Neuer Schlöndorff-Film verärgert die Titelheldin
Vorpremiere des Films „Streik - Vergessene Heldin“ in Danzig über die Entstehung der Solidarnosc
Danzig (n-ost) - Bei der Vorpremiere des neuesten Filmes von Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff herrschen strenge Regeln: Am Eingang gibt es Leibesvisitationen, Handys und Kameras werden beschlagnahmt. Anlässlich des Danziger Filmstarfestivals (Festiwal Gwiazd) wird „Streik - Vergessene Heldin“ im Danziger Kino Neptun erstmals gezeigt. Es ist das bekannteste Kino der Stadt, direkt an der Langgasse in der pittoresken Altstadt gelegen. Doch nur ausgewählte Gäste und polnische Prominente erhalten Zutritt. Allen wird auferlegt, über das Gesehene Schweigen zu bewahren. Grund dafür sei, dass der Film andernfalls keinen Zugang mehr zu Filmfestivals erhalte. Doch noch eine ganz andere Angst schwingt mit: Der Film berührt eine sensible Stelle der polnischen Geschichte, die Streikbewegung auf der Danziger Werft Anfang der 1980er Jahre und die Entstehung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“. Nicht etwa Lech Walesa ist Held der Geschichte, sondern die Kranführerin Anna Walentynowicz. Und ausgerechnet diese trägt mit Regisseur Schlöndorff einen Streit über das Drehbuch aus.
Der Film „Streik - Vergessene Heldin“ war eigentlich als Tribut des deutschen Regisseurs an die heute 76-jährige Anna Walentynowicz gedacht, die sich als Betriebsrätin auf der Werft für bessere Arbeitsbedingungen einsetzte. Ihre Suspendierung durch die Werftleitung wurde zum Auslöser der Streikwelle 1980. Anstatt die Leitung der entstehenden Gewerkschaft „Solidarnosc“ zu übernehmen, verzichtete die bescheidene Frau zugunsten von Lech Walesa. Mit diesem hat sie sich später überworfen und geriet völlig in Vergessenheit.Anna Walentynowicz in ihrer Danziger Wohnung, Foto: Katarzyna Tuszynska
Anna Walentynowicz wohnt heute immer noch in Danzig. Im Schlöndorff-Film heißt sie Agnieszka Kowalska und wird von Katharina Thalbach gespielt, die auch schon bei der erfolgreichen Verfilmung der „Blechtrommel“ vor fast 30 Jahren mit Schlöndorff in Danzig drehte. Alle anderen großen Rollen wurden mit polnischen Schauspielern besetzt. Der in Polen bekannte Andrzej Chyra spielt im Film einen eher zurückhaltenden Lech Walesa, der von Kranführerin Kowalska immer wieder ermutigt wird, die Initiative zu ergreifen.
Als Lech Walesa nach drei Tagen Ausstand für das Ende der Streiks auf der Werft plädiert, ist es die zierliche Kranführerin, die die Fortsetzung der Streiks bis zum Erfolg durchsetzt. Es kommt im August 1980 zur Unterzeichnung der Danziger Abkommen, die erstmals in einem Land des Ostblocks die Gründung unabhängiger Gewerkschaften und damit einer Oppositionsbewegung ermöglichten. Hier steht die „Vergessene Heldin“ schon abseits, während Lech Walesa auf den Schultern der Werftarbeiter aus dem Saal getragen wird.
Schlöndorffs Film erzählt am Beispiel der Titelheldin im Grunde die Geschichte des Scheiterns des Kommunismus in Polen und der Verlust von Idealen, nicht nur sozialistischer, sondern am Ende auch demokratischer Ideale. Ausgehend vom harten Alltag der Nachkriegsjahre und den schwierigen Arbeitsbedingungen auf der Werft entwickelt sich bis Ende der 60er Jahren eine Protestbewegung. Eine erste, heftige Streikwelle im Jahre 1970 wird vom Regime blutig niedergeschlagen. Gezeigt wird der Einsatz der Panzer und die Schüsse auf die Protestierenden vor dem Werfttor – alles an Originalschauplätzen in Danzig gedreht.
