Polen

Breslau: Kreuzungspunkt der Kulturen

Breslau - das polnische Wroclaw an der Oder, zählt zu den liberalsten Städten Osteuropas: Hier treffen sich Deutsche, auf der Suche nach ihren Breslauer Wurzeln, mit Weißrussen, die den Anschluss an Europa finden möchten. Junge Polen genießen die Chancen der neuen Freiheit und vermitteln zwischen Ost und West. Leben am Kreuzungspunkt der Kulturen.

Ida Mögelin sieht verzweifelt und müde aus. Heute hat sie sich in ihrer Heimatstadt Breslau verlaufen. „Wegen der ganzen Neubauten und der umbenannten Straßen konnte ich mein Haus nicht mehr finden“, sagt sie enttäuscht. Nach fast 60 Jahren ist sie in die Stadt zurückgekehrt, in der sie aufgewachsen ist. Heute tragen hier die Strassen doppelte Namen und die Einwohner stammen aus allen Ecken der Welt.

„Wir in Wroclaw haben ein Problem mit der Identität, wir sind auf der Suche nach uns selbst“, sagt auch Jolanta Bielanska. Die Familie der 35-Jährigen Polin stammt aus Lemberg und teilweise aus Armenien. „Ich denke, dass Wroclaw die liberalste Stadt Polens ist. Allein deswegen, weil es hier so viele internationale Wurzeln zusammengeflochten sind“, erzählt die erfolgreiche Malerin. Symbol für diese sich überlagernden Kulturen sei für sie der Künstler Andrzej Dudek Dürer, der sich als Inkarnation von Albrecht Dürer preist. „Und ich glaube ihm“, lächelt die Malerin.

Die Identität von Breslau, auf Polnisch Wroclaw genannt, wurde von Böhmen, Polen und Deutschen geprägt, zu denen die Stadt zu verschiedenen Zeiten gehörte. Im 1763 wurde sie Teil von Preußen und ist im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Städte Deutschlands aufgestiegen. Für ihren Untergang waren die Nazis verantwortlich. Sie erhoben die Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges zur „Festung. Häuser wurden gesprengt, um einen provisorischen Flughafen im Stadtgebiet oder den Bunker für den Gauleiter Hanke zu bauen. Lange wurde die Stadt von der Roten Armee belagert und bombardiert, bis sie als eine der letzten deutschen Großstädte kapitulierte. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Stadt wie auch der Großteil Schlesiens polnisches Herrschaftsgebiet.

Viele Breslauer, vor allem die Jungen, denken nicht an die Vergangenheit zurück, sondern genießen es einfach, auf einer Kreuzung verschiedener Kulturen zu leben. „Mir ist es egal, wie die Stadt genannt wird – Breslau oder Wroclaw, ich verbinde mit dem alten Namen keine Erinnerungen“, zuckt Anna Karolina Wieszczek die Schultern. Sie trinkt Kaffee auf der Flaniermeile der Altstadt, die gegen Mittag voll ist mit beschäftigten Männern und zierlichen Frauen, die mit ihren Stöckelschuhen übers Kopfsteinpflaster balancieren.

Die 26-Jährige Anna Karolina ist in Breslau aufgewachsen, hat dann Deutsch studiert und einige Zeit in Hamburg gearbeitet. „Ich will meine künftige Berufstätigkeit unbedingt mit der Aussöhnung unserer Völker – des deutschen und des polnischen – verbinden“, sagt sie fest entschlossen.

Immer wieder stößt man in Breslau noch auf alte deutsche Inschriften, etwa auf dem Friedhof oder in den zahlreichen Kirchen rund um die Dominsel. Die Zeit verwischt allerdings langsam die deutschen Spuren aus der Stadt. Es gibt hier keine deutsche Gemeinde mehr, wie etwa im benachbarten Oppeln. Das Deutsch, das man in den Straßen hört, stammt von den zahlreichen deutschen Nostalgietouristen.

