Grüne Partei als Zünglein an der Waage
Grüne Partei ist bei den Parlamentswahlen am Wochenende das Zünglein an der Waage.Prag (n-ost) - Am 2./3. Juni finden in Tschechien Wahlen statt. Mit besonderer Spannung wird diesmal das Abschneiden der Grünen-Partei erwartet, die zum Zünglein an der Waage werden könnte. Erstmals in der Geschichte Tschechiens hat sie Chancen ins Parlament einzuziehen. In letzten Umfragen lag sie bei 8,6 Prozent.„Ich habe mir die unterschiedlichen Varianten überlegt und denke, die Grünen sind die beste von allen. Es ist wichtig, dass endlich neue Leute in die Politik kommen“. Marek Cenek spricht für viele junge Wähler in Tschechien, die sich nach einer Alternative zu den etablierten Parteien umsehen. Ihrer Meinung nach haben sich die regierenden Sozialdemokraten durch zahlreiche Korruptionsaffären und vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit den Kommunisten diskreditiert. Die von Premierminister Jiri Paroubek favorisierte sozialdemokratische Minderheitsregierung unter Duldung der Kommunisten ist zum Schreckgespenst vor allem für junge Menschen geworden. Und die konservative ODS ist wegen ihrer Europa kritischen Töne als Alternative umstritten.Seit Anfang des Jahres entwickelten sich die tschechischen Grünen (auf Tschechisch: Strana Zelenych, SZ), die noch niemals den Sprung ins Parlament geschafft haben, urplötzlich zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft. „Die Grünen sind erstmals auch für diejenigen Wähler interessant, die nach einer Alternative zu den großen Parteien suchen und gleichzeitig sicher sein wollen, dass ihre Stimme nicht verloren geht", sagt Jana Hamanova von der Marktforschungsagentur SC&C, die den Grünen als erste den Einzug ins Parlament voraussagte. Von Anfangs fünf Prozent der Wählerstimmen sind die Umfragewerte auf aktuell 8,6 Prozent gestiegen. Damit wären die Grünen nicht nur eine neue Größe im monolithischen Parteiengefüge, sondern könnten bei der kommenden Regierungsbildung neben den Christdemokraten das Zünglein an der Waage sein. Die beiden großen Parteien ODS und Sozialdemokraten lehnen eine direkte Koalition mit den Kommunisten, der voraussichtlich drittstärksten Kraft, ab. Sowohl Sozialdemokraten wie ODS haben daher ihre Bereitschaft geäußert, mit den Grünen eventuell Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Martin Bursik, Chef der Grünen in Tschechien. Foto: Jan ZappnerFür junge Wähler sind die Grünen vor allem durch ihren neuen Politikstil attraktiv. „Wir wollen uns prinzipiell nicht in eine Politik hineinziehen lassen, bei der man zu Vertretern anderer Parteien sagt: 'Sie lügen' statt 'Sie irren sich' und wo der politische Partner zum Gegner wird“, sagt Grünenchef Martin Bursik, der im vergangenen Herbst an die Parteispitze gewählt wurde. Ihm verdanken die Grünen den sensationellen Aufstieg von einer innerlich zerstrittenen außerparlamentarischen Gruppierung zu einer schlagkräftigen Partei. Prominente Fürsprecher haben die Grünen unter anderem in Ex-Präsident Vaclav Havel und dem Philosophen Vaclav Belohradsky. Verkörpert wird der neue Politikstil neben Bursik durch eine Reihe namhafter Künstler und Intellektueller, die sich bis dahin bewusst von Parteipolitik ferngehalten hatten und in der Gesellschaft nicht zuletzt dadurch moralische Glaubwürdigkeit besitzen. Beispiel: der Dissidenten-Sänger Jaroslav Hutka oder der Journalist und Menschenrechtler Petr Uhl, der als einer der ersten die Charta 77 unterzeichnet hat. Uhl war lange Zeit überzeugter Anhänger einer 'unpolitischen Politik'. Den Ausschlag dafür, dass er 2002 den Grünen beitrat, gab deren starke europäische Orientierung, erinnert er sich: „Damals war die Tschechische Republik vor dem Eintritt in die Europäische Union und ich sagte mir, ich muss auch auf institutioneller Ebene etwas dazu beitragen und nicht nur als Journalist oder Publizist.“Unter dem Motto „Mehr Lebensqualität“ wollen sich die Grünen mit ihrem Wahlprogramm zum einen für klassische grüne Themen wie die Öko-Steuer und ein LKW-Verbot an Wochenenden stark machen. Auf der Agenda stehen aber auch Themen, die in Westeuropa bereits zum Standard gehören, für die es in Tschechien aber noch keine politische Lobby gibt: Verbraucherschutz, Menschenrechte, Gleichberechtigung von Mann und Frau. „Das ist auch etwas, was man von den deutschen Grünen gelernt hat“, beobachtet Darina Doubravova. Die in Berlin lebende Tschechin koordiniert die umfangreiche Wahlkampfhilfe der deutschen Grünen für ihre tschechischen Kollegen. Zuletzt reiste etwa die Vize-Präsidentin des Bundestages Katrin Göring-Eckardt nach Prag.Gerade die europäische Ebene nimmt breiten Raum im Parteiprogramm der tschechischen Grünen ein. Bereits heute koordiniert die Partei von Martin Bursik ihre Politik mit anderen europäischen Grünen, etwa wenn es um die Eindämmung des LKW-Verkehrs geht. Wichtiges Bindeglied nach Europa ist Milan Horacek. Als tschechischer Emigrant hatte er in den 80er Jahren die deutschen Grünen mitgegründet und sitzt heute für sie im Europaparlament. Wie die Wahlen am 2./3. Juni ausgehen, wird letztlich von den rund 30 Prozent noch unentschlossenen Wählern abhängen. Und ihre Stimmen könnten Umfragen zufolge besonders den Grünen zu Gute kommen. Zugleich liegt darin aber auch das Hauptdilemma der Partei: Sie hat keine verlässlichen Stammwähler. Ihre Sympathisanten wünschen sich zwar einen politischen Kurswechsel, zögern aber andererseits, zu den Urnen zu gehen. „Ein Teil dieser Wähler, hat wahrscheinlich einfach schon die Hoffnung aufgegeben, dass sich etwas verändern lässt“, befürchtet der Wahlkampfmanager der Grünen, Petr Hrdina. Eben diese Wähler werden den Ausschlag dafür geben, wie die Partei von Martin Bursik am Ende tatsächlich abschneidet. „Wir haben große Angst“, gesteht Katerina Jacques, die in Prag auf Listenplatz Nummer zwei kandidiert, „denn wir glauben, dass unsere Wähler zwar sehr zahlreich sind, aber dass sie nicht so diszipliniert sind wie zum Beispiel die Wähler der Kommunistischen Partei“. Das Abschneiden der Grünen bei den Wahlen könnte ein wichtiges Signal für Grüne Parteien in ganz Osteuropa sein. „Wenn es hier nicht klappt, dann wird es auch eine große Depression in den anderen postkommunistischen Ländern geben“, glaubt Katerina Jacques und denkt dabei in erster Linie an die benachbarten Slowaken, die zwei Wochen nach den Tschechen ein neues Parlament wählen. „Und wenn es klappt, dann kann es einen großen Aufschwung geben. Das ist auch für die Grünen in Westeuropa wichtig, denn dadurch wird die grüne Stimme im Europaparlament stärker.“*** Ende ***-------------------------------------------------------------------------------------------------------
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