„Gljuk auf, futbol...!“
Osteuropas WM-Berichte und die deutsche Sprache
Kerpen (n-ost) – Deutsch ist die „allgemeine Slawensprache“, soll Lenin einmal gesagt haben. Das stimmt zwar nicht, ist aber auch nicht völlig falsch, zumal dank flüssiger Deutschkenntnisse von Tschechen, Ungarn und anderen neuen Mitgliedsländern die deutsche Sprache in der EU auf den zweiten Rang vorgerückt ist. Viele Osteuropäer sprechen gut deutsch – seit etwa tausend Jahren. Sprachhistoriker haben drei „Einfallstore“ des Deutschen ausgemacht: den Bergbau im 12. Jahrhundert, das Militärwesen im 14. und die Technik ab dem 17. Jahrhundert. Mag Englisch derzeit auch in Wirtschaft und Computertechnologie dominieren – Deutsch ist in Osteuropa immer noch in allen Lebensbereichen verankert. Was gerade in diesen Tagen zu beweisen ist – durch freundschaftliche Blicke in die Fußballseiten osteuropäischer Zeitungen.
Tschechisch-Deutsche Fußballfreundschaft - Werbung für Sportwetten in der Nähe von Prag, Fotograf: Boris Blahak
Mit der Ukraine, Polen, Tschechien, Kroatien und Serbien-Montenegro sind unsere östlichen Nachbarn bei der Weltmeisterschaft gut vertreten, und die WM-Berichte daheim lesen sich streckenweise wie ein eingängiger Deutschkurs. Fußball mutet als Prisma an, in dem sich Geschichte, Verbreitung und Verwendung der deutschen Sprache in Osteuropa spiegeln.
Einer der berühmtesten ukrainischen Fußballklubs heißt „Sachter“, wobei das S wie Sch gesprochen wird, da es vom deutschen „Schacht“ stammt und ein „Sachter“ ein ukrainischer oder russischer Bergmann ist. Schon von daher fühlen sich die Ukrainer dem deutschen „Ruhrpott“ verbunden, wissen, was „Auf Schalke“ los ist, und können sogar die „Glückauf-Kampfbahn“ etymologisch richtig einordnen: „Gljuk auf“ ist der traditionelle Gruß der ukrainischen „Sachter“, bevor man in die sachta einfährt“. Also: „Gljuk auf, futbol!“
Und wer es noch nicht wusste: Der legendäre Oleg Blochin steht heute an der Spitze des ukrainischen „trenerskij stab“ (Trainerstabs). Deutschland gefällt den Ukrainern übigens so gut, dass sie es kurzerhand zu einer „jarmarka kraski“ erklärten, einer „Messe der Schönheit“ (wobei aus der ukrainischen und russischen „jarmarka“ der deutsche Jahrmarkt blinzelt).
Wenn ukrainische Fußballsprache bergtechnisch angehaucht ist, so stehen die tschechische und andere für die traditionelle Militär-Terminologie: Jan Koller, mit 2,03 Metern ein „obr“ (Riese, von deutsch „oben“), ist gerade von Dortmund nach Monaco gewechselt – weil die Monegassen einen tschechischen „kanonýr“ oder „bombard’ak“ seines Formats brauchen. „Bombe“ heißt auf tschechisch eigentlich „puma“, aber fußballerisch hat man sich von Deutschen eben die „bomba“ samt ganzem Wortfeld ausgeliehen. Als das tschechische Team mit allen „kufry“ (Koffern) auf dem Flughafen „Siegerland“ landete und dort mit einer „dort“ (Torte) empfangen wurde, übersetzten sie den Ortsnamen mit „zeme vitezu“ (Land der Sieger) und nahmen ihn als glücksverheißendes Omen.
Die Serben und Montenegriner meinen Deutsche, wenn sie von „panceri“ sprechen: „Panceri bez Ballaka“ (Die Panzer ohne Ballack). Das ist durchaus als Kompliment zu verstehen – wie auch der martialische Ausdruck, dass Deutsche nicht „bunker“ spielen, also ängstlichen Sicherheitsfußball. Für attraktiven Fußball muss man „schutirat“ (schießen) und „felschirat“ (täuschen, vom deutschen „falsch“), anders gibt’s den „pehar“ (Pokal, von deutsch „Becher“) eben nicht. Ähnlich sehen es Polen: Die Deutschen werden sich nicht „zamykac w bunkrze“ (im Bunker einschließen).
