Rumänien

Hermannstadt staunt aus hundert Augen

Über Jahrhunderte haben sie den Ereignissen unbewegt zugesehen, die Augen von Hermannstadt (rumänisch Sibiu) in Siebenbürgen. Sie haben im 15. Jahrhundert mehrmals das Türkenheer vor der zur Festung ausgebauten Stadt ausharren und dann erfolglos abziehen sehen, weil gegen die Mauern und Wehrtürme nichts auszurichten war. Sie haben Markttage und rauschende Feste, aber auch Hexenverbrennungen und Hinrichtungen auf dem „Großen Ring“, dem zentralen Platz im Herzen der Stadt, mit angesehen. Sie waren im Dezember des Jahres 1989 Zeugen, wie es die Hermannstädter ihren Landsleuten in anderen Städten gleichtaten und zu Protesten gegen den Diktator Ceauşescu zusammenströmten. Sie haben während dieser revolutionären Ereignisse Steine und Gewehrkugeln durch die Luft fliegen sehen und dabei keinen Augenblick lang gezuckt, diese vielen Hundert Hermannstädter Augen. Scheint es nur so, oder sind die sonst so unbewegt dreinblickenden Augen von Hermannstadt – die charakteristischen Gauben in den roten Ziegeldächern mit ihren mandelförmigen Fensteröffnungen – in diesen Tagen vor Staunen etwas weiter aufgerissen? Sie hätten allen Grund dazu, denn in der Stadt bewegt sich so viel, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. 


Hermannstadt, die 170.000 Einwohner zählende Stadt mitten in Rumänien, bereitet sich darauf vor, 2007 zusammen mit Luxemburg Europäische Kulturhauptstadt zu sein. Rund eine Million Gäste werden für das kommende Jahr erwartet und denen will man sich „historisch“, aber auch „ewig jung“ präsentieren. Diesem Slogan folgen sämtliche auf 2007 ausgerichtete Aktionen, seien sie städtebaulicher, touristischer oder kultureller Natur.Blick auf den Großen Ring in der Altstadt von Hermannstadt/Sibiu, Foto: Anna GalonBis zum Beginn des 12. Jahrhunderts reicht die Hermannstädter Stadtgeschichte zurück. Der erstmals 1191 urkundlich erwähnte Ort wurde von Kolonisten gegründet, die aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in das ungarisch beherrschte Siebenbürgen zogen, - den so genannten Siebenbürger Sachsen. Nicht verwunderlich also, dass die heute mitten in Rumänien gelegene Stadt an süddeutsche Kulturstädte wie Nürnberg und Regensburg erinnert. Die Stadt wurde nach ihrem Gründer Hermann benannt, der rumänische Name Sibiu leitet sich von der lateinischen Bezeichnung „Cibinium“ ab, die die Stadt am Zibinsfluss meint. Auf den Ortsschildern und in offiziellen Akten werden mittlerweile beide Namen parallel benutzt: Sibiu/Hermannstadt.

Die mit eindrucksvollen Mauerringen, Türmen und Basteien bewehrte Stadt lädt bei jedem Spaziergang zu kleinen Zeitreisen in ihre Geschichte ein. Von der mittelalterlichen Stadtmauer ist ein großer Teil in der Südstadt erhalten, stolz erheben sich der Zimmermannsturm-, der Töpfer- und der Armbrusterturm über der Promenade, benannt nach den Zünften, denen der Erhalt und die Bewachung der Türme oblag. In der zum Tal gelegenen Unterstadt kann sich der Spaziergänger mühelos ins Mittelalter zurückdenken. Hier hatten sich die Handwerker dicht an dicht stehende Giebelhäuschen gebaut, die ein kleines Labyrinth von Gassen und Gässchen bilden. Die Patrizier lebten bequemer in der auf dem Hügel thronenden Oberstadt, in Wohntürmen und später in Häusern mit geräumigen Innenhöfen. Charakteristisch für den so genannten „Kleinen Ring“, wo die verschiedenen Handwerker und Zünfte ihre Werkstätten und Verkaufsläden errichteten, sind die Häuschen mit den Laubengängen, in denen die Hermannstädter in früherer Zeit auch bei Regenwetter trockenen Fußes flanieren konnten.

