritisierten das rigide Gesetz, das nun nur noch durch den rechtskonservativen Staatspräsidenten Lech Kaczynski gestoppt werden kann, was wenig wahrscheinlich ist.Bisher mussten nur Abgeordnete, Senatoren, Minister und hohe Beamte, insgesamt rund 27.000 Personen, eine so genannte Lustrationserklärung abgeben. Darin mussten sie selbst über eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst informieren. Ein Geständnis hatte formal keine Konsequenzen. Nur wer falsche Angaben machte, wurde von einem Lustrationsgericht für zehn Jahre von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.Das neue Gesetz erlaubt nun zum Beispiel sogar Bäckereien, dass sie von ihren Angestellten eine IPN-Bescheinigung verlangen. Betroffen sind alle, die vor dem 1. August 1972 geboren wurden, also älter als 34 Jahre sind. Pflicht ist die Überprüfung allerdings nur für etwa 150.000 Menschen. Dazu gehören fast alle Personengruppen des öffentlichen Lebens: von Lehrern und Wissenschaftlern bis zu Gemeinderäten, Direktoren von Staatsfirmen und Diplomaten. Schon zuvor hatte die Regierung den bisherigen Botschafter in Deutschland, Andrzej Byrt, wegen seiner früheren Nähe zu den Kommunisten abberufen.Am schärfsten protestierten die Kritiker des neuen Gesetzes dagegen, dass künftig unschuldige Bürger vor Gericht beweisen müssen, dass ihre oft manipulierten Stasi-Akten falsch sind. „Das neue Gesetz wirft alle über die irgendwelche Dokumente in den Archiven der Geheimpolizei erhalten blieben, in einen Sack“, kritisierte ein liberaler Senator. „Und es sagt ihnen: Wir veröffentlichen die Akten, ihr könnt machen, was ihr wollt. Geht vors Gericht und widerlegt die Akten.“ Weil die bisherigen Lustrationsgerichte angeblich zu milde urteilten, werden sie durch Sondergerichte des IPN ersetzt, das als Regierungsbehörde seit 1998 die kommunistische und nationalsozialistische Vergangenheit in Polen aufarbeitet.Gewinner der Ausweitung der „Durchleuchtung“ sind alle jungen Leute bis 34 Jahre. Nun würden diese bei öffentlichen Jobs automatisch bevorzugt, hieß es in Kommentaren. Ausgerechnet die Kirche verschont das Gesetz, obwohl IPN-Studien zufolge bis zu zehn Prozent der katholischen Priester wissentlich oder unwissentlich mit den Geheimdienst zusammengearbeitet haben. Zuletzt hatte mit Michal Czajkowski einer der angesehensten Vertreter der Kirche seine Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst zugegeben. Czajkowski galt als unbestechlicher Theologieprofessor. Die Zurückhaltung bei der Aufdeckung der Stasi-Verstrickung der Kirche erklärte Premierminister Jaroslaw Kaczynski so: Die Kirche sei das Wertesystem der Gesellschaft.Der polnische Staat erkannte bisher rund 25.000 Personen als Opfer der Stasi an. Das Interesse an den Geheimdienstakten nimmt stetig zu. Rund 100.000 Interessierte informierten sich bislang darüber, was die frühere Staatssicherheit über sie zusammengetragen hat.Ende-----------------------------------------------
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