Stiller Abschied von 505 Opfern
Srebrenica: Elfter Jahrestag des Massakers – zwei Drittel der Toten noch nicht gefundenSarajewo (n-ost) – Am elften Jahrestag des Massakers von Srebrenica, dem schlimmsten Massenmord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, werden am Dienstag die sterblichen Überreste von 505 weiteren Opfern beigesetzt. Die Leichen von zwei Dritteln der Getöteten sind noch immer nicht gefunden und identifiziert.Bereits am Samstag (8. Juli) wurden die 505 Särge mit einem Lastwagen-Konvoi zur Gedenkstätte in Potocari bei Srebrenica gebracht. Hunderte von Menschen säumten die Strassen im Zentrum von Sarajewo, als der Konvoi im Schritttempo vorbeifuhr, und nahmen mit zum Gebet erhobenen Händen still Abschied von den Toten. Deren sterbliche Überreste waren aus Massengräbern exhumiert und seit dem Vorjahr identifiziert worden. Am 11. Juli 1995 hatten Einheiten aus Bosnien stammender Serben die zuvor von ihnen belagerte UN-Schutzzone Srebrenica im Osten des Landes erobert und in den darauf folgenden Tagen etwa 8.000 muslimische Männer und Jungen umgebracht.Auf dem Friedhof der Gedenkstätte von Potocari sind bereits 1937 Srebrenica-Opfer beerdigt. 505 Opfer kommen nun hinzu. Doch nach den Leichen von zwei Dritteln der Opfer wird noch immer gesucht. Erst Anfang Juni wurde nahe der Ortschaft Kamenica auf halbem Weg zwischen Srebrenica und Tuzla ein neues Massengrab mit den sterblichen Überresten von mindestens 284 Menschen entdeckt. Alles deutet darauf hin, dass es sich dabei um im Juli 1995 ermordete Muslime aus Srebrenica handelt.Gräber für Srebrenica-Opfer in Potocari/Bosnien, Foto: Norbert RütscheAm Freitag (7. Juli) brachen 600 Personen, unter ihnen viele Überlebende des Massakers, im Dorf Nezuk bei Tuzla zu einem 101 Kilometer langen Gedenkmarsch durch die Wälder zur Zeremonie nach Potocari auf. Nach Angaben der Organisatoren schlossen sich unterwegs etwa 2000 weitere Personen dem „Marsch des Todes – Weg der Freiheit“ an. Auf genua dieser Route, nur in umgekehrter Richtung, hatten nach dem 11. Juli 1995 über 10.000 Männer versucht, vor den serbischen Einheiten zu fliehen. In Nezuk, dem ersten Ort auf damals muslimisch kontrolliertem Gebiet, kam aber nur etwa die Hälfte an. Die anderen wurden gefangen, erschossen, von Granaten und Minen zerfetzt oder starben an Hunger und Erschöpfung. Die diesjährige Gedenkfeier, zu der 30.000 Menschen erwartet werden, hat auf Wunsch der Opfervereinigungen einen rein religiösen Charakter. Ansprachen sind keine vorgesehen. Damit soll verhindert werden, dass Politiker den Anlass als Wahlkampf-Plattform missbrauchen. In Bosnien-Herzegowina finden im Oktober Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag stufte 2001 das Massaker als Völkermord ein. Die Haager Chefanklägerin, die Schweizerin Carla Del Ponte, hat angekündigt, an der diesjährigen Zeremonie zum Gedenken an den Massenmord von 1995 teilzunehmen. 2005 blieb sie der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag des Massakers, an der Politiker aus aller Welt anwesend waren, aus Protest fern. Als Grund gab sie an, sie könne den Angehörigen der Opfer nicht in die Augen sehen, während die mutmaßlich Hauptverantwortlichen für den Genozid, der ehemalige bosnisch-serbische General Ratko Mladic und der frühere politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, noch immer in Freiheit seien. Auch ein Jahr später sind beide weiterhin auf der Flucht.
Für Kasten:Tilman Zülch mit Preis "Srebrenica 1995" ausgezeichnetSarajewo (n-ost) – Tilman Zülch (67), Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International aus Göttingen, ist der zweite Preisträger der Auszeichnung „Srebrenica 1995“. Diese wurde ihm am Montag (10. Juli) von den drei Vereinigungen der Mütter und Witwen der Opfer von Srebrenica verliehen. Zülch hielt während des Bosnien-Krieges direkten Kontakt mit den im belagerten Srebrenica Eingeschlossenen und machte unermüdlich auf ihr Leiden aufmerksam. Unmittelbar nach der Einnahme der Stadt durch bosnisch-serbische Einheiten warnte er vor einem Massaker. Munira Subasic, Vorsitzende der Bewegung „Mütter der Enklaven Srebrenica und Zepa“, sagte, Zülch bekomme die Auszeichnung „für seinen Einsatz im Kampf um die Menschenrechte aller Völker der Welt“. Erstmals wurde der nicht dotierte Preis vor einem Jahr an den früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki vergeben, der von 1992 bis 1995 Sonderberichterstatter der Uno-Menschenrechtskommission für Bosnien-Herzegowina war. Von diesem Amt trat er nach dem Fall von Srebrenica unter Protest zurück. (Norbert Rütsche)
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