Die Titelheldin Agnieszka Kowalska hat im Film einen Sohn namens Krystian, ein uneheliches Kind mit dem Parteisekretär Henryk Sobecki. Verliebt ist Agnieszka jedoch in den Werftarbeiter Kazimierz Walczak, den sie auch heiratet. Doch Walczak stirbt noch während der Hochzeitsreise, zurück bleibt die alleinerziehende Mutter. Und dieses Mutter-Sohn-Verhältnis ist im Film einigen Spannungen ausgesetzt, unter anderem, als sich Krystian gegen den Willen der Mutter entscheidet, in der Armee Karriere zu machen.Es sind Passagen wie diese, gegen die Anna Walentynowicz protestiert. Ihrer Meinung nach wurden Fakten aus ihrer Biographie verdreht und ihr guter Ruf ruiniert. „Bis zum Beginn der Dreharbeiten hatte sich Schlöndorff mit mir gar nicht in Verbindung gesetzt“, klagt Walentynowicz. Dass auf der Werft ein Film über ihr Leben entsteht, habe sie erst von einer befreundeten Schauspielerin erfahren. „Ich habe Schlöndorff zur Freigabe des Drehbuchs zwingen müssen.“
Schlöndorff verteidigt sich mit dem Hinweis, der Film sei zwar sehr von Walentynowicz inspiriert, aber kein Dokumentarfilm. „Wenn Frau Walentynowicz sich den Film anschaut, kann sie, glaube ich, stolz sein“, hofft der Regisseur. In einem früheren Interview sagte er über seine Filmheldin: „Wenn Anna Walentynowicz nicht so stark in ihrer Überzeugung und ihrer Handlung gewesen wäre, würde die Mauer in Berlin vielleicht heute noch stehen.“ Dass die Entschlusskraft seiner Filmheldin sich gegen ihn selbst richten könnte, damit hatte der Regisseur offenbar nicht gerechnet. Seiner Ansicht nach sei der Konflikt zwischen ihm und Walentynowicz nun aber ausgestanden. „Das war, als wir den Film angefangen haben. Das ist jetzt alles vorbei.“
Doch Anna Walentynowicz will weiter gegen den Film kämpfen, wie sie im Gespräch mit dieser Zeitung erklärte. Zwar hätte ihr erster Anwalt Andreas Rywin, ein polnischstämmiger Deutscher aus Köln, keine Möglichkeiten für ein Verbot des Filmes gesehen, doch nun wolle sie mit einem neuen Anwalt aus Warschau weiter gegen Schlöndorff vorgehen. Zumindest müsse der Regisseur öffentlich erklären, dass der Film gegen ihren Willen entstanden sei. Verärgert ist die 76-Jährige auch darüber, dass die Einladung zur Filmpremiere in Danzig erst einen Tag vor dem Termin bei ihrem Nachbarn abgegeben wurde. „Ich war ein paar Tage bei meinem Anwalt in Warschau“, erklärt Walentynowicz, „daher habe ich die Einladung zur Erstaufführung erst nach der Vorführung gelesen.“ Von dem Film hält sie nach wie vor nichts: „Ich glaube nicht, dass ich auf dem Film stolz sein könnte. Schlöndorff ist ein Lügner. Er hat mir versprochen, dass er die Fakten in dem Drehbuch ändern wird und was hat er getan? Er hat nur den Titel des Films geändert.“
Die offizielle Premiere des Films soll erst im September oder Oktober auf der historischen Schiffswerft in Danzig stattfinden. Vorher will Schlöndorff noch eine Kopie an Anna Walentynowicz schicken. „Wir geben ihr eine Kopie, damit sie diesen Film alleine, privat sehen kann. Sie muss ihn nicht mit anderen Menschen im Kino sehen.“
Henryka Krzywonos, die ebenfalls eine Rolle in der damaligen Streikbewegung gespielt hat und auch an der Erstaufführung in Danzig teilnahm, vermutet, dass Anna Walentynowicz stolz auf den Film wäre. „Sie wird in dem Film noch zu einer größeren Heldin. Und das ist gut so. Sie hat sich das verdient“, so Krzywonos. Andere Zuschauer waren hin- und hergerissen. Eine Zuschauerin sagte, der Film sei ein sehr sehenswerter Spielfilm, über dessen Faktentreue man aber streiten könne: „Ich kenne die Geschichte von einer anderen Seite. Jetzt weiß ich nicht mehr was Realität und was Spielfilm ist.“ Bohdan Mielnik, ein ehemaliger Werftarbeiter, sieht das anderes: „In dem Film hat man die Geschichte so gezeigt, wie sie wirklich war.“
Der neue Streifen von Volker Schlöndorff ist einer der wenigen Filme, der die Zeit der Solidarnosc behandelt. „Ich schäme mich, dass kein polnischer Regisseur diesen Film gemacht hat. Jemand aus Deutschland musste aushelfen“, bedauert die Zeitzeugin Henryka Krzywonos. Der polnische Regisseur Andrzej Wajda, der an der Premiere des Films teilnahm und anschließend gemeinsam mit Volker Schlöndorff den erstmals verliehenen Neptun-Preis der Stadt Danzig für sein filmisches Lebenswerk erhielt, hält dagegen die Zeit noch für zu früh, eine Bilanz über die Solidarnosc zu ziehen. „In der Welt gibt es eine steigende Nachfrage nach solchen Filmen, polnische Staatsbürger sind dafür aber wohl noch nicht reif genug“, so Wajda.Das Drehbuch für „Streik - Vergessene Heldin“ stammt von Andreas Pflüger. Hinter der Kamera stand der Deutsche Andreas Höfer. Produziert wurde der Film gemeinsam von der polnischen Firma Paisa Film und der Berliner Provobis. Finanzielle Unterstützung kam vom Medienboard Berlin- Brandenburg und vom Film- und Fernsehfonds (FFF) Bayern. Besonders aufwändig fiel die Ausstattung aus. Für die Massenszenen auf der Werft mussten gleich einige Tausend Kostüme besorgt werden. Für die zuständige Schneiderin Ewa Krauze eine seltsame Reise in die Vergangenheit. Viel Spielraum hätte sie bei ihrer Arbeit nicht gehabt, beklagt sie sich: „Man weiß ja, im kommunistischen Polen war alles grau und gleichförmig. Man hat sich nur alle zehn Jahre einen Mantel geholt.“
Ende
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