Montenegro

Hoffnungsträger Tourismus

Montenegro hat es eilig. Am 3. Juni proklamierte das kleinen Land – 13.812 km², rund 650.000 Einwohner – seine Unabhängigkeit von Serbien. Nun soll es nach dem Willen von Miodrag Vukovic, Fraktionschef der regierenden Demokratischen Sozialisten (DPS), möglichst umgehend Mitglied von Vereinten Nationen, EU, Europarat, OSZE, NATO, Weltbank, Weltwährungsfonds und anderen internationalen Organisationen werden. 230.711 Bürger hatten beim Unabhängigkeitsreferendum am 21. Mai den Ausschlag dafür gegeben, dass Europa nun um einen Staat reicher ist.

Die EU, die genau dies verhindern wollte, hatte sich extra eine 55-Prozent-Hürde ausgedacht, die nach Auffassung aller Demoskopen nicht zu erreichen war. Doch dann stimmten 55,5 Prozent der Montenegriner für ihre Loslösung von Serbien und fühlen sich nun berechtigt, ihrerseits Forderungen an die internationale Gemeinschaft zu stellen. Der regierenden DPS kann es nun nicht schnell genug gehen. Im Frühherbst 2006 stehen die nächsten Parlamentswahlen an. Wenig Zeit, um die 184.954 Montenegriner (44,5 Prozent), die gegen die Unabhängigkeit stimmten, zu überzeugen und dem wirtschaftlich an Serbien gebundenen Land eine eigene Perspektive zu geben.


Dorf in Montenegro / Norbert Rütsche, n-ost

Montenegro hatte sich zwar in den vergangenen Jahren nach einer Zeit des Niedergangs in den Wirren der 90er Jahre stabilisieren können – aber auf niedrigstem Niveau. Die Wirtschaft wächst um magere zwei bis drei Prozent jährlich, was bedeutet, dass Montenegro in etwa 15 Jahren dort ankommen wird, wo es 1989 bereits einmal war. Und selbst dafür sind die Aussichten nicht günstig: Die Arbeitslosigkeit liegt im Land bei 30 Prozent, der durchschnittliche Monatslohn bei knapp 320 Euro.

Dieser ist in Montenegro im Gegensatz zu Serbien bereits nationale Währung. Während Serbien seit zwei Jahren Haushaltsüberschüsse verzeichnet, hatte das montenegrinische Budget 2005 eine „Lücke“ zwischen Einnahmen und Ausgaben von 34,3 Millionen Euro. Im März 2006 war das Land mit 513,5 Millionen Euro im Ausland verschuldet, das sind etwa 900 Euro pro Einwohner vom Kind bis zum Greis. Die Außenhandelsbilanz ist tiefrot: Im Jahre 2005 wurden Waren im Wert von 505,9 Millionen Euro mehr ein als ausgeführt. Speziell der Außenhandel mit Deutschland zeigt ein groteskes Missverhältnis: 2005 exportierten die Montenegriner Waren im Wert 1,3 Millionen Euro, bezogen aus Deutschland aber Güter für über 46 Millionen Euro. Selbst die Regierung räumt ein, dass etwa ein Drittel der montenegrinischen Bevölkerung „gerade so überlebt“.

Ein Ausweg aus aktuellen und akuten Wirtschaftsnöten läge in einer konsequenten Privatisierung, die ausländische Investoren anzöge. Aber da sieht es in Montenegro schlecht aus, kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Aleksandar Radulovic, denn „die Regierung hat ihre eigenen Interessen verfolgt, nicht die der Nation und des Landes“. Die großen Staatsbetriebe blieben nahezu unreformiert, erst neuerdings werden für sie Käufer oder „strategische Partner“ gesucht. 17 Staatsbetriebe, darunter das Aluminiumkombinat Podgorica (KAP), das Hüttenwerk Niksic und die Elektrowirtschaft Montenegros (EPCG) haben sich entweder als unveräußerlich erwiesen oder sollten ohnehin nur zu zwei Dritteln privatisiert werden. Obendrein gelten Montenegros Rechtswesen, die Administration und das Statistiksystem als unterentwickelt, was alles negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hat.

Alle Augen richten sich nun auf den Tourismus, vor allem den Seetourismus an den 199 Kilometern montenegrinischer Adriaküste mit ihren historischen Badeorten Budva, Herceg Novi und Kotor. Nach Berechnungen des Tourismusexperten Rade Ratkovic könnte Montenegro im Jahre 2020 allein aus dem Tourismus zwei Milliarden Euro Einkünfte erzielen, aber dafür sind die Voraussetzungen derzeit denkbar ungünstig.

Im Februar 2006 veröffentlichte das montenegrinische Tourismus-Ministerium eine Analyse der Saison 2005, die den offiziellen Optimismus der Regierung fragwürdig erscheinen lässt. Insgesamt wurden 820.000 Touristen gezählt, davon knapp 550.000 „heimische“. Konkret heißt das, dass über die Hälfte aller Touristen aus Serbien kamen. Ob diese in den nächsten Jahren wieder kommen werden, ist nach dem Ausgang des Referendums ungewiss. Unter den 272.000 ausländischen Touristen, stellten die aus Bosnien-Herzegovina (46.838) und Russland (41.011) stammenden die Mehrheit. Mit deutlichem Abstand folgten Tschechien (23.517) und Deutschland (18.352). Die Gesamteinkünfte aus dem Tourismus summierten sich auf 216,7 Millionen Euro, wozu die Ausländer 86,7 Millionen beigetragen hatten. Bislang war der Tourismus Montenegros kaum mehr als ein Anhängsel des kroatischen Tourismus. Während dort die Küstenorte längst herausgeputzt sind, räumt das zuständige montenegrinische Ministerium schwerwiegende Mängel ein:

So schön etwa die Altstadt von Kotor ist, so lieblos sieht es an den Stadträndern aus. Auch das Badevergnügen ist nicht ungeteilt: Wegen eines unzureichenden Kanalisationssystems ist das Meerwasser in Küstenähe stark verschmutzt, es gibt zu wenig qualifiziertes Personal, die Müllentsorgung ist in den Touristikgebieten so schlecht wie im ganzen Land, die Küste wird durch zahlreiche Neubauten verschandelt, zudem ist im ganzen Tourismusbetrieb die „Schattenwirtschaft“ sehr verbreitet, deren Ausmaß Finanzämtern und Statistikbehörden verborgen bleibt. Unter der Telefonnummer 9817 konnten unzufriedene Touristen sich im vergangenen Jahr direkt beim Ministerium beschweren. Die Beschwerden kamen auch reichlich – über schlechte Versorgung mit Wasser und Strom, überhöhte Rechnungen, unfreundliches Personal, Schmutz, streunende Hunde und vieles mehr. Dazu kommt ein für erholungssuchende Urlauber besonderes Gift: Knapp 60 Prozent aller Beschwerden galten der Tag und Nacht nicht aufhörenden „Buka“. „Buka“ heißt Lärm, Krach, Radau.


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