Polen

Auf Spurensuche in Wartenberg

Generalmajor Henning von Tresckow war einer der Drahtzieher des fehlgeschlagenen Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Von dem einstigen Familiengut in Wartenberg steht nur noch das Kutschhaus.    WARTENBERG (n-ost) 20. Juli 1944. In der Wolfsschanze, dem Hauptquartier von Adolf Hitler in Rastenburg, explodiert eine Bombe. Platziert hat sie Claus Graf Schenk von Stauffenberg; den Diktator trifft sie nicht. Einen Tag später nimmt sich Generalmajor Henning von Tresckow, Stabschef der zweiten Armee der Heeresgruppe Mitte, mit einer Handgranate an der Ostfront bei Nowosiolki das Leben. Der Wehrmachtsbericht vom 24. Juli schreibt von einem Heldentod. Sein Leichnam wird feierlich nach Wartenberg in der Mark Brandenburg überführt, dem Sitz der alten preußischen Adelsfamilie der von Tresckows. Doch noch im gleichen Sommer exhumieren SS-Leute den Leichnam und verbrennen ihn nach genauer Untersuchung im KZ Sachsenhausen. Henning von Tresckow gehörte zu den Drahtziehern des Attentats auf Hitler durch Claus Graf von Stauffenberg. Schon vor dem Angriff auf Polen 1939 stand für den anfänglich Hitlerbegeisterten fest: Dieser Mann muss beseitigt werden.  Zwar hatte Tresckow die geheime Aufrüstung begrüßt, die entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages unter Hitler einsetzte. Er hatte Hitler auch aus das sozialistische Vorzeichen seiner Politik abgenommen, hoffend, dass es zu einer wirklichen Verschmelzung der Klassen kommen würde. Doch der Röhmputsch im Jahr 1934, als Hitler seine politischen Gegner ohne Gerichtsverfahren ermorden ließ, holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Mit der sogenannten Reichskristallnacht 1938 zerbrach endgültig Tresckows Hoffnung, Hitler in seine Schranken verweisen und die Regierung auf die von ihm gesehene Bahn bringen zu können.
 
