Polen

EU-Kommission besorgt über Rechtsruck

Warschau/Berlin (n-ost) Ist es Staunen, oder blankes Entsetzen? Vergangenen Freitag rückte Polens Regierung einen großen Schritt nach rechtsaußen, mehrfach vorbestrafte Demagogen und berüchtigte Nationalisten sitzen jetzt in der Regierung. Doch internationale Kritik, wie nach dem Eintritt Jörg Haiders in die österreichische Regierung, ist nicht zu vernehmen. Soviel Zurückhaltung hatte Polens Präsident Lech Kaczynski sicher nicht erwartet.

Nach der Wahl des rechtskonservativen Kaczynski zum Staatsoberhaupt im vergangenen Oktober hatte die EU-Kommission Polen noch ermahnt, alle Minderheitenrechte zu achten. Diesmal meldet sich öffentlich bislang nur die polnische EU-Regionalkommissarin Danuta Hübner zu Wort. Zur neuen rechts-nationalistischen Regierung sagte die parteilose Politikerin in Warschau: „Jetzt sind wir alle ein wenig besorgt, was morgen und übermorgen sein wird.“

Künftig sitzen jedenfalls in Brüssel der Anführer der Protestpartei Samoobrona (Selbstverteidigung), Andrzej Lepper, und der junge Chef der rechtsradikalen Liga Polnischer Familien (LPR), Roman Giertych mit am Verhandlungstisch. Der eine als Landwirtschafts-, der andere als Schulminister. Beide kämpften gegen den EU-Beitritt Polens und kritisieren die Union noch heute. Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz befürchtet trotzdem keine außenpolitische Isolierung Polens. Der Politiker der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit verwies in einem Interview mit Polens wichtigster Zeitung „Gazeta Wyborcza“ auf das Beispiel Österreich. Nach dem Einzug des Rechtspopulisten Haider in die dortige Regierung habe es zwar einen EU-Boykott gegen Österreich gegeben, erklärte Marcinkiewicz. Doch mittlerweile gehöre Österreichs konservativer Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der damals mit Haider koalierte, zu den „angesehensten Politikern in Europa“.

Wie alle EU-Regierungen schweigt im Fall Polen auch die rot-schwarze Koalition in Berlin. „Wir kommentieren die innenpolitische Entwicklung in anderen Ländern nie“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes dieser Zeitung.

Die in Polen anfangs allein regierende rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) holte sich die Radikalen mit ins Boot, um sich gut sieben Monaten nach den Parlamentswahlen endlich eine Mehrheit im Sejm zu sichern. Zuvor hatte sie vergeblich versucht, Neuwahlen durchzusetzen. Deshalb stellt die PiS die rechts-nationalistische Koalition als einzigen Weg aus der Krise dar. Laut Umfragen lehnen allerdings fast zwei Drittel der Polen die Regierungsbeteiligung von Lepper und Giertych ab.

Nach eineinhalb Wochen Suche ernannte Präsident Lech Kaczynski am Dienstag eine neue Außenministerin. Es ist die bisherige Vizeministerin Anna Fotyga (49) von der PiS. Sie ersetzt den parteilosen Pro-Europäer Stefan Meller, der wegen des Eintritts Leppers in die Regierung zurückgetreten war. Fotyga hatte noch am Montag, als sie sich in Berlin mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier traf, eigentlich Nein zu ihrem neuen Posten gesagt. Zuvor hatten der rechts-nationalistischen Regierung unter anderem Ex-Außenminister Wladyslaw Bartoszewski und Altpremier Jerzy Buzek einen Korb gegeben.

Viel Erfahrung bringt die neue Außenministerin, die früher Europaabgeordnete und Englisch- und Russischlehrerin war, nicht mit. Lech Kaczynski hält jedoch große Stücke auf Fotyga. Schon Anfang der achtziger Jahre war sie seine Mitarbeiterin. In Polen gilt Fotyga deshalb als verlängerter Arm des Präsidenten in der Regierung, der nun der wahre Außenminister sei. „Unbekannt, aber treu dem Präsidenten“, lautete am Mittwoch die Schlagzeile der konservativen „Rzeczpospolita“. Noch deutlicher fällt der Kommentar Grzegorz Sadowskis vom Magazin „Wprost“ aus. „Die polnische Außenpolitik hat kein Konzept und ist noch dazu chaotisch. Schlimmer kann es wohl nicht werden. Ich fürchte, dass es mit Anna Fotyga als Außenministerin auch nicht besser werden kann.“

Bundesaußenminister Steinmeier schrieb Fotyga ein Glückwunschtelegramm: Er freue sich auf die Zusammenarbeit, besonders weil er sie tags zuvor bei einem Gedankenaustausch kennen gelernt habe. In dem Gespräch mit ihr hatte der SPD-Politiker am Montag die Aufnahme der radikalen Parteien in die polnische Regierungskoalition nicht angesprochen.

