Kroatien

Mit dem Bankkredit nach Bad Brückenau

Das Ereignis war dem japanischen Fernsehsender Nippon TV sogar eine Live-Schaltung wert: Die Nennung der kroatischen Nationalspieler, denen die Teams aus Japan, Brasilien und Australien in der Vorrunde der WM gegenüber stehen werden. 23 Spieler dürfen mit nach Deutschland. Als Nationaltrainer Zeljko Kranjcar alle Namen verlesen hat, gibt es betretene Gesichter. Einer fehle doch, so die zaghafte Frage. Gemeint ist Eduardo Da Silva, brasilianischer Top-Stürmer mit kroatischem Pass. Trainer Krajncar ist darauf vorbereitet: Der Spitzenspieler von Dinamo Zagreb, dem frisch gebackenen landesbesten Klub, sei noch jung. Außerdem würde ihm der Brasilianer nicht so recht in seine Vision passen, ins perfekte Spielkonzept.

Würde der 23-Jährige Da Silva auf der Liste der 23 stehen, so wäre er eine Ausnahme. Einer der wenigen Nationalspieler des jungen Adriastaates, die in einem kroatischen Klub kicken. Ganze 20 Spieler stehen im Ausland unter Vertrag. So wie Niko Kovac oder Josip Simundic bei Hertha BSC Berlin. Sportkolumnisten spekulieren nun, ob Da Silva vor lauter Enttäuschung nicht auch das kleine Küstenland verlassen könnte.

Auch in Kroatien gilt: Fußball ist fest in Männerhand. Landesweit hat der Nationale Fußballverband 2.258 Schiedsrichter registriert, darunter sind 19 Frauen. Dennoch spielen Frauen keine unwichtige Rolle, zumindest nicht für die Ankurbelung der Wirtschaft. Knappe Bikinis mit rot-weiß-blauem Schachmuster zieren derzeit die Schaufensterpuppen. Reiseagenturen locken „Fußball-Witwen“, wie sie in kroatischen Zeitungen gerne genannt werden, mit günstigen Wellness-Angeboten. Und wer den Partner zwar nach Deutschland zur WM begleitet, dem runden Leder allerdings nichts abgewinnen kann, der kann kurzerhand einen Sprachkurs in Berlin buchen, so ein Angebot.

An Ideen mangelt es Reiseanbietern in Kroatien nicht. Ganze Busladungen von Fans werden nach Deutschland gekarrt, oft nur für anderthalb Tage. Geschlafen wird während der Fahrt. Die Luxusvariante mit dem Flieger kostet 500 Euro für zwei Tage, für weitere 1.300 Euro können VIP-Eintrittskarten mitgebucht werden. Den meisten Bewohnern des 4,4-Millionen-Landes fehlen allerdings die finanziellen Mittel für den Fußballtourismus. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als arm, die Arbeitslosenquote stagniert seit Jahren bei rund 20 Prozent. Der Durchschnittslohn beträgt 600 Euro.

Umso mehr erstaunt es, dass viele Kroaten den Weg ins unterfränkische Bad Brückenau dennoch antreten wollen. Hier, unweit von Bad Kissingen, werden die Spieler untergebracht, hinzu kommen dürften um die 15.000 Kroaten, viele davon mit Zelten. Einige Zeitungen gehen sogar von 30.000 kroatischen Fußballanhängern bei der WM aus. Unterstützung bekommt die Fangemeinde durch zahlreiche Gastarbeiter, die in Deutschland leben.

Zeljko Kovac aus Zagreb hat einen Traum: Bereits seit Monaten spart er, geht am Wochenende kaum aus, hat sogar einen kleinen Kredit aufgenommen – um die Reise nach Deutschland bezahlen zu können. Das sei er der Mannschaft schuldig, sagt er. Eine Eintrittskarte hat der 32-Jährige bislang noch nicht. Dennoch ist er optimistisch. In Kroatien ließe sich immer alles regeln, irgendwie. Daher würde er sich keine ernsthaften Sorgen um ein Ticket machen.

Zeljko Kovac ist jedoch nicht der einzige, der beim offiziellen Kartenverkauf leer ausgegangen ist. Mitte Januar hatten sich binnen weniger Tage 107.315 Interessenten registrieren lassen, die Tickets erwerben wollten. Doch Angebot und Nachfrage könnten kaum mehr auseinander klaffen, da die FIFA dem Kroatischen Fussballverband nur 12.709 Karten zur Verfügung gestellt hat. Zieht man Sponsoren ab, sind 5.858 Tickets zum freien Verkauf verblieben. Zu wenig, beschweren sich Anhänger. Erbost sind auch die Fanklubs, denen je 300 Karten zur Verfügung gestellt wurden.

Trotz finanzieller Sorgen und Kartenmangel – die Kroaten lassen sich ihre massive Sportbegeisterung nicht nehmen. Der Sport wirkt sich nahezu extrem auf das gesellschaftliche Leben aus. Jede Niederlage ruft ein tiefes Trauergefühl hervor, führt zur kollektiven Lähmung der Gesellschaft – wie bei der WM 2002, als die Spieler im Schachbrett-Trikot bereits in der Vorrunde die Heimreise aus Japan antreten konnten. Doch darüber spricht man heute nicht gerne. Stattdessen erinnert man sich an den stolzen dritten Platz in Frankreich, bei der WM 1998, als man die Deutschen im Viertelfinale aus dem Turnier kickte. Es war das Debüt des jungen Adriastaates, dessen Spieler bis 1991 in der jugoslawischen Vielvölker-Mannschaft aufgegangen sind.

Dass sich Frankreich in diesem Jahr wiederholen könnte, daran glaubt zwar nicht die Mehrheit, optimistisch geben sich die Fans jedoch allemal: Sechs von zehn Kroaten rechnen mit dem zweiten Platz in der Vorrunde, hat eine Online-Umfrage des Nationalen Fußballverbandes unter fast 10.000 Befragten ergeben. Und ein Drittel der Teilnehmer hofft sogar auf ein Weiterkommen ins Achtelfinale. Sollte dies eintreten, dürfte kaum mehr ein öffentlicher Platz in Kroatien von flaggenschwenkenden Fans verschont bleiben, die ihr Mantra singen: „Wir sind die Besten auf der ganzen Welt“, so die offizielle Fanhymne.


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