Das beste Einkaufszentrum der Welt
Das beste Einkaufszentrum der Welt liegt in Polen In Posens alter Brauerei „Stary Browar“ ergänzen sich Kultur und Kommerz perfekt.
Posen (n-ost) - „Berlin hat das nicht” – behauptet ein selbstbewusstes Werbeplakat im polnischen Posen. Angepriesen wird eine Sehenswürdigkeit, für die die Provinzstadt landesweit bekannt ist und die noch vor wenigen Jahren wohl niemand in einem Land des ehemaligen Ostblocks vermutet hätte: das beste Einkaufszentrum der Welt. Wohl selten wurden Shoppen und Kultur derart geschickt miteinander verwoben, wie in Posens „Stary Browar”, der alten, von einem Württemberger 1844 gegründeten Brauerei. Wie gut dort Kunst und Kommerz zusammenpassen, lässt sich vom 30.6. bis 7.7. wieder studieren. Dann findet in der „Stary Browar” das Tanzprogramm des Internationalen Tanz- und Theaterfestivals „Malta” statt. Während andernorts ein bisschen Kultur das Einkaufserlebnis würzen soll, ist es in Posen umgekehrt: Kunst und Architektur stehen in der alten Brauerei im Vordergrund. Bereits von außen erinnert der Backsteinkomplex an mutige Architekturentwürfe wie das Pariser Centre Pompidou und ist von der klassischen Karstadt-Filiale so weit entfernt, wie ein Rolls-Royce vom VW-Käfer. Wer dann den Weg durch den Haupteingang nimmt, kommt erst richtig ins Staunen: Statt Rolltreppen trifft der Besucher auf ein mit Parkett ausgeschlagenes Atrium, über dem sich eine atemberaubende Deckenkonstruktion wölbt. Die Einkaufsetagen fassen den hohen Saal wie Opernränge ein, scheinen aber quasi nur aus Stabilitätsgründen zu existieren. Täglich lockt das Architektur- und Kulturzentrum mit angeschlossenem Einkaufsbetrieb 27.000 Besucher an. Am bisherigen Rekordtag kamen sogar 55.000 Menschen, rein rechnerisch jeder zehnte Einwohner der 250 Kilometer östlich von Berlin gelegenen Stadt Posen.Ausgedacht hat sich „Stary Browar“ die Kunstmäzenin Grażyna Kulczyk – die Frau von Jan Kulczyk, einem der reichsten Polen überhaupt. Sein Vater Henryk wanderte 1956 nach Berlin aus und verdiente sich dort als Kaufmann die erste Million zusammen. Sohn Jan bekam vom Vater ein ordentliches Startkapital und machte unter anderem als Importeur von Luxusautos in Polen ein eigenes Vermögen. Das weit verzweigte Familienimperium, zusammengefasst in der Kulczyk-Holding, wird inzwischen auf einen Wert von vier Milliarden Dollar geschätzt.
