Rumänien

Warten auf den EU-Beitritt

Bukarest (n-ost) – Dienstag, den 16. Mai, werden sich die meisten Rumänen rot im Kalender angestrichen haben. An diesem Tag wird der finnische EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn seinen Fortschrittsbericht über die Entwicklung Rumäniens und Bulgariens präsentieren. Rehns Bericht bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob beide Länder am 1. Januar 2007 der EU beitreten können - oder noch ein weiteres Jahr auf die EU-Mitgliedschaft warten müssen.

Nach Rehns Empfehlung werden die Staats- und Regierungschefs dann Mitte Juni über den Beitritt abstimmen. In Rumänien gilt es aber schon jetzt als nahezu sicher, dass der Beitritt 2007 erreicht wird. Denn das Land hat seit dem letzten – sehr kritischen – EU-Bericht im Oktober 2005 deutliche Fortschritte gemacht. Die Zahl der als Besorgnis erregend eingestuften Punkte hat Rumänien von 14 auf vier reduziert. Galt für die Europäische Kommission bis vor kurzem der Beitritt Bulgariens als relativ sicher und Rumänien als „Wackelkandidat“, hat sich mittlerweile die Situation geändert. Die Kommission zweifelt nun an Bulgariens EU-Reife und sendet positive Signale nach Bukarest.

Zu den Fortschritten Rumäniens zählt die Anklage gegen den ehemaligen Parlamentspräsidenten und Ex-Premierminister Adrian Nastase wegen Korruption. Der Erfolg geht auf das Konto der parteilosen Justizministerin Monica Macovei, die seit gut anderthalb Jahren versucht, das Hauptproblem Korruption zu bekämpfen und die Justizreform voranzutreiben.

Macovei entpolitisierte den Justizapparat; die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten stärkte sie durch höhere Gehälter. Nun kämpft Macovei um weitere Reformen, teils sogar gegen die eigenen Kabinettskollegen. Es geht um die Änderung der Strafverfolgungsprozeduren, die Transparenz der Privatvermögen von Politikern und um die Parteienfinanzierung. Der Botschafter der Europäischen Kommission in Bukarest, der Brite Jonathan Scheele, lobt das Engagement der Ministerin als „beachtliche Verringerung der Korruption“. Die Reform des Justizsystems sei eine „höllisch schwere Aufgabe“.

Allem Reformeifer zum Trotz sind auch zunehmend kritische Töne in der rumänischen Hauptstadt zu vernehmen. Zwar fiebern Umfragen zufolge gut 80 Prozent der Bevölkerung dem Beitritt entgegen. Doch befürchten viele, dass die Einwohner sich die wirtschaftlichen Folgen der EU-Mitgliedschaft nicht vorstellen können. Die Rumänen hoffen auf einen Wirtschaftsboom und besseres Lebensniveau nach dem Beitritt, fürchten sich aber gleichzeitig vor erhöhten Lebenshaltungskosten.

Viele wüssten zu wenig von den Folgen und Kosten des EU-Beitritts, erklärt Argentina Traicu, Direktorin der staatlichen Nachrichtenagentur Rompres. Sie seien auch nicht ausreichend informiert über EU-Normen und Standards. „Die Leute knüpfen viele Erwartungen an die EU. Die Gefahr ist groß, dass sie anschließend enttäuscht sind“, sagt Gabriel Giurgiu, der die „Redaktion Europäische Integration“ des öffentlich-rechtlichen Senders TVR leitet. Die EU und Rumänien seien wie ein verliebtes Paar. Doch es könne passieren, dass die Rumänen nach der „Hochzeit“ feststellen, dass vieles nicht so ist wie erwartet. „Ich habe wirklich Angst, dass die Liebe vor der Ehe dann in Hass umschlägt.“

Auch wenn es aus Kommissionskreisen heißt, Rumänien sei heute annähernd auf dem Niveau, auf dem sich auch Polen zum EU-Beitritt vor zwei Jahren befunden habe, müssen weitere Reformen erfolgen. So fehlt Rumänien beispielsweise noch immer eine Behörde zur Auszahlung der EU-Agrarsubventionen. Deshalb müsse der Druck auf Rumänien auch nach einem Beitritt aufrechterhalten werden, meint Leonard Orban, Staatssekretär im EU-Ministerium und ehemaliger Chefunterhändler für die Beitrittsverhandlungen Rumäniens. „Es ist in unserem Interesse weiterzuarbeiten“, versichert er. Schließlich sei der Beitritt eine „historische Chance für Rumänien Teil der europäischen Familie zu werden“.

Von einer Verschiebung des EU-Beitritts auf 2008 erhoffe man sich nicht allzu viel. Stattdessen erwarte man eine politische Krise, die das Land zurückwerfen könnte. Eine weitere Folge wäre eine hohe Frustration in der Bevölkerung. Die Rumänen wollen nicht auf einen weiteren Fortschrittsbericht warten.

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Oliver Bilger


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