Geschichts-Vergleich als Methode
Ein Teil der polnischen Presse polemisiert gegen Deutschland. Die Bürger sind vernünftiger.
Warschau (n-ost) - Die Story über die deutsch-russische Ostsee-Pipeline hatte es in sich: „Das Gasabkommen ist aggressiver als der Pakt von 1939“ zwischen Hitler und Stalin, schrieb das Warschauer Politmagazin „Wprost“ und fügte hinzu: „Die Ziele beider Dokumente sind außerdem gleich – sich den Einfluss zwischen Russland und Deutschland zu teilen. Der Druck, den die deutsche Kanzlerin auf die baltischen Staaten und Polen ausübt, ergänzt sich mit den Drohungen Russlands.“In einem Teil der polnischen Presse kommt Deutschland häufig schlecht weg. Besonders „Wprost“ (auf deutsch: Direkt) polemisiert gern gegen das Nachbarland. Die rechte Zeitschrift liegt mit 165.000 Exemplaren in der Lesergunst auf Platz zwei unter den sechs Nachrichtenmagazinen Polens. Zum bislang größten Politikum entwickelte sich die Titelbildmontage aus dem September 2003 mit der Vorsitzenden des Bundes der Vertreibenen, Erika Steinbach, in Nazi-Uniform, reitend auf dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auch die polnische Regierung wies die Darstellung damals als geschmacklos zurück.Doch das Magazin blieb angriffslustig. „Putin-Schröder-Pakt. Die Gas-Umkreisung Polens“, machte es im Juli 2005 auf. Schon damals verglich „Wprost“ den Vertrag für die Gasleitung mit dem Hitler-Stalin-Pakt, der den Zweiten Weltkrieg einleitete und zur Aufteilung Polens zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion führte. In einem extra Kasten führte das Blatt alle „feindlichen Pakte“ von Deutschland und Russland seit 1762 auf und hob mit einem Bild besonders die Unterzeichnung des Paktes von 1939 vor.Für den Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, Klaus Ziemer, ist der Vergleich mit dem Hitler-Stalin-Pakt zwar unbegründet, aber keine Überraschung: „Mir war klar, dass die Ostsee-Pipeline in Polen solche Assoziationen auslösen würde. Diese Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Russen über die Köpfe Polens hinweg muss hier zumindest Erstaunen auslösen.“ Warschau befürchtet, dass Russland künftig Polen erpressen und den Gashahn zudrehen könnte. Die bisherigen Transitleitungen durch Polen nach Westeuropa schließen das angeblich aus, weil sonst auch die anderen Länder kein Erdgas erhalten würden.Ein Denkmal für den Kniefall Willy Brandts. Foto: Andreas MetzDen Vorwurf, „antideutsch“ zu sein, weist „Wprost“ von sich. „Das stimmt nicht“, sagt Inlandschef Cezary Gmyz. „Wir sind zwar ziemlich oft kritisch, schreiben aber auch positiv über Deutschland. Zum Beispiel über Deutsche, die nach Polen auswandern.“ Auch wenn Gmyz sich nicht damit brüsten will, räumt er ein: „Wir waren die Ersten, die den Vergleich mit dem Hitler-Stalin-Pakt zogen.“ Erst dann schlossen sich Politiker an. Ende April berief sich auch der polnische Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski bei einer Veranstaltung in Brüssel auf diesen Vergleich.Doch die teilweise negative Stimmung gegenüber Deutschland gehe eigentlich nicht so sehr von der Presse aus, meint die Posener Deutschlandexpertin Anna Wolff-Poweska. „Die feindseligen Äußerungen über Deutschland stammen in erster Linie von rechtsradikalen Politikern, die selbst Opfer eines Deutschlandbildes sind, das auf den schlimmen Erfahrungen der Polen im Zweiten Weltkrieg und der späteren kommunistischen Hetzpropaganda gegen die Bundesrepublik beruht.“ Nun nutzten sie dieses Deutschlandbild zynisch für ihre persönlichen Karriereinteressen aus.Selbst der Axel Springer Verlag wurde verdächtig, in Polen von Vorbehalten gegen Deutschland profitieren zu wollen. Der Berliner Konzern brachte Ende 2003 in Warschau das Boulevardblatt „Fakt“ heraus, die inzwischen mit einer Auflage von über einer halben Million größte Tageszeitung des Landes. „Fakt hat zumindest in der Anfangsphase mit antideutschen Parolen gearbeitet, um Leser zu gewinnen“, kritisiert Politikprofessor Ziemer. Der Verlag bestreitet das.Ein „Fakt“-Kommentator konterte im Mai den Antisemitismus-Vorwurf des Hamburger Magazins „Spiegel“ gegen den rechtsextremen polnischen Radiosender Maryja so: „Ich glaubte, dass Deutschland als Volk für immer das Recht verloren habe, andere zu belehren, wie man mit Juden umgehen soll, was man über sie sagen und schreiben darf.“Die Qualitätstitel „Gazeta Wyborcza“ (Wahlzeitung) und „Rzeczpospolita“ (Republik) berichten hingegen differenziert über die Bundesrepublik. Das Nachbarland ist bei ihnen fast täglich Thema, nicht selten gleich mit mehreren Beiträgen. Häufig laden sie deutsche Politologen und Journalisten zu Gastbeiträgen ein.Trotzdem macht der Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, Dieter Bingen, einen negativen Trend in der Berichterstattung aus: „Die polnische Presse berichtet seit einigen Jahren eindeutig tendenziell negativer über die deutsche Politik. Es wird oft auf historischen Stereotypen herumgeritten.“ Das liege daran, dass die Entwicklung in Deutschland nicht wirklich verstanden werde. Dies sei aber auch in anderen Ländern so. „Die britische Presse schreibt ja immer wieder über die Deutschen, als würden hier noch die Nazis regieren. Aber da sind wir in Deutschland nicht so empfindlich wie bei Polen“, sagt Bingen.Die Bundesregierung und die deutsche Botschaft in Warschau schließen sich der Einschätzung des Polenexperten nicht an. „Eine generelle Tendenz ist schwer auszumachen“, erklärt eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Nur soviel: „Grundsätzlich ist das Deutschlandbild in der polnischen Presse sehr viel stärker durch die historische Dimension des deutsch-polnischen Verhältnisses geprägt.“ Das gerade zu Ende gegangene deutsch-polnische Jahr sei indes gut angekommen, mit über 200 überwiegend positiven Berichten in Polen.Ohnehin wird die Meinung der Polen von Deutschland seit Jahren kontinuierlich besser. Das betont auch die Politikprofessorin Wolff-Poweska: „Demoskopische Untersuchungen zeigen, dass die Einstellung der Mehrheit der polnischen Bevölkerung zu den Deutschen viel vernünftiger ist als das von einigen Medien gezeichnete Bild.“ 80 Prozent der Polen glauben laut einer Umfrage vom Mai an freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen zur Bundesrepublik.*** Ende ***---------------------------------------------------------------------------------
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