"Den deutsch-polnischen Karren hält niemand mehr auf"
Der Danziger Schriftsteller zählt in Deutschland zu den bekanntesten polnischen Autoren, was auch daran liegt, dass sich Huelle intensiv mit der deutschen Geschichte seiner Heimatstadt auseinandersetzt. Er wandelt dabei auf den Spuren von Günter Grass. Beide Autoren kennen und schätzen sich.Im Gespräch mit n-ost-Korrespondentin Katarzyna Tuszynska nimmt Huelle auch zum gerade zu Ende gegangenen Deutsch-Polnischen Jahr und den Schwierigkeiten im Verhältnis beider Länder Stellung.Danzig (n-ost) - Der 1957 in Danzig geborene Paweł Huelle studierte Polonistik und arbeitete als Journalist unter anderem im Pressebüro der „Solidarność“. Sein Romandebüt „Weiser Dawidek“ gilt als eines der besten polnischen Bücher der 80er Jahre. Huelle verarbeitet wie Günter Grass in seinen Werken die Geschichte seiner Heimatstadt Danzig. Beide Schriftsteller kennen und schätzen sich. Huelle wirkte als Drehbuchautor an der Verfilmung der Grass-Erzählung „Unkenrufe“ mit. Zuletzt erschienen von ihm „Mercedes-Benz“ und der Bildungsroman „Castorp“ über die fiktiven Danziger Studienjahre von Hans Castorp, dem Helden aus Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“.FRAGE: Herr Huelle, Sie beschäftigen sich in ihren Büchern oft mit der deutschen Geschichte der Stadt Danzig. Was fasziniert sie an der deutschen Kultur?HUELLE: Wenn die Deutschen den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten und wenn ein junger Deutscher 50 Jahren nach dem Krieg Spuren der Polen finden würde, hätte in das auch fasziniert. Dann kämen Fragen: Was waren das für Menschen? Wie haben sie gelebt? Was haben sie gemacht? Ich denke, das ist normal. Das ist eine Art Erinnerungsarchäologie, die für uns junge Menschen damals nach dem Krieg sehr interessant war. Es ist schwer zu sagen, womit es bei mir konkret angefangen hat, ob mit Musik, Malerei oder der Sprache. Da gab es Briefmarken, Bücher, deutsche Aufschriften. Auch militärische Fundstücke. Ein Mosaik von vielen, kleinen Spuren der deutschen Kultur.FRAGE: Welche Rolle hat Günter Grass bei der Entdeckung der deutschen Kultur für Sie gespielt?HUELLE: Für meine Generation, also für Leute um die 50, ist Grass ein Phänomen; ein Deutscher, der aus unserer Stadt stammt und dessen Bücher wir als einen faszinierenden Führer in unsere Stadt lesen können. Denn nach dem Krieg hat sich ja alles geändert. Für uns ist Grass ein heimischer Schriftsteller, wie Mickiewicz es für die Menschen aus Vilnius ist. Er ist für mich sicherlich eine wichtige Figur. Dazu kommt aber auch die deutsche Musik. Ich könnte mir mein Leben ohne Wagner, Beethoven oder Schubert nicht vorstellen.FRAGE: Wie eng ist der Kontakt zwischen Ihnen und Grass?HUELLE: Grass hat sich sehr warm über mich und meine Arbeit geäußert. Er duzt mich und ruft mich bei meinem Vornamen, was sehr sympathisch ist. Wir haben uns mehrfach getroffen, er war auch einmal bei mir zu Hause. Von einer engen Freundschaft zu sprechen, wäre übertrieben, aber wir kennen uns. In meiner Idealvorstellungen treten nicht nur Autoren, sondern auch Bücher in einen Dialog miteinander. Deshalb habe ich damals in meinem ersten Buch „Weiser Dawidek“ ein Paar Fäden aus dem Buch „Katz und Maus“ von Günter Grass aufgenommen.FRAGE: Zuletzt hat Sie auch Thomas Mann begeistert. Mit dem Roman „Castorp“ haben Sie gerade eine Fortsetzung zu seinem Buch „Der Zauberberg“ vorgelegt.HUELLE: Ich habe den „Zauberberg“ im Alter von 16 Jahren gelesen und ich wurde regelrecht infiziert. Es war wie eine Hypnose. Das Buch ist für mich eines der größten Meisterwerke der Literatur des 20. Jahrhunderts. Mann schrieb, dass Hans Castorp vier Semester an der Danziger Technischen Hochschule studiert hat. Wenn sie einen literarischen Lieblingshelden haben und dann erfahren, dass er in Ihrer Heimstadt studiert hat, sind sie natürlich neugierig. Sie fragen sich, wo hat er gewohnt, wo hat er gegessen, wo ist er mit dem Fahrrad gefahren? Deshalb habe ich den Roman geschrieben.FRAGE: Polen ist seit zwei Jahren EU-Mitglied. Hat sich das Land kulturell in dieser Zeit verändert?HUELLE: Das begann schon mit der Grenzöffnung 1989. Viele Werte der Pop-Kultur sind seitdem nach Polen durchgedrungen. Und das ist sehr negativ, aber es geht nicht anders. Meine Generation hat einen Schock erlebt. Mich entsetzt zum Beispiel die Dummheit der Werbung. Es gibt so viele idiotische Sachen im Fernsehen, im Radio und in der billigen Boulevardpresse. In Deutschland kam das nicht von heute auf morgen. Für uns aber war es ein heftiger Schlag zwischen die Augen und dieser Schock dauert immer noch an. Andererseits gibt es sehr viele kulturelle Initiativen, was sehr positiv ist. In Polen gibt es heute einige hundert Kulturfestivals.FRAGE: Das Deutsch-Polnische Jahr ist gerade zu Ende gegangen. Besonders viel war darüber in der deutschen Öffentlichkeit nicht zu erfahren. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus?HUELLE: Weil ich sehr mit meinem neuen Buch beschäftigt bin, konnte ich nicht so viele Einladungen annehmen. Ich selbst war gerade bei der Warschauer Buchmesse. In diesem Jahr hatten wir sehr viele junge und hervorragende deutsche Schriftsteller zu Gast. Ich habe ein Treffen mit Ingo Schulze moderiert. Wenn ich all diese kulturellen Veranstaltungen beobachte, denke ich, dass insgesamt sehr viel passiert ist.
Viele Polen, die in Deutschland wohnen, beklagen sich allerdings, dass die Deutschen kein Interesse an Polen haben. Es gibt da eine gewisses Missverhältnis zwischen unseren beiden Ländern. Deutschland ist viel größer. Aber in den letzten 20 Jahren haben wir eine große Arbeit geleistet.FRAGE: Wie würden sie das derzeitige deutsch-polnische Verhältnis beschreiben?HUELLE: Die Sache mit der Pipeline hat unser Verhältnis sicher sehr geschädigt. Es gibt zwei Dinge aus polnischer Perspektive, die mir Sorgen machen. Das sind die reindeutschen Manöver wie die Pipeline. Dazu kommen noch Vorladungen, die von der Preußischen Treuhand an Polen verschickt werden, die in den ehemaligen deutschen Gebieten wohnen, und die ganze Tätigkeit von Erika Steinbach (Anm. Der Vorsitzenden des Bundes der Vertreibenen), die in der Tat, sehr arrogant auftritt. Frau Steinbach fälscht einfach die Geschichte. Aber der deutsch-polnische Karren fährt schon. Vielleicht etwas langsam, aber niemand hält ihn mehr auf. Unsere Verständigung ist ein Fakt.*** Ende ***----------------------------------------------------------------------------------
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