Die meisten slawischen Sprachen haben für „Fußball“ heimische Wörter – tschechisch „kopana“, serbisch und kroatisch „nogomet“, polnisch „pilka nózna“ –, die derzeit aber Pause machen: Man spielt „futbol“, „fudbal“ oder „futbal“, was vielleicht englische Wurzeln hat, aber auch auf dem Umweg über das Deutsche gekommen sein kann. Jedenfalls ist ein serbischer oder kroatischer Fußballer ein „fudbaler“, und der ist eindeutig deutsch. Die Mannschaften laufen zur „mistrovstvi“ (tschechisch) oder „mistrzostwo“ (polnisch) auf und am 9. Juli weiß man, wer der „mistrz“ ist (nachdem man längst den deutschen „Meister“ in allen diesen Wörtern ausgemacht hat).
Ein bei Serben und Kroaten derzeit sehr frequentes deutsches Wort ist „peh“ (Pech), denn das haben sie reichlich: Die Serben spielen in einer höllisch starken Gruppe, in der sie außer „kartoni“ (gelbe und rote Karten) wohl wenig ernten werden, eventuell noch ein paar Euro aus ihren „standovi“ (Ständen) mit Souvenirs. Und die Kroaten haben von ihren vier Vorbereitungsspielen nur eins gewonnen, ihre „Elf“ ist, trotz einiger „bundesligaschi“ darin, wohl nur ein Schatten früheren Glanzes.
Den Polen eilt der Ruf voraus, besonders gewalttätige Hooligans zur WM zu bringen. So etwas verstimmt die polnische Seele: Die meisten der polnischen „kibicy“ (Zuschauer, Fans, von deutsch „Kiebitz“) verhalten sich jedenfalls als sehr gesittete „fachowcy“ (Fachleute) für Fußball. Die Deutschen sollen lieber auf die Holländer auspassen, die mit orangenen „helmy“ (Helmen) anrücken, auf denen provokante Sprüche prangen. Die Polen habe vor allem Probleme mit dem eigenen „Teamgeist“ („wie die Deutschen sagen“) und gehen ohne „Hurraoptimismus“ ins Spiel, auf wen immer sie auch „trafic“ (treffen) werden! „Murowany faworyt“ (gemauerter Favorit, also felsenfester) ist sowieso Brazylia! In ganz Osteuropa leben deutsche Wörter, die kaum ein Deutscher noch kennt. Oder weiß jemand, was ein „Feldscher“ ist? Wer es nicht weiß, sollte Dr. Petr Krejci fragen, den „tymovy felcar“ der Tschechen, also ihren Team-Arzt. Krejci ist ein guter Doktor und ein Sprachgenie – wenn der Prager Blättern Interviews gibt, dann purzeln deutsche Wörter förmlich: „Furt“ (fortwährend) muß er eine „sichta“ (Schicht) nach der anderen einlegen, „pilulky“ (Pillen) verteilen, weil wieder jemand „Au“ schreit oder gleich „marod“ ist, laufend muss er die Spieler „varovat“ (warnen), nicht zu viel zu „riskovat“ (riskieren), alle müssen täglich auf die „vaha“ (Waage) – sein Job ist wahrlich keine „synekurka“ (Sinekure, also sorgenfreies Leben), eher schon eine „slachytida“ (Schlächeterei, eine Wortkreation Krejcis). Immerhin unterstützen ihn die deutschen Köche im pfälzischen „Lindner-Hotel“, dem Mannschaftsquartier. Die haben ein paar tschechische Wörter gelernt und mehr tschechische Rezepte: Für jeden Sieg, so ihr Versprechen, gibt’s echte böhmische „knedliky“ (Knödel). Das ist doch „fajn“, aber wenn es nicht motiviert, wird Trainer Brückner wohl seinen gefürchteten „randal“ (Randale) loslassen. „Zu Gast bei Freunden“ ist das Motto der WM. Ein schönes Motto, das in Osteuropa wenig zitiert wird. Aber die Osteuropäer sind Freunde! Die zuverlässige Verräterin Sprache lässt es hören. Hören wir ihnen zu?
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Wolf Oschlies
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