Estland

Leben im Sumpfland

Freiwilliges Ökologisches Jahr im zentralestnischen Nationalpark SoomaaTallinn (n-ost) - Der zentralestnische Nationalpark Soomaa gilt als menschenleere, unberührte Naturlandschaft. Eine junge Deutsche hat für ein Jahr ihre Heimat verlassen, um dort ein Freiwilliges Ökologisches Jahr zu absolvieren.Gummistiefel, das weiß Corinna Kohn inzwischen, sind in Soomaa unersetzlich. Als die  Abiturientin vor zehn Monaten ihr Heimatdorf Sarau in Schleswig-Holstein verließ, um für ein Jahr in dem estnischen Nationalpark zu arbeiten, hatte sie davon noch keine Ahnung. Dabei hätte sie gewarnt sein müssen. Beim Jugendpfarramt der Nordelbischen Kirche hatte sie sich erkundigt, wo sie ein freiwilliges ökologisches Jahr absolvieren könne. Sie erhielt ein Merkblatt mit der Überschrift „Was ist Soomaa?“. Und dort stand es schwarz auf weiß: Soomaa bedeutet übersetzt „Sumpfland“. Moorland bis ans Ende der Welt - Nationalpark Soomaa, Foto: Alexandra FrankDer Name ist wahrlich bezeichnend für die Gegend. Vier Moore, zahlreiche Flüsse, Wälder und Auen umfasst das rund 40.000 Hektar große Areal, das sich etwa 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Tallinn (Reval) erstreckt. Und nass ist es eigentlich immer. „Gummistiefel waren deshalb das Erste, was mir meine Eltern in einem Paket nachgeschickt haben“, sagt die junge Frau und streicht sich lachend eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Seither stecken ihre Füße beinahe täglich in dem wasserdichten blauen Schuhwerk, darüber trägt sie schmutzunempfindliche Jeans. Bei einem freiwilligen ökologischen Jahr fallen Arbeiten an, bei denen modischer Schnickschnack nur hinderlich ist: Heuernte und Tierbeobachtung, Wanderwege anlegen und Touristen führen, Brennholz sammeln und Futterkrippen bauen.
Obgleich die Arbeit durchaus anstrengend sein kann, hat Corinna ihre Entscheidung, sich ein Jahr lang für die Natur einzusetzen, nicht bereut. „Einer der Gründe, hierher zu kommen, war, dass ich mir darüber klar werden wollte, was ich in meinem Leben machen möchte. Nun bin ich mir sicher, dass ich nach meiner Rückkehr Forstwissenschaft studieren will.“ Auch ihre Einschätzung, dass das Leben und die Natur in einem osteuropäischen Land ursprünglicher als in Deutschland seien, hat sich bewahrheitet. „Selbst für das dünn besiedelte Estland ist diese Gegend ziemlich menschenleer“, sagt Corinna, die mit einer zweiten Deutschen in einem 15-Seelen-Dorf lebt.Durch Gespräche mit neuen Freunden, wie dem Biologen Aleks Linnik, einem freundlichen Mann mit Rauschebart, lernte sie nicht nur die Natur, sondern auch die schweren Lebensbedingungen der Ortsansässigen kennen. Vor dem Zweiten Weltkrieg, so hatte Linnik ihr erzählt, hätten mehr als 900 Menschen in Soomaa gewohnt und seien trotz der großen Moorgebiete und des jährlichen Hochwassers gut zurechtgekommen. Besonders im Frühjahr sei die Landschaft zu großen Teilen überflutet, da die Wasserpegel der Flüsse stark variiere und die flache Landschaft ein schnelles Abfließen des Wassers verhindere. Bis zu fünf Meter hoch steigt das Wasser in der so genannten „Fünften Jahreszeit“ nach der Schneeschmelze. „Wir haben zu dieser Zeit einmal einen Kanuausflug gemacht“, erzählt Corinna. „Es ist wirklich beeindruckend, einfach so durch den Wald zwischen den Bäumen hindurch zu paddeln.“ „Leider“, fügt sie hinzu, „leben heute nur noch knapp 100 Menschen hier.“ Jedes Jahr überflutete Wohnungen, vollgelaufene Öfen, die das Heizen bei winterlichen Temperaturen unmöglich machen, und das Evakuieren der Tiere auf den Dachboden ist nicht Jedermanns Sache.
 
„Vielleicht ist der Tourismus eine Möglichkeit, der Abwanderung entgegenzuwirken“, sagt Corinna.  Einige pfiffige Unternehmer überlegen immerhin schon, wie man Touristen in das abgelegene Gebiet locken könnte. Einer davon ist Aivar Ruukel, groß und kräftig gebaut, mit rötlichem Haar und Händen, die zupacken können. Manchmal besucht Corinna ihn mit einer Gruppe Touristen, die zunächst über eine abenteuerlich schwankende Hängebrücke balancieren müssen, um zu seiner Farm zu gelangen. „Diese Brücken sind typisch für die Gegend“, erklärt ihnen Corinna dann, „konventionelle Brücken würden den ständigen Überschwemmungen nicht standhalten.“Am Ufer liegen seltsam anmutende Boote. „Haabjas“, wie Ruukel erklärt, aus Espenstämmen gefertigte Einbäume, die man stehend, nur mit einem langen Paddel ausgerüstet, fährt. In Workshops können seine Gäste die traditionellen Boote selber herstellen und natürlich auch ausprobieren. Nach einer Haabja-Fahrt zeigt Corinna den Touristen die Schönheiten des Nationalparks. Moorwanderungen auf hölzernen Stegen gehören zum Muss eines jeden Soomaabesuchs. Und mit etwas Glück bekommen die Besucher auch einige tierische Bewohner des Parks zu sehen: Adler oder Kraniche, Schwarzstörche, Elche, Flughörnchen, Biber, Wölfe und Luchse.
Bevor es im August wieder nach Hause geht, will Corinna das Ihrige dazu beitragen, die Region für Touristen attraktiv zu machen. „Ich habe ein Workcamp organisiert, zu dem Pfandfinder aus Deutschland kommen“, sagt sie. Ziel des Camps sei es, einen alten Wanderweg wiederherzustellen, auf dem Touristen später die Moorgegend erkunden können. „Ich muss ihnen noch sagen“, fällt Corinna plötzlich ein, „dass sie unbedingt Gummistiefel einpacken müssen.“*** Ende ***-------------------------------------------------------------------------------------------------
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