Eine der Hauptaufgaben der neuen Warschauer Ministerin wird es sein, im Ausland Vertrauen zu gewinnen. Zu schlecht ist der Ruf von Leppers Samoobrona und Giertychs LPR. Nicht ohne Grund. So verließen alle LPR-Abgeordneten den Saal, als am Tag vor dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 Bundespräsident Johannes Rau vor dem Sejm eine Rede hielt. „as wir feiern sollen, ist ein Grund zur Trauer, nicht zur Freude, denn die Bedingungen wurden uns diktiert, vor allem von Deutschland“ begründete dies damals Giertych.

Im vergangenen Wahlkampf sammelte seine Partei Unterschriften gegen die Einführung des Euros, weil er von Deutschland bestimmt werde. Am gefährlichsten jedoch ist die von Giertych gegründete rechtsextreme „Allpolnische Jugend“. Die Neonazis dieser LPR-Vorfeldorganisation verprügeln regelmäßig Homosexuelle und brüllen bei deren Demonstrationen: „Schwule ins Gas.“

Die gegen Diskriminierungen kämpfende US-Organisation Anti-Defamation League (ADL) warf Lepper und Giertych folglich „Sympathie für rassistische und antisemitische Sichtweisen“ vor. Der Selbstverteidigungs-Chef arbeite mit einer antisemitischen Privathochschule in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zusammen, die ihm vor zwei Jahren den Ehrendoktor verlieh. In diesem Zusammenhang warnte vorige Woche die ADL in einem Brief an Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz (PiS): Die extremen Parteien brächten „der großen Nation Polen und Europa nur Instabilität“.

Mehrmals sorgte die LPR zumindest für handfeste Skandale. So nannte einer ihrer Abgeordneten den für die Aufarbeitung des Judenprogromms von Jedwabne verantwortlichen Leiter des „Instituts des Nationalen Gedenkens“, Leon Kieres, einen „Judenknecht“. Als Kieres 2002 seinen Rechenschaftsbericht dem Parlament vorlegte, forderte der Abgeordnete ihn sogar auf, die Hosen herunterzulassen, um zu beweisen, dass er ein „echter Pole“ sei.

Eigentlich hatten der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski und sein Zwillingsbruder und jetzige Staatspräsident Lech Kaczynski Polen einen großen moralischen Ruck versprochen. Sie riefen unmittelbar nach den Wahlen im Herbst 2005 die „Vierte Republik“ aus und wollten nach der Regentschaft der Postkommunisten in Polen für Recht und Ordnung sorgen. Nun scheren sich die Kaczynskis jedoch nicht einmal darum, dass ihr Koalitionspartner Lepper vorbestraft ist und wochenlang im Gefängnis saß. Anfang der neunziger Jahre stiftete der einstige Direktor einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) seine Mitarbeiter an, einem Gärtnereichef den Kopf kahl zu scheren und ihn aus zu peitschen. Das brachte ihm Untersuchungshaft und eine dreijährige Bewährungsstrafe ein.

Just zum Antritt Leppers im Landwirtschaftsministerium verurteilte ein Berufungsgericht den Exkommunisten wegen übler Nachrede zu einer 15 Monate langen Bewährungsstrafe. Denn der Polit-Rüpel hatte 2001 im Parlament sozialdemokratische und rechtsliberale Politiker pauschal der Korruption beschuldigt. Regierungschef Marcinkiewicz nahm das Urteil gelassen und sprach nur von einer „unangenehme Situation“.

Lepper wird die Bewährungsauflage des Gerichts, fünf Jahre lang keine Verleumdungen, etwas schwer fallen. Zum Einzug ins Kabinett griff er den parteilosen Außenminister Stefan Meller derart an, dass dieser unter Protest seinen Rücktritt einreichte. Meller "mache aus sich keinen ernsthaften Menschen, um nicht zu sagen einen Narren", ging Lepper ihn an.

Die klerikalen Nationalisten der LPR nehmen sich da lieber kirchlicher Themen an. So protestierte der Europa-Abgeordnete Maciej Giertych, der Vater des LPR-Chefs, Anfang 2005 laut gegen die Einführung der Handkommunion in Polen, weil sie zu Hostienschändungen führen würde: "Aus Italien gibt es Hinweise, dass die Leute geweihte Oblaten in ihre Jackentasche stecken und sie anschließend an Satanisten verkaufen."

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