Bosnien-Herzegowina

Sarajewo – Phönix aus der Asche

Die bosnische Hauptstadt entwickelt sich zehn Jahre nach dem Ende des Krieges wieder zum TouristenzielSarajewo (n-ost) – Erwähnt man hierzulande die Stadt Sarajewo, so drängen sich unwillkürlich Bilder von Krieg und Zerstörung auf. Zwischen 1992 und 1996 wurde die Hauptstadt Bosniens 1000 Tage lang von serbischen Truppen belagert. Dabei gab es über 10.000 Tote und Verletzte. Bis heute erinnern die Minenfelder hoch in den Bergen und - weithin sichtbar - die weißen Stelen der Massengräber rund um die Stadt an die blutigen Kämpfe. Doch zehn Jahre nach der „Befreiung“ der Stadt aus der tödlichen Umklammerung erhebt sich Sarajewo dank internationaler Hilfe wie der mythische Vogel Phönix aus der Asche. Ähnlich sehenswert wie heute war die Balkanmetropole zuletzt zu Zeiten der Olympischen Winterspiele 1984.Vier Religionen in 15 MinutenEin Muss für jeden Besucher ist die unter den Osmanen erbaute Altstadt „Baščaršija“, die sich in einem engen Tal ans Ufer des Flüsschens Miljacka schmiegt. Vom Bahnhof aus fährt man mit der Straßenbahnlinie 3 bis zur Haltestelle „Čaršija“. Sie liegt direkt am Taubenplatz, der seinem Namen alle Ehre macht. Hunderte von Tauben wollen hier gefüttert werden. Ihren Durst löschen sie mit Hilfe des uralten „Sebilj-Brunnens“, der einen markanten Turmaufbau hat. Wer von dem Wasser des Brunnens trinkt, wird wieder nach Sarajewo zurückkehren, so besagt die Legende. Am Taubenplatz wartet der junge Stadtführer Dino Lemeš, für einen Bummel durch die engen Gassen des Basars. Die Hauptgasse Sarači wird seit 500 Jahren von kleinen Handwerkergeschäften gesäumt. Es gibt billige Souvenirs, aber auch hochwertigen Schmuck direkt vom Goldschmied. Und in die Nase steigt der Duft von Zwiebeln und frisch gegrillten Ćevapčići oder Pljeskavica, beides sind landesübliche Köstlichkeiten aus Hackfleisch. Für den Nachtisch sind Eiscafés nicht weit.Rund um die Altstadt springen die Türme von Moscheen ins Auge. Über 200 gibt es in ganz Sarajewo. Fünfmal am Tag rufen die Muezzine zum Gebet. Am markantesten ist die Beg-Moschee. Dieser große Bau im Herzen der Altstadt ist nach einem osmanischen Herrscher aus dem 15. Jahrhundert benannt. Um sie von innen ansehen, muss man warten, bis die Gläubigen ihr Mittagsgebet beendet haben. Frauen müssen am Eingang ein Kopftuch überziehen, alle Besucher die Schuhe ausziehen. Für Allah und seinen Propheten Mohammed gibt es ein Abbildungsverbot, wie seit dem Karikaturenstreit allgemein bekannt ist. Deshalb haben sich islamische Künstler auf die prächtige Darstellung der arabischen Schrift konzentriert. Das Innere der Beg-Moschee ist mit solchen Arabesken ausgemalt, wunderschöne Teppiche bedecken den Boden, weshalb man die Schuhe auch nicht vermisst. Mitten in Europa befindet man sich urplötzlich in einer bezaubernden, fremden Welt.Stadtführer Dino biegt dann in die Ferhadija-Straße ab. Urplötzlich wandelt sich die Architektur: nichts ist mehr von der osmanischen Altstadt zu sehen. Es öffnet sich eine barock-verspielte, in der Ära der österreichisch-ungarischen Herrschaft erbaute Fußgängerzone voller Cafés und teurer