Montenegro

Die Erfindung der 55-Prozent-Hürde

„Montenegro kann nicht warten, bis Serbien den Weg wahrer Demokratie beschreitet“, sagt Ranko Krivokapic, Präsident des montenegrinischen Parlaments, mit Nachdruck. Darum sollen am 21. Mai 479.523 Stimmberechtigte in einem Referendum die Frage beantworten: „Wünschen Sie, dass Montenegro ein unabhängiger Staat mit voller völkerrechtlicher Subjektivität wird?“

In Montenegro wohnen mit 662.000 Einwohnern so viele Menschen, wie in Frankfurt am Main. Mit 13.812 Quadratkilometern ist es flächenmäßig gerade halb so groß wie Hessen. Früher eine jugoslawische Teilrepublik ist das Land der schwarzen Berge (so die Übersetzung), seit dem März 2003 mit Serbien im „Staatenbund Serbien und Montenegro“ (SCG) vereint. Diese Gemeinschaft wurde von der Europäischen Union und dem EU-Chefaußenpolitiker Javier Solana förmlich erzwungen. „Solania“ wird der Staatenbund deshalb oft bespöttelt. Immerhin räumt die EU die Möglichkeit eines Referendums ein. Und dieses verbriefte Recht nehmen die Montenegriner jetzt wahr, sehr zum Missfallen von Brüssel. Dort fürchtet man eine negative Vorbildwirkung auf kosovarische und mazedonische Albaner, bosnische Serben und andere Sezessionisten auf dem Balkan.

Brüssel machte den Montenegrinern daher Auflagen, die es so noch nie gegeben hat: Nicht etwa die absolute Mehrheit, nein gleich 55 Prozent der Wähler müssen am Sonntag für die Unabhängigkeit stimmen, damit diese Realität wird. Mit 54,9 Prozent der Stimmen ist das Referendum „verloren“, betonte Solanas Unterhändler Miroslav Lajcák in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica.

Diese 55-Prozent-Hürde ist kaum zu überwinden. Montenegros Politszene ist zutiefst gespalten in „Souveränisten“, geschart um die regierende Demokratische Partei der Sozialisten unter Premier Milo Djukanovic, und „Unionisten“ um die von Predrag Bulatovic geführte Volkssozialistische Partei (SNP). Die Demoskopen prophezeien den „Souveränisten“ seit Monaten bestenfalls 49 Prozent der Stimmen.

Dass es eher noch weniger werden, hat der „Monitor“, Montenegros beste Wochenzeitung, mehrfach vorgerechnet: Montenegrinische Wahlbeteiligungen sind traditionell hoch und werden zum Referendum nochmals steigen, womit die Chancen der „Souveränisten“ sinken. Bei einer erwarteten Wahlbeteiligung von 85 Prozent müssten die „Souveränisten“ rund 219.000 Stimmen auf ihre Seite ziehen – was sie noch bei keiner Wahl der letzten Jahre schafften.

Serbien, laut Weltbank derzeit „Primus unter allen Transitionsländern“, behandelt das montenegrinische Referendum mit Nichtbeachtung. Zu den Unionisten will man sich nicht klar bekennen, weil diese mehrheitlich aus erzkonservativen Nationalisten bestehen, für die Kriegsverbrecher wie Karadjic und Mladic „Helden“ sind.

Warum das Referendum überhaupt stattfindet, hat noch niemand schlüssig erklären können. In Teilen agiert das Land längst selbstständig, gezahlt wird mit Euro, nicht mit dem serbischen Dinar. Zudem interessieren sich die Bürger mehr für ihre Einkommensentwicklung, Arbeitsplätze und die persönliche Sicherheit als für die Wiederherstellung montenegrinischer Staatlichkeit. Montenegro müsste im Fall eines positiven Ausgangs des Referendums seine EU-Annäherung wohl bei Null neu beginnen. Ein vollständig souveränes Montenegro hätte nichts gewonnen, aber vieles verloren. Dies zeigt auch ein Blick auf den Sport: Für die Fußball-WM in Deutschland hat sich ein gemeinsames serbisch-montenegrinisches Team qualifiziert. Montenegro allein würde wohl von der Landkarte des internationalen Fußballs verschwinden.


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