Grass versöhnt sich mit den Polen
Nur Warschauer Regierungskoalition verlangt noch die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von Danzigs WARSCHAU/DANZIG (n-ost) - Erleichterung unter den meisten der 80 Zuhörer in Danzig, große Zustimmung bei den übrigen Menschen in der Stadt und eine entspannte Presse im ganzen Land. So lässt sich die Reaktion auf den Brief von Günter Grass an den Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz und die Einwohner der Stadt zusammenfassen, der am Dienstag sogar im staatlichen Fernsehen verlesen wurde. Einzig die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) der regierenden Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski geht weiterhin davon aus, dass Grass seine Danziger Ehrenbürgerschaft niederlegen sollte.So sagte die Chefin der Präsidentenkanzlei von Lech Kaczynski - Alexandra Szczygly in einem Fernsehinterview: „Ob Grass Ehrenbürger von Danzig bleiben soll, ist einzig seine eigene Entscheidung“. Aber sie fände es wohl besser, wenn er sie nun selbst niederlegen würde. Denn „er ist seit dem Moment keine moralische Autorität mehr, seit bekannt ist, dass er in den vergangenen 60 Jahren seine Vergangenheit verschwiegen hat“. Auch bei den lokalen Danziger PiS-Abgeordneten konnte Grass mit seinen Worten der Entschuldigung keine Zustimmung ernten: „Dieser Brief bringt uns doch keine Neuigkeiten“, sagte etwa Kazimierz Koralewski von der PiS, die im Danziger Stadtparlament in der Opposition ist. Gemeinsam mit anderen Abgeordneten seiner Partei hatte Koralewski die Veranstaltung zur Vorlesung des Grass-Briefes strikt boykottiert. Seinen Kommentar gab er ab, nachdem der Wortlaut des Briefes im Internet veröffentlicht wurde. „Mir scheint es, als wäre es eine neue europäische Mode, denjenigen zu verzeihen, die lange ihre dunkle Vergangenheit verschwiegen haben“. Grzegorz Sielatycki von der national-klerikalen LPR (Liga der polnischen Familien), die Teil der großen Warschauer Regierungskoalition ist, warf der in Danzig regierenden liberalen Bürgerplattform (PO) gar vor, bei der Übersetzung manipuliert zu haben, „daher habe ich den Brief erst gar nicht gelesen“.Hommage an Grass: Denkmal des Blechtrommlers Oskar in Danzig. Foto: Andreas MetzSo schreibt Grass in seinem Brief, der am Dienstagabend vom liberalen Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz (PO) auf einer Pressekonferenz vorgetragen wurde: „Ich bedauere es, Ihnen und den Bürgern der Stadt Danzig, mit der ich als gebürtiger Danziger zutiefst verbunden bin, eine Entscheidung aufgebürdet zu haben, die leichter und gerechter zu treffen wäre, wenn mein Buch schon ins Polnische übersetzt wäre“. Grass zeigte Verständnis für die Diskussion in Polen. „Dieses Schweigen kann als ein Fehler beurteilt werden, was jetzt passiert. Es kann auch verurteilt werden. Ich muss auch damit einverstanden sein, dass die Ehrenbürgerschaft durch viele Bewohner Danzigs in Frage gestellt wird“ Grass verwies aber auch auf sein „Lebenswerk“ das nicht zuletzt der deutsch-polnischen Verständigung und der Bekämpfung des Nationalsozialismus gewidmet sei. „Ich möchte für mich beanspruchen, die harten Lektionen, die mir in meinen jungen Jahren erteilt worden sind, begriffen zu haben: meine Bücher zeugen davon und mein politisches Handeln.