Rechtsruck in Warschau verunsichert EU
Warschau (n-ost) – Soviel Zurückhaltung hatte Polens Präsident Lech Kaczynski sicher nicht erwartet. Kein einziges kritisches Wort richteten ausländische Politiker bislang Richtung Warschau, obwohl dort nun gerichtlich verurteilte Demagogen und berüchtigte Nationalisten in der Regierung sitzen. Polens Partner in der EU schweigen bislang – ob vor Staunen, oder blankem Entsetzen, wird sich bald erweisen.
Künftig jedenfalls sitzen am Brüsseler Verhandlungstisch der Anführer der Protestpartei Samoobrona (Selbstverteidigung), Andrzej Lepper, als Landwirtschaftsminister und der junge Chef der rechtsradikalen Liga Polnischer Familien (LPR), Roman Giertych, als Bildungsminister. Beide kämpften gegen den EU-Beitritt des Landes und kritisieren die Union noch heute. Einziger Trost für Brüssel: Experten sprechen den beiden größere außenpolitische Ambitionen ab. „Zu einem Kurswechsel in der EU-Politik wird es nicht kommen“, meint der Breslauer Politologe Piotr Buras. „Die Populisten sind Zyniker und keine Fanatiker.“ Lepper (51) und Giertych (35) fehle sogar jegliches Konzept für die Beziehungen zum Ausland.
Die anfangs allein regierende rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) holte sich vergangene Woche die Radikalen mit ins Boot, um sich gut sieben Monaten nach den Parlamentswahlen endlich eine Mehrheit im Sejm zu sichern. Zuvor hatte sie vergeblich versucht Neuwahlen durchzusetzen. Deshalb stellt die PiS die rechts-nationalistische Koalition als einzigen Weg aus der Krise dar. Polens Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz erklärte am Wochenende in einem Interview mit der führenden Zeitung „Gazeta Wyborcza“, er befürchte durch die Kabinettsumbildung keine außenpolitische Isolierung Polens. Zwar habe es damals nach dem Einzug des rechten Politikers Jörg Haider in das österreichische Kabinett, einen EU-Boykott gegeben, doch mittlerweile gehöre Österreichs konserativer Bundeskanzler Schüssel, der damals mit Haider koalierte, zu den angesehensten Politikern Europas. Laut Umfragen allerdings lehnen über 60 Prozent der Polen den Einzug von Lepper und Giertych in die Regierung ab. Profitieren konnte davon die rechtsliberale Oppositionspartei Bürgerplattform, die die Umfragen nun anführt
Eigentlich hatten der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski und sein Zwillingsbruder und jetzige Staatspräsident Lech Kaczynski Polen einen großen moralischen Ruck versprochen. Sie riefen unmittelbar nach den Wahlen im Herbst 2005 die „Vierte Republik“ aus und wollten nach der Regentschaft der Postkommunisten in Polen für Recht und Ordnung sorgen. Nun scheren sich die Kaczynskis jedoch nicht einmal darum, dass ihr Koalitionspartner Lepper vorbestraft ist und wochenlang im Gefängnis saß. Anfang der neunziger Jahre stiftete der einstige Direktor einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) seine Mitarbeiter an, einem Gärtnereichef den Kopf kahl zu scheren und ihn aus zu peitschen. Das brachte ihm Untersuchungshaft und eine Bewährungsstrafe ein.
Just zum Antritt Leppers im Landwirtschaftsministerium verurteilte ein Berufungsgericht den Exkommunisten wegen übler Nachrede zu einer 15 Monate langen Bewährungsstrafe. Denn der Polit-Rüpel hatte 2001 im Parlament sozialdemokratischen und rechtsliberalen Politikern pauschal Korruption vorgeworfen. Die Bewährungsauflage des Gerichts: Fünf Jahre keine Verleumdungen.
Das wird Lepper etwas schwer fallen. Passend zum Einzug ins Kabinett griff er den parteilosen Außenminister Stefan Meller derart an, dass dieser unter Protest seinen Rücktritt einreichte. Meller „mache aus sich keinen ernsthaften Menschen, um nicht zu sagen einen Narr“, ging Lepper ihn an. Meller war der einzige ausgewiesene Pro-Europäer im Warschauer Kabinett. Am gestrigen Dienstagnachmittag wurde dann in Warschau bekannt, dass Vizeaußenministerin Anna Fotyga (49) Meller beerben soll. Diese hatte noch vergangene Woche eine Übernahme des Postens abgelehnt. Doch mangelte es offensichtlich an Alternativen. Viele Experten wie Exaußenminister Wladyslaw Bartoszewski und Altpremier Jerzy Buzek hatten der rechts-nationalistischen Regierung einen Korb gegeben. Die PiS-Politikerin Fortyga arbeitete bereits in den achtziger Jahren eng mit dem heutigen Präsidenten Lech Kaczynski zusammen.
Einer ihrer Hauptaufgaben wird sein, im Ausland Vertrauen zu gewinnen. Zu schlecht ist der Ruf von Leppers Samoobrona und Giertychs LPR. So verließen alle LPR-Abgeordneten den Saal, als am Tag vor dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 Bundespräsident Johannes Rau vor dem Sejm eine Rede hielt. „Was wir feiern sollen, ist ein Grund zur Trauer, nicht zur Freude, denn die Bedingungen wurden uns diktiert, vor allem von Deutschland“, begründete dies damals Giertych. Im vergangenen Wahlkampf sammelte die Partei Unterschriften gegen die Einführung des Euros, weil er von Deutschland bestimmt werde.
Die gegen Diskriminierungen kämpfende US-Organisation Anti-Defamation League (ADL) warf Lepper und Giertych „Sympathie für rassistische und antisemitische Sichtweisen“ vor. Der Selbstverteidigungs-Chef arbeite mit einer antisemitischen Privathochschule in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zusammen, die ihm vor zwei Jahren den Ehrendoktor verlieh. Die ADL warnte vergeblich in diesem Zusammenhang in einem Brief an Premierminister Kazimierz Marcinkiewicz (PiS): Die extremen Parteien brächten „der großen Nation Polen und Europa nur Instabilität“.
Beide radikalen Parteien geht es allerdings in erster Linie um innenpolitische Themen – auch um kirchliche. So protestierte der Europa-Abgeordnete Maciej Giertych, der Vater des LPR-Chefs, Anfang 2005 laut gegen die Einführung der Handkommunion in Polen, weil sie zu Hostienschändungen führen würde: „Aus Italien gibt es Hinweise, dass die Leute geweihte Oblaten in ihre Jackentasche stecken und sie anschließend an Satanisten verkaufen.“
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