Hier treffen Kultur und Konsum aufeinander: Das Einkauszentrum Stary Browar in Posen. Foto: Monika Piotrowska
Sage und schreibe 66 Millionen Dollar investierte das Ehepaar Kulczyk in den ersten Bauabschnitt des Posener Brauereikomplexes. Mindestens ebenso viel wird ein Erweiterungsbau kosten, der Anfang 2007 eröffnet werden soll. Grażyna Kulczyk erzählt gerne, wie sie Mitte der 90er Jahren auf Spaziergängen an der damals brachliegenden Brauerei vorbeikam. Gegründet worden war sie 1844 von dem aus Württemberg stammenden Bierbrauer Ambrosius Hugger. Dessen Söhne führten bis 1921 die Brauerei Hugger zu großer Blüte. Noch am Ende des Ersten Weltkrieges wurden hier 72.000 Hektoliter Bier gebraut. Dann kam Posen 1918 zurück zu Polen, die Brauerei wechselte den Besitzer und prosperierte weiter, bis 1980 der Betrieb eingestellt wurde. Das Gelände verfiel. Seine Rettung begann mit einem alternativen Theater, dass Ende der 90er Jahre hier einzog.Kunst als Magnet und der Kommerz zur wirtschaftlichen Absicherung – mit diesem Konzept rettete Grażyna Kulczyk die einzigartige Brauereiarchitektur und nebenbei ein ganzes Stadtviertel, das in Vergessenheit geraten war. Bei der Renovierung und Überplanung wurden alte und neue Bausubstanz so gut mit einander verbunden, dass der Betrachter sie kaum auseinander halten kann. Die Planung, das ist das verblüffende, stammt nicht von einem internationalen Stararchitekten, sondern vom lokalen und bislang unbekannten Architekturbüro ADS. Ende 2005 erkannte der Internationale Rat für Einkaufszentren ICSC der „Stary Browar“ den Hauptpreis im Wettbewerb „International Design and Development Awards“ zu, eine Art Oskar für Shopping-Malls, der in Phoenix/Arizona verliehen wird. Der Komplex gehört inzwischen zu den Ikonen der neuen polnischen Architektur und sammelt munter weitere Preise, zuletzt im Mai 2006 den „Central Eastern Europe Property Award“ für das beste Einkaufszentrum.Flächenmäßig steht im Posener Zentrum der Kunst mehr Raum zur Verfügung als den Geschäften. Der derzeit in Angriff genommene zweite Bauabschnitt wird dieses Verhältnis leicht verändern, aber die Kunst bleibe das Herz des ganzen Komplexes, stellt Grażyna Kulczyk klar. Wenn man mit dem Aufzug oder einer Rolltreppe in die zweite Etage fährt, erreicht man den Kunsthof, den Kern der alten Brauerei. Im Sommer füllt sich hier der Biergarten, dutzende Besucher sitzen im Schatten der ehemaligen Mälzerei. Am Wochenende treten hier Musiker und Straßenkünstler auf. Der Eintritt ist in der Regel frei. Junge Maler, Theater- und Filmemacher finden in der Brauerei eine Bühne, auf der sie sich präsentieren können. Auch für Experimentalmusik und Tanzveranstaltungen steht die „Stary Browar“ offen.„Große Kunst für alle“, das ist das Ziel von Grażyna Kulczyk, deshalb hat sie das Einkaufszentrum mit teuren Kunstwerken ausgestattet. Am auffälligsten ist dabei der Guss eines riesigen und trotzdem filigranen, weiblichen Gesichts, das der weltbekannte polnischer Bildhauer Igor Mitoraj geschaffen hat. Es ist der Blickfang im Atrium.
Höhepunkt des Kulturjahres in Posen ist das Festival „Malta“, das in diesem Jahr vom 30. Juni bis 7. Juli stattfindet. Es ist Polens größtes Festival des unabhängigen Theaters und Tanzes. In der ganzen Stadt, vor allem am Malta-See finden Theateraufführungen statt. Die „Stary Browar“ beherbergt die Tanzveranstaltungen. In diesem Jahr sind Auftritt internationale bekannter Tänzer wie Xavier le Roy und Boris Charmatz (Frankreich), Willi Dorner (Österreich) und Anouk van Dijk (Niederlande) geplant. Für Posen ist die alte Brauerei zum Glücksfall geworden. Hunderte von Arbeitsplätzen sind an einem Ort entstanden, der eigentlich dem Verfall preisgegeben war. Und bei Touristen läuft „Stary Browar“ inzwischen dem Posener Schloss Kaiser Wilhelms II. den Rang ab. Wen interessiert es da, dass dieser Glücksfall nach Ansicht der Gerichte wohl nicht ganz legal zustande kam: Der Stadtpräsident, vergleichbar mit dem deutschen Oberbürgermeister, soll das städtische Grundstück seinerzeit Grażyna Kulczyk 50 Prozent unter Wert verkauft haben.Ende