Die wertvolle Bausubstanz aus mehreren Jahrhunderten wurde nie durch Feinde beschädigt, wohl aber durch die Arroganz der kommunistischen Machthaber, die lieber Trabantensiedlungen im grauen Einheitslook rund um die Altstadt hochzogen, statt für den Erhalt des architektonischen Schatzes zu sorgen. Das Zentrum kam bis vor wenigen Jahren trist und heruntergekommen daher. „50 Jahre Kommunismus haben Narben in der Stadt zurückgelassen“, sagt Klaus Johannis, seit dem Jahr 2000 Hermannstädter Bürgermeister. Diese Narben will der Siebenbürger Sachse, der letztes Jahr als Mitglied einer nationalen  Minderheit von einer überragender Mehrheit der Rumänen in sein Amt wieder gewählt wurde, in Rekordzeit heilen. Darum hat er fast die gesamte Stadt zur Großbaustelle erklärt, nicht nur die Plätze und Gässchen der Altstadt werden gepflastert, auch 70 Häuserfassaden werden restauriert. „Mich freut, dass die Veränderungen bereits sichtbar sind. Viele Gebäude und Stadtteile haben den Reiz wieder gewonnen, für den Hermannstadt bekannt war“, so Johannis.

Die 101 Hektar mittelalterlicher Architektur haben auch die UNESCO beeindruckt, die derzeit die mögliche Aufnahme der Altstadt in die Welterbe-Liste prüft. Die Renovierungsmaßnahmen und den Ausbau der Infrastruktur lässt sich die Stadt Hermannstadt allein in diesem Jahr rund 22,5 Millionen Euro kosten, eine enorme Summe in Rumänien, in dem das Durchschnittsgehalt bei 150 Euro liegt. Unterstützung erhalten die Stadtväter vom rumänischen Kulturministerium, das Hermannstadt mittlerweile als Visitenkarte für ganz Rumänien betrachtet. Die boomende Stadt soll stellvertretend im Westen weitere Sympathien für das Land erwerben, das zum 1. Januar 2007 den EU-Beitritt anstrebt. Nicht zuletzt deshalb wurden der Stadt von der rumänischen Regierung mehrere Millionen Euro für den Ausbau des Flughafens zugestanden.

Der agile Bürgermeister Johannis, dem die Rumänen gerade seine „deutschen Tugenden“ Pünktlichkeit, Sorgfältigkeit und Fleiß positiv anrechnen, baut bei seiner kulturellen und wirtschaftlichen Wiederbelebung Hermannstadts auch auf Unterstützung aus dem deutschsprachigen Ausland. Das seit Johannis Amtsantritt spürbare wirtschaftsfreundliche Klima der Stadt loben deutsche Unternehmen wie Continental, Brandl oder ThyssenKrupp, die in ihren hiesigen Niederlassungen junge Hermannstädter beschäftigen und somit die Kaufkraft stärken. Schon seit mehreren Jahren macht sich die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) um die Altstadtsanierung verdient. Den Auftrag zur die Erneuerung der Straßen- und Gebäudebeleuchtung führt die Firma Siemens Gebäudemanagement & Services, eine Abteilung von Siemens Austria, aus. Fehlt nur noch, dass Hermannstadt in großem Stil von deutschen Touristen entdeckt wird. Abenteuerfreudigen Individualreisenden ist es schon länger bekannt, seit einigen Jahren wagen sich auch Kultur liebende Pauschaltouristen und Familien her. Die spazieren begeistert durch die neun Museen der Stadt und wundern sich, dass sie diese Kulturfülle nicht schon früher entdeckt haben.

Immerhin steht hier das älteste öffentliche Museum Südosteuropas, das 1817 eröffnete Brukenthalmuseum. Begründet wurde es vom Gouverneur Baron Samuel von Brukenthal (1721-1803), einem siebenbürgisch-sächsischen Beamten und leidenschaftlichen Sammler, der zu Lebzeiten einen beachtlichen Kunstschatz zusammentrug. Heute umfasst das Museum eine Gemäldegalerie, ein Kupferstichkabinett, eine Münzsammlung, eine Bibliothek und eine Mineraliensammlung. Im Jahr 1968 wurden acht wertvolle Gemälde aus dem Museum gestohlen, von denen vier 30 Jahre später in den USA entdeckt und an das Museum zurückgegeben wurden, darunter der „Ecce homo“ von Tizian. Der Ratsturm verbindet den Großen mit dem Kleinen Ring. Vom Turm aus hat man einen Ausblick über das rote Dächermeer des konzentrisch gewachsenen Hermannstadt mit seinen vier freien Plätzen. Aus dem Dächermeer ragen die Türme der vier größeren Kirchen hervor. Die Evangelische Stadtpfarrkirche, deren Bau 1320 begonnen wurde, ist das wohl imposanteste Bauwerk der Stadt.