Geschäfte. Mittendrin befinden sich die katholische Kathedrale und die orthodoxe Metropolitenkirche. Am Horizont sind von hier aus auch die Dächer der jüdischen Synagoge zu sehen. Vier Weltreligionen innerhalb von 15 Minuten.Die verschiedenen Kirchen beweisen, dass Kulturen friedlich und fruchtbar miteinander leben können. Unbegreifbar erscheint angesichts dessen die andere Seite der Stadtgeschichte, die Seite des Krieges.Viele Touristen werden an der Lateiner-Brücke über das Flüsschen Miljacka nach einem historischen Fußabdruck suchen. Er stammt vom Bosnier Gavrilo Princip, der hier am 28. Juni 1914 Weltgeschichte schrieb und mit der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand letztlich den Ersten Weltkrieg auslöste, der mit dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches endete. Damals entstand Jugoslawien, das in den 1990er Jahren wieder auseinander fiel. Der Krieg kehrte nach Sarajewo zurück. Während der vierjährigen Belagerung der Stadt machten die 300.000 Einwohner Unbeschreibliches durch. Unter Beschuss von Heckenschützen auf den umliegenden Bergen kämpften sie täglich ums Überleben.Überlebt hat die Stadt dank eines 800 Meter langen und 1,50 Meter niedrigen Tunnels zum internationalen Flughafen. Ihn durchquerten täglich durchschnittlich 4000 Personen und brachten auf ihrem Weg jeweils bis zu 50 Kilogramm Lebensmittel und Ausrüstung in die belagerte Stadt. Zusätzlich wurden ein Starkstromkabel, eine Treibstoffpipeline und eine Telefonleitung durch den Tunnel geführt. Vor allem nachts wurden mit Hilfe eines Schienensystems mit 25 kleinen Wagen bis zu 20 Tonnen Material in die Stadt transportiert. Der Tunnel, den eine Familie in Privatinitiative zum Museum ausgebaut hat, ist heute eine wichtige Sehenswürdigkeit. Straßenleben in der Altstadt Sarajewos. Foto: Sasa GavricDie Kriegsjahre haben die Bevölkerungsstruktur der Stadt völlig verändert. Von der alten Multikulturalität ist wenig geblieben. 90 Prozent der Einwohner sind mittlerweile Bosniaken (muslimische Bosnier). Die meisten Kroaten und Serben haben die Stadt verlassen. Die Kroaten gingen Richtung Zagreb, während die Serben aus dem Stadtzentrum an den Stadtrand zogen. Es entstand das so genannte „serbische Ost-Sarajewo“, eine selbständige Gemeinde, die gleich hinter dem Sarajewoer Flughafen beginnt und in der kyrillische Straßenschilder vorherrschend sind.Vildan Efendić, ein 22-jähriger Studenten und Freund von Stadtführer Dino, lehnt es ab, Sarajewo auf die Zeit des Krieges zu reduzieren. „Besonders wir jungen Menschen wollen nicht mehr in der Geschichte leben. Der Krieg war schrecklich, doch wollen wir wirklich unser ganzes Leben darauf reduzieren und die ewigen Opfer spielen? Nein“, sagt Vildan bestimmt, „wir haben neue Wünsche und Ziele“.Die Einwohner von Sarajewo geben sich größte Mühe, die Stadt als aufgeklärte orientalische Metropole zu präsentieren, in der niemand auf seine westlichen Gewohnheiten verzichten muss. So gehört auch der Alkohol zum Alltagsleben. „So sehr wir auch muslimisch sind, ohne die westlichen Lebensgewohnheiten kommen wir nicht aus“, sagt Dino, der seine Wochenenden gerne in den