Ukraine

Bisher nur im Fußball einig

Die Ukrainer gehen humorvoll mit ihrer Geschichte um. „Nach Berlin“ – einst Schlachtruf der Roten Armee – stand beim letzten Heimspiel der Qualifikation in gotischen Lettern auf einem Transparent im Stadion. Die 80.000 Fans feierten begeistert ihre Mannschaft, die sich völlig überraschend in der Europagruppe zwei auf den Spitzenplatz gesetzt hatte – vor der Türkei, Dänemark und Europameister Griechenland. Für den Erfolg stehen vor allem zwei Namen: Trainer Oleh Blochin, in den 70er Jahren begnadeter Stürmer von Dynamo Kiew, und Andrij Schewtschenko, der Star vom AC Mailand.

Die Ukraine ist zum ersten Mal für eine internationale Meisterschaft qualifiziert. Aber diese Statistik trügt: Zu Sowjet-Zeiten war die Ukraine eine Hochburg des Fußballs. Sie stellte viele wichtige Spieler in der gemeinsamen Nationalmannschaft, zuletzt bei der Europameisterschaft 1988 in Deutschland, als die Sowjetunion bis ins Endspiel vorstieß. Oleh Blochin wurde 1975 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Die Vereinsmannschaft Dynamo Kiew wurde 13 Mal sowjetischer Meister und gewann zweimal den Europapokal.

Doch nach der Wende ging es bergab mit dem ukrainischen Fußball. Bestes Beispiel – Dynamo Kiew. Seit Jahren kommt der Verein nicht mehr über die Vorrunde der Champions League hinaus. Ende der 90er Jahre wechselten die drei größten Stars ins westliche Ausland – Andrij Schewtschenko zu AC Mailand, Serhij Rebrow zu Tottenham Hotspurs und Oleh Luschnyj zu Arsenal London.

Die Krise im ukrainischen Fußball hat auch die Fans erreicht. Die Heimspiele von Dynamo Kiew sehen heute selten mehr als 10.000 Zuschauer. „In den 90er Jahren ging es bei uns drunter und drüber“, begründet dies Serhij Michajlenko, Direktor des offiziellen Fanclubs des Vereins. Die staatliche Förderung sei weggefallen und die Klubs, ohne jede Werbeeinnahmen, seien erst einmal pleite gewesen. Noch heute ist Fußball kein Geschäft in der Ukraine. Die Vereine zahlen den Fernsehanstalten sogar dafür, dass ihre Spiele übertragen werden.

Ein weiterer Grund für den Niedergang des Fußballs in der Ukraine ist die Liga. Während im großen Rahmen der Sowjetunion Spitzenspiele an der Tagesordnung waren, gibt es für Dynamo Kiew heute nur einen ernsthaften Rivalen: Schachtar Donezk aus dem östlichen Kohlebecken. Die beiden Teams machen die Meisterschaft seit Jahren nur unter sich aus. Zum Rest der Liga haben sie meistens einen Abstand von 20 bis 30 Punkten.

Der 24-jährige Englisch-Lehrer Alexej Perkin besucht regelmäßig die Heimspiele von Dynamo Kiew. Und regelmäßig ist er enttäuscht – von der Organisation des Sports in der Ukraine. „Die Spieler bedanken sich nicht einmal nach einem Sieg bei ihren Fans“, erzählt er. Das sei die Schuld der Vereine, aber auch der Staat kümmere sich nicht. „Fußball-Begeisterung beginnt, wenn jemand als Schulkind kickt – aber dafür müssten Bolzplätze gebaut werden“, sagt er.

Trotzdem: Talentiert sind die Ukrainer noch immer. Zusammen mit Schewtschenko wird der ukrainische Bundesliga-Legionär Andrij Woronin von Bayer Leverkusen eine der gefährlichsten Sturmformationen bilden. Trainer Oleh Blochin hat auch einige erfahrene Spieler wieder in die Mannschaft geholt, so den 32-jährigen Mittelfeldakteur Andrij Husin, der in der ersten russischen Liga kickt.

Fußball ist in der Ukraine nicht nur Volkssport, sondern auch ein Politikum. Reiche Geschäftsleute – sogenannte Oligarchen – haben viele Vereine in den 90er Jahren erworben, mit dem Ziel, ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu festigen. Markantestes Beispiel: Schachtar Donezk. Der Verein gehört dem Multi-Milliardär und Kohle-Baron Rinat Achmetow. Der lässt sich den Fußball einiges kosten: In Donezk will er für 170 Millionen Euro eines der modernsten Stadien Europas errichten.

Um Dynamo Kiew ist in den vergangenen Monaten sogar ein regelrechter Kampf entbrannt. Der Verein gehört dem Unternehmer Ihor Surkis, der vergeblich versuchte, seinem Bruder Hryhorij in den Kiewer Bürgermeistersessel zu helfen. Doch seit der Präsidentenwahl im Winter 2004 haben die Surkis-Brüder stark an Einfluss verloren. Der russische Geschäftsmann Konstantin Grigorischin versucht deshalb, die Privatisierung von Dynamo an Surkis anzufechten und den Verein zu übernehmen. Bis zur Parlamentswahl im März war übrigens auch Nationaltrainer Oleh Blochin Abgeordneter im Parlament – für die Partei der Surkis-Brüder, die an der Drei-Prozent-Hürde scheiterte.

Die WM-Teilnahme ist ein Meilenstein für die Ukraine – auch für die Nation. Denn noch immer ist das Land gesellschaftlich gespalten, in den ukrainischsprachigen Westen und den russischsprachigen Osten. Während die Menschen im Westen der EU und der Nato beitreten wollen, haben sich im Osten viele noch nicht mit der Ukraine als eigenständigem Staat abgefunden und trauern der großen Sowjetunion nach. „Der Fußball wird uns einen“, hofft deshalb Serhij Michajlenko vom Dynamo Kiew-Fanklub.


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