Von Tresckow begann ein nervenaufreibendes Doppelleben als Verschwörer und zugleich als Heeresführer der Heeresgruppe Mitte. Auf der einen Seite versuchte er gegen die Führer-Befehle zu mobilisieren, die alle Bestimmungen des Völkerrechts außer Kraft setzten. Auf der anderen Seite griff er auf die Hilfe von Polizei-, SS- und Wehrmachtseinheiten zurück, die an den Massenverbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung beteiligt waren, um seine Soldaten mit Munition und Lebensmitteln versorgen zu können. Refugium in dieser Zeit war ihm das elterliche Gut Wartenberg. Seine Frau Erika und die beiden Töchter verbrachten in dem Landhaus auch in den Kriegsjahren die Sommerzeit, ebenso die beiden 16- und 17-jährigen Söhne, bevor sie eingezogen wurden. Sein Vater Hermann war nach Beendigung seiner militärischen Karriere 1908 in Stettin mit seiner Familie in die Mark Brandenburg übergesiedelt. Er hatte das Gut von seinem kinderlosen Onkel Hermann geerbt, der den rund 1000 Hektar großen Besitz 1883 von einer Dotation des alten Kaisers gekauft hatte. Christoph von Tresckow vor der Dorfkappelle von Wartenberg. Foto: Katrin Lechler Erika von Tresckow, die bei der Koordinierung der Widerstandsgruppen geholfen hatte, gelingt es vor der Gestapo, die düpierte Ehefrau zu spielen. Mit den beiden Töchtern Adelheid und Uta flieht sie über die Oder und beginnt ein neues Leben in Thedinghausen bei Bremen. Von Hennings Geschwistern lebt nach dem Krieg keiner mehr: Seine Schwester Agnes und ihre Familie begehen nach russischen Misshandlungen Selbstmord, Gerd von Tresckow, der sich freiwillig zu der Tat des Bruders bekannt hat, schneidet sich in der Haft die Pulsadern auf. Die Frau seines noch während des Krieges verstorbenen Halbbruders Jürgen, die mit ihnen in Wartenberg gewohnt hatte, wird von sowjetischen Soldaten erschossen, als sie mit ihrem sechzehnjährigen Sohn vor die Haustür tritt. Von allen Tresckows, die einst in Wartenberg ihre Heimat hatten, leben heute nur noch Uta von Aretin, die älteste Tochter von Henning von Tresckow und sein Neffe Christoph von Tresckow, Sohn seines Halbbruders Jürgen.  Hinter dem Wartenberger Kirchhof liegen, abgetrennt mit einer flachen Steinmauer, die Grabkapelle und der Familienfriedhof der von Tresckows. Die einzelnen Grabstätten sind nur noch zu erahnen, der Platz ist von Efeu überwuchert, die Tür zur Kapelle herausgerissen. Rund um die Kirche liegen zerbrochene Grabplatten, auf einigen lassen sich noch Namen der einstigen Bewohner von Wartenberg lesen. Auch die Inschriften auf dem Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges an der Straße sind kaum zu entziffern.Christoph von Tresckow zeigt die Stelle, wo sein Onkel Henning von Tresckow kurze Zeit gelegen hat. Geblieben ist nur das Postament. Über die kopfsteingepflasterte, von mächtigen Linden gesäumte Dorfallee sind es nur einige Schritte zur Ruine des alten Gutshauses, dem einstigen Herzen des Ortes. „Sein Humor war das Erste, was man bei ihm entdeckte“, erinnert sich Christoph von Tresckow an seinen Onkel. Er organisierte für die Kinder Völkerballschlachten, Radtouren und Schwimmwettbewerbe. „Ich merkte aus Gesprächen zwischen ihm und meinem Vater (Jürgen von Tresckow), dass sie beide den Nationalsozialismus für eine schlimme Sache hielten, dass der deutsche Name durch die Nazis in Misskredit gerät“. In die Umsturzpläne weihte er jedoch nur seine Frau ein. Seinen halbwüchsigen alten Söhnen und Neffen – der jüngste war sechzehn Jahre alt –  wollte er den Dienst an der Front nicht erschweren.“ Christoph von Tresckow bewegt sich sicher zwischen den zerbrochenen Fassadenstücken und widerspenstigem Gestrüpp: Er sucht nach dem Stein, der als Schuhabkratzer diente. Nach über einen halben Jahrhundert kann der weißhaarige alte Herr noch genau die Lage der Zimmer im Gutshaus beschreiben. Über Jahrzehnte hatten die polnischen Bewohner des Dorfes, selbst größtenteils Vertriebene aus ihrer alten Heimat in Ostpolen, kein Auge für die Ruinen des Gutshauses und den weitläufigen Park. Der staatseigene Betrieb, der im Ort entstand, übernahm Teile des einstigen Tresckow-Besitzes. Auf den Ruinen gediehen Sträucher und Bäume, der Blick auf den See wucherte mehr und mehr zu. Unversehrt blieb nur das einstige Kutschhaus. Als es in den 70er Jahren abgerissen werden sollte, kaufte ein Ehepaar aus Szczecin (Stettin) dem Staat das Gebäude samt dem ungepflegten Gelände ab. Heute wohnt das Ehepaar in dem renovierten Kutschhaus. Einmal im Jahr werden die Mittfünfziger von den Verwandten von Henning von Tresckow besucht. In dem alten Schulhaus, in dem früher Christoph von Tresckow unterrichtet wurde, wohnt heute die 83-Jährige Helena Szopik. Die pensionierte Lehrerin stammt aus den einst polnischen Gebieten Weißrusslands und bekam 1958 ihre erste Stelle in Chełm Dolny, dem früheren Wartenberg. „Über viele Jahre hat sich niemand für die deutsche Vergangenheit dieses Ortes interessiert“, berichtet sie. „die Leute hatten auch keine Informationen darüber. Ich selbst habe vieles erst von Christoph von Tresckow erfahren“. 1990, gleich nach der Wende, fuhr Christoph von Tresckow das erste Mal wieder in seine alte Heimat. Bei einem seiner Besuche trafen sich die beiden und freundeten sich an. 1995 erreichten die beiden Vertriebenen, dass in der nunmehr katholischen Dorfkirche eine Tafel mit den Namen der hier bestatteten Angehörigen der Familie von Tresckow befestigt wird.  Während Christoph von Tresckow in Gedanken durch die Zimmer des einstigen Familienbesitzes geht, hat sich ein etwa 40-jähriger Mann aus dem Dorf genähert. Er hilft den neuen Besitzern bei der Parkpflege. „Entschuldigen Sie“, wendet er sich an Christoph von Tresckow. „Wissen Sie, wohin diese Treppen führten? Das frage ich mich immer, wenn ich hier arbeite“, sagt er und zeigt auf einige Stufen, die im Nichts enden. Von Tresckow überlegt kurz: „Das war der Eingang für den Großvater, der ein Zimmer im hinteren Teil des Hauses bewohnte“, sagt er. Der Gärtner will wieder gehen, aber Tresckow hält seine Hand fest und sagt: „Ich freue mich so sehr, dass sich wieder einer um den Park kümmert“.----------------------------------------------------------
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