Die 85-Jährige Ida Mögelin zählt zu ihnen. Sie kann selbst mit Hilfe ihres Sparzierstocks kaum laufen, will aber nicht die Gelegenheit versäumen, vielleicht zum letzen Mal für zwei Tage ihre Heimat zu besuchen. Sie sitzt im Schweidnitzer Keller, dem deutschen Restaurant am Breslauer Marktplatz, heute „Piwnica Swidnicka“ genannt. Sie hat Fisch mit Kartoffeln bestellt, enttäuscht, dass man hier nicht mehr ihre Lieblingsbackobst mit Klopsen serviert. „Nicht weit von hier hat meine Schwester damals im Wäschegeschäft gearbeitet. Die Damen im Geschäft waren so elegant: in schwarzen Röcken und weißen Blusen“, schwärmt die Frau, die heute in Berlin lebt.

Bis 1946 hatte sie in der zerstörten Stadt ausgehalten. Die Hälfte der Marthastrasse, in der sie wohnte, wurde 1945 gesprengt, um den deutschen Militär die Aussicht gen Osten frei zu machen. „Man dachte, die Russen kommen aus dem Osten, doch sie kamen von Süden“. Damals hätten sie ständig in Lebensgefahr geschwebt. Im Oktober 1944, als die ersten Bomben auf die Stadt fielen, hat sie ihren ersten Mann geheiratet, mit dem sie später nach Berlin geflohen ist, nach Ostberlin. Die Tränen drängen sich in die Augen der alten Dame, als sie sich an ihrer Vergangenheit erinnert. „Ich hatte eine wunderschöne Kindheit hier in Breslau“, reißt sie sich zusammen und will lieber über die Glücksmomente ihres Lebens erzählen, von denen viele mit dieser Stadt verbunden sind.

Bei der jungen Weißrussin Larissa Moszizynska war es die Liebe, die sie nach Breslau führte. Seit sieben Jahren lebt sie hier mit ihrem polnischen Mann und sagt, die Stadt häötte sich seit dieser Zeit der Welt geöffnet. Es habe Zeiten gegeben, da hätte man in Breslau lieber kein Russisch gesprochen. Heute habe sich die Situation sichtlich geändert. „Auf der Strassen hört man alle mögliche Sprachen“. Auch Russisch sei in Polen wieder willkommen. So kämen an der Universität derzeit zehn Bewerber auf einen Platz in der Russistik-Abteilung. „Die Polen haben verstanden, dass Russen und Deutsche ihre wichtigsten Partner sind“, sagt Larissa.

Die Offenheit Richtung Westen und Osten wird allerdings von Warschau aus gebremst. Jolanta Bielanska erzählt, dass die in Polen starke katholische Kirche die Freiheit der Kunst beeinträchtige und dass es schwer sei, sich als provinzieller Künstler gegen Warschau zu behaupten. „Unter unserem neuen Präsidenten Lech Kaczynski wird die Kontrolle noch stärker. Da sind wir uns sicher“, seufzt sie. Doch ihre dunklen Augen beginnen zu leuchten, als sie von der Freiheitsbewegung erzählt, für die Breslau in den 1980er Jahren bekannt war. Oppositionelle der „Orangenen Alternative“, die sich selbst „Bergmännchen“ nannten, hätten damals die Polizei mit spontanen Aktionen verwirrt. Sie erschienen zum Beispiel auf den Straßen verkleidet als „Geheimagenten“, die verdächtig über ihre schwarze Brille guckten, oder begannen plötzlich gemeinsam auf dem Marktplatz zu hopsen. Heute findet man in der gesamten Breslauer Altstadt kleine „Bergmännchen“ aus Stein – ein Denkmal für die witzigen Freiheitskämpfer. Dass die „Orange Alternative“, die sowohl gegen die kommunistische Regierung als auch gegen die konservative Solidarnosc auftrat, in Breslau entstand, findet Jolanta Bielanska symbolhaft. Schließlich sei Breslau eine der liberalsten Städte Polens.

Ida Mögelin schaut sich um auf dem großen Marktplatz. „Die Polen sind sehr gute Restaurateure, das muss man zugeben“, zeigt sie auf die glänzenden Fassaden der Kaufhäuser. „Aber die Atmosphäre von damals kann man hier natürlich nicht mehr wieder erkennen“, seufzt sie und will zum zweiten Mal an diesem Tag ihr Geburtshaus suchen gehen.

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