Nobeldiskotheken „The Club“ oder „The Bar“ verbringt. Trotz Islam achtet kaum jemand auf das strikte Alkohol- und Tabakverbot. Nur an Schweinefleisch mangelt es. „Irgendwo müssen wir uns ja schon zum Islam bekennen“, lächelt Vildan. Zum Hoffnungsträger für die Jugend ist insbesondere die Kultur geworden. Vildan schwärmt vom Sarajevo Filmfestival in der zweiten Augusthälfte. Was 1995 noch als kleines Kriegsprojekt mit 15.000 Besuchern und 37 Filmen begann, hat sich zum wichtigsten Kulturereignis in Südosteuropa entwickelt. So besuchen mittlerweile über 100.000 Besucher jährlich das Festival. Der Bosnische Film konnte davon profitieren: 2006 gewann die aus Sarajewo stammende Regisseurin Jasmila Žbanić mit ihrem Film „Grbavica“ bei der Berlinale den „Goldenen Bären“. Neben dem Filmfest machen das Musikfestivals „Sarajewo Winter“, die „Altstadtnächte“, ein Jazzfest und zwei Theaterfestivals Sarajewo zur Kulturmetropole Südosteuropas. So wie Vildan setzen gerade die jungen Einwohner der Stadt der Zeit der Depression ihre Lebenslust entgegen. Die Cafes in der Strossmayer-Promenade sind voller Leben. „Es gibt angeblich kein Geld, aber die Cafés sind voll, und zumindest im Zentrum kleiden sich die armen Menschen eleganter als in jeder deutschen Großstadt. Wir nennen dies auch gerne das ´bosnische´ Wirtschaftswunder: kein Geld, aber weggehen und sich kleiden wie die Weltmeister“, lacht Vildan. EndeFenster 1:
Einreise:
Für EU-Staatsbürger ist kein Visum erforderlich. Weitere Infos bei der deutschen Botschaft in Sarajewo: www.sarajewo.diplo.de
Anreise:
Lufthansa und Austrian Airlines fliegen zweimal täglich nach Sarajewo.
Die Air Bosna (www.airbosna.ba) fliegt fast alle deutschen Flughäfen und Zürich mehrmals wöchentlich an. Information:
Tourism Association of Sarajevo Canton, Ulica Branilaca Sarajeva 22
www.sarajevo-tourism.com/eng/ Literatur:
Marko Plesnik: »Bosnien-Herzegowina entdecken«, Trescher Verlag, 2005; 16,95 EuroUnterkunft:
Hotel „Holiday Inn“, Strasse Zmaja od Bosne 4, www.holiday-inn.com
Berühmt, weil hier während des Krieges die ausländischen Journalisten lebten und auch Radovan Karadžić sein Büro hatte. Ab 160 Euro
Hotel „Saraj“, Strasse Nevjestina 5, ab 40 Euro. www.hotelsaraj.com
Geheimtipp: mit wunderbarer Aussicht auf die Altstadt.
Jugendhotel „Bjelave“, Strasse Bardakcije 1, Tel. +387 33 663355, schon ab 10 Euro.Internet:
Internet Klub „Click“, Strasse Kundurdziluk 1, Tel. +387 33 236914.Fester 2:Bosnien-Herzegowina: Zahlen und FaktenGrenzstaaten:   Kroatien (im Norden,Westen und Süden), 
 Serbien-Montenegro (im Osten)
Fläche:    51 129 km²
Hauptstadt:    Sarajewo
Andere große Städte:   Banja Luka, Mostar, Tuzla
Amtssprachen:   Bosnisch, Kroatisch, Serbisch
Ethnische Gruppen:   Bosniaken (44 %, bosnische Muslime),
        Serben (33 %, Orthodoxe) und Kroaten (17 %, Katholiken)
Staatsform:    Föderale Republik
Administrativer Aufbau:  das Land ist in zwei Entitäten aufgeteilt: Föderation von
    Bosnien-Herzegowina und die Republika Srpska
Zeit:     CET (GMT + 1h)
Währung:    Konvertible Mark BAM (1,95583 BAM = 1 €)
Telefonvorwahl:   +387
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