Kroatien

„Eine tragische Persönlichkeit“

Eine „Monographie über die Leiden Dubrovniks“ bringen Journalisten der Zagreber Wochenzeitung „Globus“ dem Dichter Peter Handke mit, als sie ihn in seinem Haus in Chaville bei Paris besuchen. Das Haus ist wie ein serbisches Kloster ausgestattet – Aufnahmen davon gestattet der Dichter nicht. „Es könnte ja ein kroatischer Ustascha herkommen und mich überfallen“, so Handke. Die Anwesenheit kroatischer Pressemenschen duldet er, ihr Gastgeschenk blättert er gelangweilt durch: „Ich war vor Kriegsausbruch in Dubrovnik, habe da meinen 45. Geburtstag gefeiert. Dubrovnik soll gelitten haben? Wer könnte so verrückt sein, es zerstören zu wollen? Dubrovnik ist nicht angegriffen worden, und falls doch, dann bestimmt nicht das Zentrum oder die Altstadt“. So beginnt ein Interview, das aus der Flut von Pro- und Kontrastimmen zu Handke in letzter Zeit hervorsticht. Es erscheint am Sonnabend, den 1. Juli, im Zagreber „Globus“, und Handke gibt sich in ihm multidimensional und schwer zu fassen.

Den Journalisten bietet er grenzenlose Gastfreundschaft und rüde Reden, beste Weine, feinstes Essen samt Brachial-Flüchen serbischer Provenienz, manchmal kluge Statements und meist hanebüchenen Unsinn unter jugoslawischem Banner auf dem Balkon sowie musikalische Dauerberieselung der Marke Belgrader Turbo-Folk, gesungen von Ceca, der Witwe des Kriegsverbrechers Arkan. Diese und weitere Provokationen nehmen die Besucher aus Kroatien ungerührt hin, genau wie Handkes gelegentliches Mauern: „Wenn das Ihre Meinung ist, haben wir uns nichts zu sagen!“ Die Kroaten wollen eingangs von ihm wissen, „warum Sie sich nach kroatischer und internationaler Meinung dem Aggressor anbiederten“. Handke keilt massiv zurück: „Serbien war nie ein Aggressor“, „alle Urteile über Groß-Serbien sind völlig falsch, denn die viel größere Gefahr war die Schaffung Groß-Kroatiens“, „Kroatien wollte Bosnien aufteilen, aber Milosevic hat in Serbien keine entsprechenden Befehle gegeben“, „ich habe niemals etwas über Kroaten oder Muslime gesagt, ärgere mich aber seit 1991 über die Slowenen, denn Slowenen haben Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee getötet“ und so weiter. Alles wie gehabt. Im Verlauf des Interviews geht es ruhiger zu. Handke gibt sich als Jugoslawien-Nostalgiker zu erkennen: Der Krieg brach seinerzeit „nicht auf kroatischem Territorium aus“, denn „damals gehörte alles noch zu Jugoslawien, wenn ich mich recht erinnere“. Und so geht es weiter. „Es gab keinen Grund, dass ihr auseinander gegangen seid, aber viele Gründe für ein Zusammenbleiben – die gemeinsame Geschichte, die gemeinsame Sprache“. Und: „Ich wünsche mir, dass kroatische und serbische Übersetzer gemeinsam meine Bücher übersetzen“. Für die angereisten Journalisten aus Kroatien muss das schwer verdaulich klingen – Kroaten wollten bereits vor zehn Jahren das Wort „Serbokroatisch“ als Bezeichnung der Idiome von Kroaten und Serben als internationales „Unwort“ geächtet sehen. 

Handke wäre nicht Handke, würde er seine bekannten, zumindest diskussionswürdigen Aussagen über Jugoslawien und den Krieg nicht gleich wieder umstürzen: „Milosevic war immer unschuldig, er war der einzige aufrichtige Verfechter Jugoslawiens, er sprach sich gegen den Separatismus Kroatiens und Sloweniens aus“. „Eine tragische Persönlichkeit“, „es gibt keinen einzige Schuldbeweis gegen Milosevic“. „Ich habe ihn zusammen mit Harold Pinter im Gefängnis von Scheveningen besucht, drei Stunden mit ihm geredet, sollte sogar als Zeuge seiner Verteidigung auftreten“. „Erst mit seinem Tod erreichte die jugoslawische Idee ihr Ende“ und ähnliches mehr. „Ich bin ein emotionaler Mensch, schaue mir die Dinge aus der Nähe an, habe ein Wahrheitsempfnden und das Bedürfnis zu reagieren, kollidiere aber mit dem neuen moralischen Despotismus“ – so oder ähnlich antwortet Handke stets, wenn das Interview einmal konkret zu werden droht. Besonders bei literarischen Fragen, die im letzten Interviewteil zur Sprache kommen: Der Hinauswurf aus der Comédie Francaise? „Ein großer Krieg der Worte in Frankreich und Europa. Im Übrigen bedeutet mir das Theater weit weniger als die Literatur“. Der aberkannte Heine-Preis? „Ich habe ihn abgelehnt, denn ich brauchte ihn nicht mehr, nachdem ich genügend öffentliche Aufmerksamkeit auf mich gelenkt hatte“. Die stürmische Handke-Debatte der letzten Monate? „Ich habe mich zwar als Opfer gefühlt, blieb aber kaltblütig – ich wollte nicht, dass andere mich als Opfer erleben“.

Sein Renommee als Literat? „Meine Bücher werden schlechter verkauft, aber zum Glück kann ich von der Literatur leben. Sorgen würde ich mir höchstens machen, wenn man den Buchhandlungen den Verkauf meiner Bücher verböte“.Für diesen Extremfall hat Handke vorgesorgt: Im September 2006 werden zwei seiner Bücher in kroatischer Übersetzung vorliegen. Zudem räumt er ein, an einem neuen Werk zu sitzen: Der „tragische“ Milosevic habe ihn zu „einem neuen Roman inspiriert, darum war ich auch auf Wunsch seiner Familie beim Begräbnis in Posharevac, um die Atmosphäre des Ortes aufzunehmen, in dem er geboren wurde und lebte“. 


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