Litauen

Die Russland-Connection

Wie die Furcht vor Moskaus Einflussnahme immer wieder Litauens Politik beeinflusstVilnius (n-ost) –  In der litauischen Politik hallt die Sowjetzeit vernehmlich nach. Die Angst des kleinen baltischen Landes, erneut unter die Kontrolle des mächtigen Nachbarn Russland zu geraten, ist groß. Premier Algirdas Brazauskas musste vergangene Woche zurücktreten, weil sein Koalitionspartner Verbindungen zu Russland unterhalten haben soll. Als Favorit gilt mit Andrius Kubilius nun ein Mann als Favorit für die Nachfolge – der sich mit Warnungen vor dem Einfluss Moskaus profiliert.Mit seiner Kritik an Wladimir Putin und dessen als expansiv verstandener Geopolitik trifft Kubilius den Nerv vieler Litauer: mindestens all jener, die unter Stalin allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit nach Sibirien deportiert wurden, und ihrer Anhänger. Kubilius, Jahrgang 1956, war von November 1999 bis Oktober 2000 schon einmal Premier. Seine Partei „Vaterlandsbund“ ist konservativ und nationalistisch, aber gleichzeitig noch EU-freundlicher als die Sozialdemokraten.Im Skulpturenpark. Foto: Jochen Staudacher Der nun zurückgetretene Algirdas Mykolas Brazauskas, Jahrgang 1932, entstammt einer anderen Generation. Mit ihm ist der letzte aus der ersten Liga der litauischen Politik zurückgetreten, der schon zu Sowjetzeiten ganz vorn mitspielte. Er war seit 1988 Erster Sekretär der litauischen Kommunistischen Partei, die unter seiner Führung im Dezember 1989 – als erste in der Sowjetunion – mit der KPdSU brach. Dass der gelernte Hydrotechnik-Ingenieur damals mit der Unabhängigkeitsbewegung Sajudis anbandelte, die Konfrontation mit Moskau riskierte und später die KP in eine sozialdemokratische Partei umwandelte, rechnen ihm viele hoch an. Anderen gilt der joviale, vierschrötige Beamtensohn dagegen als Wendehals. Brazauskas war unter anderem Vizepremier und Parlamentspräsident, von 1993 an dann Staatspräsident. 1997 verzichtete Brazauskas auf eine neue Kandidatur – auch wegen seiner KP-Vergangenheit, die ein „großes Minus für das Ansehen des Staates“ sei, wie er damals sagte.2001 hatte Brazauskas offenbar alle historische Einsicht vergessen und ließ sich zum Premier wählen. Wendigkeit bewies er auch, als er 2004 eine Koalition mit der Arbeitspartei des Unternehmers Viktor Uspaskich einging – im Wahlkampf hatte er noch vor den Populisten gewarnt. Nun brach ihm diese Koalition das Kreuz: Gegen die Arbeitspartei wird ermittelt, sie soll EU-Geld in eigenem Interesse verteilt und illegale Wahlkampfspenden angenommen haben – unter anderem von der russischen Geheimdienst-Mafia. Parteichef Uspaskich versteckt sich seit Wochen in seiner russischen Heimat in der Nähe von Archangelsk. Als Wirtschaftsminister war er schon im Sommer 2005 zurückgetreten – unter anderem, weil er seine eigenen Interessen als millionenschwerer Unternehmer nicht von denen des Staates getrennt haben soll. Aber auch, weil die Echtheit seines Diploms in Volkswirtschaftslehre von der Universität in Moskau zum Gegenstand juristischer Untersuchungen wurde. Den Grundstein zu seinem Vermögen soll er im Umfeld des russischen Gasmonopolisten Gasprom gelegt haben.Die Russland-Connection spielt immer wieder eine Hauptrolle in der litauischen Politik. 2003 wurde Rolandas Paksas vor allem dank massiver professioneller Wahlkampfwerbung zum Präsidenten gewählt. Weil er seinem Haupt-Wahlkampfsponsor, dem russischen Unternehmer Juri Borisow, die litauische Staatsbürgerschaft verfassungswidrig zugeschanzt und ihn ausweislich von Abhörprotokollen des litauischen Geheimdienstes vor Ermittlungen gewarnt hatte, wurde ein förmliches Amtsenthebungsverfahren gegen ihn angestrengt. Borisow, ein Freund des früheren Piloten Paksas aus dessen Fliegertagen, soll nicht nur Hubschrauber in afrikanische Bürgerkriegsländer verkauft haben, sondern auch Beziehungen zur russischen Mafia unterhalten. Der russische Geheimdienst, von der Mafia nicht immer sauber zu trennen, soll die Werbeagentur unterstützt haben, die Paksas’ Wahlspots drehte. Was davon stimmt, wurde nie völlig geklärt. Zwar galt das Amtsenthebungsverfahren nach US-Vorbild als Reifetest der litauischen Demokratie – doch wie weit in Richtung Moskau die Verbindungen reichten, stand letztlich nicht zur Debatte; es reichte, dass der Präsident verfassungswidrig gehandelt hatte und nicht mehr vertrauenswürdig war.
 
Die Angst der Litauer vor russischer Einflussnahme ist nicht unbegründet; die Interessen Moskaus in der Region offensichtlich. Zuletzt war Deutschland Teil der Verärgerung im Baltikum und in Polen, als es beschloss, mit Russland eine Pipeline unter der Ostsee zu. Vor dem Beitritt der baltischen Länder zur Europäischen Union waren die russischen Interessen etwa in Bezug auf die Exklave Kaliningrad Gegenstand langwieriger Verhandlungen; minutiös wurde unter anderem geregelt, wie schnell ein Zug durch litauisches Gebiet fahren muss, damit keine russischen Staatsbürger unterwegs abspringen und so in der EU landen. Immer wieder verweist das Putin-Regime auch auf die problematische Lage der russischen Minderheit (vor allem in Lettland und Estland), etwa im Gegenzug gegen Vorwürfe in Sachen Tschetschenien.Russische Medien und auch das russische Außenministerium stellen das Baltikum gern als Hort von Faschisten, Revanchisten und Geschichtsfälschern dar. Im Hintergrund steht das Geschichtsbild von Präsident Putin, der – anders als sein Vorgänger Boris Jelzin – die Annektierung der baltischen Staaten durch die Rote Armee als freiwilligen Beitritt der Länder zur Sowjetunion betrachtet. Ein halbes Jahrhundert Besatzungsregime, samt Geheimdienstterror, Deportationen und Zwangsrussifizierung, wird geleugnet. „Die Russen tun so, als gäbe es uns als selbstständige Staaten erst seit 1991“, sagt der estnische Außenminister Urmas Paet. In Litauen ist die russische Minderheit kleiner und besser integriert als bei den baltischen Nachbarn, dafür ist die Nähe zu Kaliningrad größer. Im September 2005 „verflog“ sich von dort aus ein russisches Jagdflugzeug und stürzte ab – was in Litauen prompt der Verdacht keimen ließ, es habe spionieren sollen. Ein Streit um den Piloten, der sich per Fallschirm gerettet hatte, um die Flugschreiber und angebliches radioaktives Material entspann sich. Der Vorfall war ein gutes Bespiel für den schmalen Grat zwischen berechtigtem Verdacht und hysterischer Russophobie, auf dem die politische Debatte in Litauen sich oft bewegt. Mit Algirdas Brazauskas ist zwar der letzte aus der Sowjetnomenklatura abgetreten. Doch in der Angst vor russischem Einfluss wird die Besatzungszeit noch lange nachklingen.
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