In den steinernen Gang zwischen den dicht an dicht stehenden Holzbänken haben die Kirchgänger über Jahrhunderte eine tiefe Mulde eingetreten, in der so genannten Ferula sind die Grabplatten wichtiger Stadtpersönlichkeiten ausgestellt. Die orthodoxe Kathedrale, ein rot-gelb verklinkerter Bau mit großer Kuppel und vier Türmchen, ist der Hagia Sophia in Istanbul nachempfunden. Ebenfalls im Zentrum liegen die katholische Stadtpfarrkirche und die reformierte Kirche. Vier religiöse Kulte und mehrere nationale Minderheiten leben in Hermannstadt seit jeher zusammen. Noch 1930 machten die Deutschstämmigen fast die Hälfte der Stadtbevölkerung aus. Heute leben in der Stadt mehrheitlich Rumänen, 3.400 Ungarn, rund 2.700  Siebenbürger Sachsen und etwa ebenso viele Roma. Hermannstadt hat auch erlebnishungrigen und feierfreudigen Gästen etwas zu bieten. In den Frühjahrs- und Sommermonaten vibriert die Stadt, die Straßen sind bis in die Nacht von Leben erfüllt. Berühmt ist Hermannstadt für seine Festivals, die international besetzt und vor allem bei jungen Leuten sehr beliebt sind. Dazu gehören das Jazz-Festival, das Theaterfestival im Mai und das mittelalterliche Festival im Spätsommer, bei dem der Bürgermeister höchstpersönlich in historischer Kluft erscheint.

Die Stadt ist sehr jung. 30.000 Studenten besuchen die hiesige Universität und mehrere Privatakademien, zahlreiche Cafés, Bars und Clubs wurden eröffnet. Besonders reizvoll sind die Lokale in den Kellern der Altstadt.„Allein für eine Tour durch all unsere guten Kneipen braucht man mehrere Tage“, weiß Radu Coica. Der 27-jährige bietet mit seinem Team thematische Stadtführungen in Hermannstadt und Ausflüge durch Siebenbürgen an. Wer nach Hermannstadt kommt, sollte nicht nur Kultur tanken, rät er, viele andere Aktivangebote warten. „Es gibt sehr schöne Wanderwege durch die Karpaten, rund um Hermannstadt kann man aber auch Paintball spielen, im Winter Ski laufen und vieles mehr.“ Auch Cristian Valentin Cismaru (29), Geschäftsführer eines Reiseunternehmens, weist auf die geografisch günstige Lage von Hermannstadt hin. „Von hier aus kann man an sieben Tagen eine Reise in jedwede Richtung des Landes unternehmen.“
 
Der Titel „Kulturhauptstadt“ ist für die Stadt, die aus ihrem touristischen Dornröschenschlaf erwacht, daher nicht nur eine Ehre, sondern auch ein positives Druckmittel. Er soll dabei helfen, nachhaltige Kultur- und Tourismusangebote zu schaffen, meint Cristian Radu, damit Hermannstadt dauerhaft ein leuchtender Punkt auf der Landkarte westlicher Urlauber bleibt. Der Vorsitzende des für die Organisation des Ereignisses zuständigen Kulturhauptstadt-Büros scherzt gerne: „Hermannstadt als Kultur(haupt)stadt beginnt erst im Jahr 2008. Im nächsten Jahr feiern wir eigentlich nur den Geburtstag eines neugeborenen Kindes.

Entscheidend ist, wie es nach 2007 weitergeht.“  Das soll natürlich nicht heißen, dass die „Geburtstagsparty“ nicht ordentlich gefeiert wird. Das Kulturhauptstadt-Büro feilt noch am endgültigen Kulturprogramm, in einer Vorversion verspricht es bereits jede Menge Show und Erlebnis. Hermannstadt und seine Gäste werden übers Jahr verteilt rund 200 glanzvolle Musik-, Theater-, Tanz- und andere Kulturevents erleben. Los geht es in der Silvesternacht. „Es wird eine große Show geben, die nicht nur an einem Ort stattfinden wird. Die gesamte Stadt wird das Gefühl haben, ein Teil der Eröffnungsfeier zu sein“, verspricht Radu. Außerdem, so verrät er, werden die Augen Hermannstadts an dieser Show mitwirken: Sie werden in dieser Nacht allesamt hell leuchten und das Kulturhauptstadtjahr begrüßen.


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