“ Er sei „stolz“ auf seine Heimatstadt Danzig, „ging doch von ihr eine geistige Haltung aus, die europaweit wirksam wurde, als es darum ging, diktatorische Herrschaft gewaltfrei zu beenden, so auch zum Fall der Berliner Mauer beizutragen…“ In einem Telefonat kündigte Grass nach Angaben des Danziger Bürgermeisters an, seine Heimatstadt noch in diesem Jahr zu besuchen, wenn seine Gesundheit das zulasse.Anders als die PiS äußerte sich beispielsweise der ehemalige polnischen Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, der den Brief vor dessen Veröffentlichung lesen konnte: „Ich werde Günter Grass nicht mehr dazu auffordern, seine Ehrenbürgerschaft niederzulegen“ und ergänzte, „wir werden nun gemeinsam an der deutsch-polnischen Freundschaft arbeiten und zusammen ein gemeinsames Europa bauen“. Walesa hatte bislang gefordert, dass Grass auf diesen Ehrentitel verzichten solle und sogar gedroht, dass er im anderen Falle seine eigene Ehrenbürgerschaft zurückgebe. Mit seinem Brief hat Grass ihn umgestimmt. „Ich werde vielleicht aufmerksamer auf ihn schauen, aber ich hoffe, wir werden eine gute Freundschaft aufbauen können“, sagte Walesa. Nun soll es im kommenden Jahr ein Treffen der beiden Nobelpreisträger geben. Danzig und andere Großstädte stehen im Herbst vor Bürgermeisterwahlen, die Frage der Ehrenbürgerschaft von Günter Grass geriet deshalb zum Hauptwahlkampfthema. So ging die ursprüngliche Forderung zum Verzicht darauf von dem konservativen Danziger Politiker Jazek Kurski von der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) aus. Pikant dabei ist, dass sich Günter Grass anlässlich seines Auftritts auf der Warschauer Buchmesse im Mai 2006 vehement gegen die Regierungskoalition in Warschau gewandt hatte, nachdem in diese Vertreter der rechtsextremen Liga der polnischen Familien aufgenommen worden waren. Antisemiten hätten in einer Regierung nichts verloren, ging Grass damals die Partei der Kaczynski-Zwillinge an. Unterstützt wird Grass nun nicht zufällig von der liberalen Bürgerplattform, die in Danzig mit Pawel Adamowicz den Bürgermeister stellt. Dieser forderte, aus der Grass-Beichte „keine politische Angelegenheit zu machen“.Die Bürger von Danzig scheint Adamowicz dabei mehrheitlich auf seiner Seite zu haben. In einer repräsentativen Umfrage sprachen sich 52 Prozent der befragten Danziger dafür aus, dass Grass seinen Titel als Ehrenbürger der Stadt behalten solle. Dem gebürtigen Danziger war der Titel 1993 verliehen worden für seine Verdienst um die Stadt im Zusammenhang mit der deutsch-polnischen Verständigung, die er in seinen Büchern vorangetrieben hatte. Vor allem mit seinem 1959 erschienenen Werk „Die Blechtrommel“ hat er der Stadt ein literarisches Denkmal gesetzt. Eine tatsächliche Skulptur von seinem Blechtrommler, dem jungen „Oskar Matzerath“, steht zudem in Danzig und ist Anziehungspunkt vor allem auch für die vielen deutschen Touristen in der Stadt, die Danzig auf den Spuren dieses Romans erleben.Zuletzt haben auch einige der führenden polnischen Schriftsteller Grass den Rücken gestärkt: In einem offenen Brief, der in der liberal-konservativen Tageszeitung „Rzeczpospolita“ veröffentlich wurde, darunter die Literaturnobelpreis-Trägerin Wislawa Szymborska, Stefan Chwin und Pawel Huelle: „Wir sind Zeugen, wie sein Bekenntnis von einigen polnischen Politikern zynisch missbraucht wird. Wir sind damit nicht einverstanden, dass die Tragödie des Schriftstellers zum Gegenstand politischer Spiele wird“, und weiter „wir wollen und können die großen Verdienste von Günter Grass für Polen, seine Freundschaft mit Polen nicht vergessen.“Die abschließende Entscheidung über seiner Ehrenbürgerschaft bleibt offen, aber mit seinem Brief hat Grass ganz sicher dazu beigetragen, dass er es bleiben wird. Am 31. August wird der Danziger Stadtrat über dieses Thema diskutieren.Ende--------------------------------------------------------
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