Polen

Polen streitet über Günter Grass

Warschau (n-ost) - Das überraschende Geständnis des deutschen Literaturnobelpreisträgers Günter Grass über seine Zeit bei der Waffen-SS hat vor allem in Polen eine Kontroverse ausgelöst. So sagte der ehemalige polnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, der in Grass`Geburtsstadt Danzig lebt: „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich die Ehrenbürgerschaft Danzigs zurückgeben“. Günter Grass ist seit 1993 Ehrenbürger der Ostseemetropole, wo er geboren ist und der unter anderem mit seinem ersten international beachteten Werk „Die Blechtrommel“ (1959) ein literarisches Denkmal gesetzt hat.Das Ende einer moralischen Instanz? Der Literaturnobelpreisträger von 1999 Günter Grass. Foto: Andreas MetzGrass hatte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Wochenende erstmalig eingeräumt, sich als 17-Jähriger freiwillig zur Waffen-SS gemeldet zu haben. Seine Einheit „Frundsberg“ war im März 1945 auch in Kämpfe in der Umgebung von Stettin verwickelt. Seit der „Blechtrommel“ hat Grass in Polen eine Vorreiterrolle bei der deutsch-polnischen Versöhnung inne. Erst im Mai ist Grass bei der Buchmesse in Warschau stürmisch gefeiert worden. Grass war einer der Ersten, die für die Anerkennung der Oder-Neisse-Linie und damit auch für die Abtretung seiner eigenen Heimat eintraten. Grass gilt deshalb in Polen als positiv besetzter Gegenspieler der verhassten Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), die als Tochter eines Besatzungssoldaten ebenfalls in der Nähe von Danzig zur Welt kam.Die Diskussion um Grass` Vergangenheit trifft Polen auf dem Höhepunkt der durch die Berliner Ausstellung „Erzwungene Wege“ wieder entfachten Vertriebenendebatte. Lech Walesa sagte über Grass weiter: „Ich bin froh, ihn bislang nicht getroffen zu haben, weil ich es so vermeiden konnten, ihm die Hand zu geben“. Denkmal für den Blechtrommler Oskar in Danzig-Langfuhr, dem Geburtsort von Günter Grass. Foto: Andreas MetzDie polnischen Reaktionen waren zunächst ruhig, weil sich das Land wegen eines verlängerten Wochenendes, das gestern zu Ende ging, in kollektiver Ferienstimmung befand. Doch jetzt bricht die Diskussion voll aus: Noch vor Walesa meldete sich der Regierungspolitiker Jacek Kurski von der PiS („Partei Recht und Gerechtigkeit“) zu Wort, mit der Forderung, dass Grass die Danziger Ehrenbürgerwürde entzogen werde sollte: „Jemand, der in der Waffen-SS gedient hat, kann niemals Ehrenbürger irgendeiner polnischen Stadt sein – schon gar nicht von Danzig, das so sehr unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten hat“.
Der Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz entgegnete dieser Forderung mit dem Hinweis, dass Kurski „den Fall Grass als politische Angelegenheit instrumentalisieren wolle“, und weiter: „Politiker sollten die letzten sein, die sich zum Leben oder Werk eines Schriftstellers äußern sollten“. Kurski hatte bereits in dem scharf geführten Präsidentschaftswahlkampf im Herbst vergangenen Jahres eine erfolgreiche Kampagne gegen den liberalen Danziger Präsidentschaftskandidaten Donald Tusk initiiert, dessen Vater – unfreiwillig – während des Krieges in der deutschen Wehrmacht gedient hatte. In Polen wurde durch die Regierungsübernahme der PiS die besondere historische Sensibilität der Bevölkerung gezielt verstärkt. Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski warf den Deutschen mehrfach vor, sie seien dabei, die Geschichte umzuschreiben und sich zu Opfern des Krieges zu stilisieren. Daher werden hier auch die deutschen Reaktionen auf Grass´Geständnis sehr genau registriert; mit Erleichterung wird in Polen zur Kenntnis genommen, dass Grass in Deutschland nun scharfe Kritik erfährt.Gemäßigt zeigte sich hingegen Grass´ Danziger Schriftstellerkollege Pawel Huelle. Der – auch in Deutschland übersetzte – Bestsellerautor ist froh darüber, „dass Günter Grass nun selbst über seine Vergangenheit redet, bevor es ein Enthüllungsjournalist tut“. Huelle sieht in der Geschichte ausschließlich eine persönliche Angelegenheit von Grass und der Korrektur seiner Biografie. „Aber es wird weder sein literarisches Werk beschädigen, noch seine Verdienste um das  polnisch-deutsche Verhältnis schmälern“. Unterdessen stellt der polnische Historiker Professor Wojciech Roszko die künftige Rolle von Grass in Frage: „Es ist natürlich schwierig, ein Moralist zu sein, wenn er diese Tatsache über all die Jahre verschwiegen hat“.
Der Stadtrat von Danzig will nach der Sommerpause über die Ehrenbürgerwürde von Grass debattieren. Nach den Äußerungen des Bürgermeisters gilt eine Aberkennung jedoch als eher unwahrscheinlich.Ende--------------------------------------------
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