Polen

„Es gibt in Polen eine große Bereitschaft, die Deutschen zu mögen“

Interview mit dem Kabarettisten Steffen Möller über sein erfolgreiches Leben in WarschauFrage: Sie gelten als derzeit bekanntester und beliebtester Deutscher in Polen. Wie haben Sie das geschafft?Möller: Nach sechs Jahren Deutschunterricht als Lektor an der Universität Warschau bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe mit Kabarett angefangen. Ein Kabarettpreis hat mir die Tür zur Showkarriere geöffnet. Wichtig ist vor allem eins: Das Publikum muss spüren, dass ich Polen mag. Und das muss ich nicht einmal spielen – ich wohne ja nicht umsonst schon elf Jahre hier. Ich hatte kein einziges Mal eine ernsthafte Versuchung, das Land wieder zu verlassen. Es ist einfach zu gut hier.Frage: Wie hat sich Polen in diesen elf Jahren verändert?Möller: Das Leben ist teurer geworden, beispielsweise sind die Preise für Wohnungen um das fünf- bis sechsfache gestiegen. In Warschau gibt es große Einkaufszentren und mehr Wolkenkratzer als in Berlin. Die Frauen sind westlich gekleidet, tragen kaum noch Röcke und Baretts. Als ich Mitte der 90er Jahre nach Warschau kam, lieferten die Kohlehändler ihre Kohle mit Pferdefuhrwerken aus und auf den Straßen sah man viele Maluchs, die polnische Trabbi-Variante. Alles verschwunden. Das kann heute nur noch in der Provinz beobachten.Frage: Haben sich Ihre polnischen Mitbürger verändert?Möller: Die Menschen sind selbstbewusster geworden, weil sich jetzt viele Träume erfüllen lassen. Leider sind sie durch die Verwestlichung auch konsumorientierter geworden, dadurch ging diese gewisse Exotik verloren, die mich 1995 nach Polen zog. Früher haben die Studenten, die ich an der Universität unterrichtete, sehr viele Gedichte geschrieben. Heute ist das eine Seltenheit, eher melden sie sich zum Casting bei MTV.Frage: Wie verhalten sich die Polen Ihnen als Deutscher gegenüber?Möller: Äußerst freundlich, höflich und mit großer Sympathie. Ich habe nie erlebt, dass ich wegen meiner Nationalität beschimpft oder angegriffen wurde, mal abgesehen von einigen Betrunkenen. Mein Eindruck ist vielmehr, dass die Polen 50 Jahre darauf gewartet haben, einen sympathischen Deutschen zu treffen. Es gibt hier trotz der leidvollen Erfahrungen des letzten Krieges eine große Bereitschaft, die Deutschen zu mögen. Der deutsche Kabarettist Steffen Möller, umringt von Schülern aus Lublin Frage: Fällt es schwer, als Deutscher in Polen Kabarett zu machen und heikle politische Themen wie das deutsch-russische Gaspipelineprojekt, das Zentrum gegen Vertreibungen oder die Preußische Treuhand außen vor zu lassen?Möller: Mein Kabarett ist vor allem auf Alltagsgeschichten fixiert: Beobachtungen der polnischen Mentalität aus der Sicht eines Ausländers, der Polnisch spricht. Die polnische Sprache bietet dafür ein großes Feld für Verrenkungen, ist gleichzeitig aber mein Kapital. Natürlich gibt es auch hier viele Klischees über Deutschland: Drittes Reich, Konzentrationslager, Blitzkrieg und bayerisches Alpenglühen. Das sind Bilder, die überall in der Welt von uns existieren und die ich für meine Shows nutze. Gaspipeline oder das Zentrum habe ich noch nicht verarbeitet, wohl aber die enge Zusammenarbeit des früheren Kanzlers Gerhard Schröder mit dem russischen Staatskonzern Gasprom. Das wird hier in Polen natürlich ganz kritisch gesehen. Angela Merkel ist dagegen bislang um einiges beliebter, da hoffe ich in Zukunft auf ein bisschen mehr Zündstoff. Frage: Bislang nehmen Sie in Ihren Rollen vielen Polen die Ängste vor den Deutschen. Reizt Sie nicht einmal die andere Richtung, nämlich Vorurteile der Deutschen gegenüber dem östlichen Nachbarn abzubauen?Möller: Es gab schon mehrere Anfragen aus Deutschland. Ich habe das bislang immer abgelehnt, weil ich hier in Polen Kabarett in polnischer Sprache mache. Wieder in Deutschland mit allen Klischees über Polen mit Pferdefuhrwerk, Autodiebstahl und Prostituierten anzufangen, ist für mich kein Thema. Allerdings habe ich grandiose Auftritte auf Polnisch bei der „Polonia“ in Karlsruhe, Wuppertal und Berlin. Die in Deutschland lebenden Polen wissen sogar häufig noch bessere Gags als ich, weil sie mit den beiden Welten vertraut sind. Frage: Inwiefern sind Sie in den in den vergangenen zehn Jahren selbst polonisiert worden?Möller: Ich bin gastfreundlich geworden, biete Gästen Tee und Hausschuhe an, wohlgemerkt kostenlos. Zudem verhalte ich mich mehr wie ein Gentleman: Ich halte Frauen die Tür auf, gehe nicht mehr als erster aus dem Aufzug und sage auch zu mir unbekannten Personen Danke, wenn ich mich nach einem Essen im Restaurant vom gemeinsamen Tisch erhebe. Frage: „Was willste denn in Asien“, meinten Freunde, als Sie nach Polen aufbrachen. Haben Sie deren Vorurteile abbauen können?Möller: Ja, aber eigentlich erst durch das Bundesverdienstkreuz. Erfolge im Ausland gelten im eigenen Land kaum etwas. Das kann ich gut verstehen: Wenn mir einer erzählen würde, er sei Superstar in Ungarn, würde ich auch nur mit den Schultern zucken. Das Verdienstkreuz hat sie aber umgehauen. Jetzt hat der Junge doch noch einen soliden Lebensweg eingeschlagen, sagte mein Vater.
Infokasten Steffen Möller:
Steffen Möller zog es 1995 nach dem Studium der Theologie und Philosophie an der FU Berlin nach Polen. Dort arbeitete der 1971 geborene Wuppertaler anfangs als Deutschlehrer an einem Gymnasium, später als Dozent für Germanistik an der Warschauer Universität. Den Durchbruch schaffte Möller 2002, als er beim nationalen Kabarettwettbewerb „Paka“ den zweiten Platz belegte. Mittlerweile ist Möller deutscher Serienheld in der Soap Opera „M jak milosc“ und in der Europashow „Europa da sie lubic“ (Liebenswertes Europa) zu sehen. Außerdem macht er weiter Kabarett, aber nahezu ausschließlich in polnischer Sprache. Für seine Verdienste um das deutsch-polnische Verhältnis erhielt er 2005 das Bundesverdienstkreuz. Derzeit arbeitet der in Warschau lebende Kabarettist an seinem ersten Buch. „Polska da sie lubic“ (Liebenswertes Polen) beschreibt auf 100 Seiten polnische Eigenheiten und soll im Herbst erscheinen. Ursprüngliche geplante Höhe der Auflage: 50.000. Bislang gingen Vorbestellungen für 70.000 Exemplare ein. ---------------------------------------------------------------------------------
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