Tschechien

Deutsche Antifaschisten in Böhmen

Seit dem Kriegsende sind 65 Jahre vergangen. Dennoch wird bis heute die deutsche und tschechische Öffentlichkeit vielfach mit Stereotypen konfrontiert, die die Deutschen pauschal als Besatzer und Kriegsführer darstellen, die Tschechen als Vertreiber der Sudetendeutschen.

Dass diese Bilder nicht für alle gelten, belegen Historiker: Fast zehn Prozent – 300.000 der rund drei Millionen - der Sudetendeutschen leisteten seit 1938 Widerstand gegen das NS-Regime. „Es waren die deutschstämmigen Sozialdemokraten, Vertreter der katholischen Kirche, Kommunisten und demokratisch gesinnte Menschen. 20.000 von ihnen wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt oder lebten unter Gestapo-Kontrolle. 37 katholische Geistliche bezahlten für ihren Widerstand mit dem Leben, ihnen folgten Hunderte von weiteren deutschen Antifaschisten“, erklärt Oral-History-Forscherin Alena Wagnerová.

„Es ist wie eine enttäuschte Liebe“

Für ihr aktuelles Buch „Helden der Hoffnung“ sprach Alena Wagnerová mit Zeitzeugen und ihren Nachkommen. „Diese Menschen haben in ihrem Leben zwei Niederlagen hinnehmen müssen – eine 1938, als die Braunen die deutsch besiedelten Grenzgebiete der Tschechoslowakei besetzten, und die zweite, als sie als Deutsche nach 1945 das Land verlassen mussten“, erzählt sie. Die Tschechoslowakei erlaubte deutschen Antifaschisten zwar zu bleiben, sie hätten sich jedoch völlig in die tschechoslowakische Gesellschaft integrieren müssen. So entschieden sich viele doch für den Wegzug aus der alten Heimat, berichtet Wagnerová, etwa 79.000 kamen nach Westdeutschland, vor allem nach Bayern, 54.000 gingen in die sowjetische Besatzungszone - in die DDR.

Den Protagonisten des Buches blieb Tschechien als das Land ihrer Jugend in Erinnerung. „Wenn die tschechische Hymne gesungen wird, stehen wir auch  heute noch auf“, sagt die Tochter des Widerstandskämpfers Otto Halke – Maria Halke aus dem bayerischen Memmingen. „Es ist wie eine enttäuschte Liebe, denn wir hatten den Staat  auch in unsere Gefühle einbezogen. Ein Zuhausegefühl habe ich hier (gemeint wird Memmingen – A.d.R.) schon, aber das Heimatgefühl hat man nur einmal im Leben.“ Vielleicht auch deswegen bewahrt die Tochter des ehemaligen Parlamentsabgeordneten und Mitglieds der deutschen Partei „Bund der Landwirte“ noch heute den Bleistift auf, mit dem ihr Vater 1934 in der Nationalversammlung Tomáš G. Masaryk zum Präsidenten wählte.

Deutschen Diskurs dominieren Stereotype

Obwohl Widerstandskämpfer wie Otto Halke im Zweiten Weltkrieg ihr Leben aufs Spiel setzten und mit persönlicher Courage Menschen retteten, erfuhren sie laut Wagnerová nur wenig Anerkennung von Seiten der deutschen Regierung. Auch ihr eigenes Buchprojekt wurde hauptsächlich von tschechischer Seite gefördert, fügt sie hinzu. Den Diskurs in der deutschen Öffentlichkeit würden immer noch jene Stereotypen dominieren, die sich im Kalten Krieg durchgesetzt haben. Diese repräsentiere beispielsweise der Bund der Vertriebenen. Das Bild der Antifaschisten passe einfach nicht in dieses überkommene Bild, so die Autorin. „Ohne politische Hilfe werden wir jedoch die falschen Stereotype in beiden Ländern nicht durchbrechen können,“ meint Wagnerová.

In den Ländern Mittel- und Osteuropas wie der Slowakei, Tschechien, Polen und Russland wurden Antifaschisten für ihren Widerstand und ihre Zivilcourage gesellschaftlich anerkannt. Sie engagieren sich zum Teil bis heute in Vereinen, viele von ihnen erhalten für ihren damaligen Einsatz eine zusätzliche Rente. „Dieselbe gesellschaftliche Anerkennung verdienen auch die deutschen Antifaschisten aus dem Sudetenland. Diesem Zweck dient auch mein Buch“, sagt die Autorin.

Hintergrund

Alena Wagnerová wurde 1936 in Mähren geboren. Sie studierte Biologie und Pädagogik an der Masaryk-Universität in Brünn, wo sie auch promovierte. Zunächst war sie als Dramaturgin und seit 1966 als freie Publizistin tätig. Seit 1969 lebt die Schriftstellerin, Übersetzerin und Herausgeberin in Saarbrücken und Prag. Sie war Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung und ist in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Mitglied der Sektion für Frauenforschung. Außerdem ist sie Mitglied des Oral History-Centrums Saarbrücken-Praha und der Schriftstellervereinigung P.E.N. Seit 1968 befasst sie sich mit der Problematik der Sudetendeutschen. 1976 erschien in Deutschland ihr Buch „Mutter, Kind, Beruf“, in dem sie die Erfahrungen der Frauen in der Tschechoslowakei mit den Berufsleben verarbeitete. 1990 veröffentlichte sie im Kölner Kiepenheuer & Witsch-Verlag ihr Buch über die Erfahrung der ersten Generation der Vertriebenen „1945 waren sie Kinder: Flucht und Vertreibung im Leben einer Generation“.  2008 erschien ihr Buch über Widerstandskämpfer aus den Reihen der Deutschböhmen „Helden der Hoffnung – die anderen Deutschen aus den Sudeten 1938-1989“, das Ende April 2010 in tschechischer Ausgabe  „A zapomenutí vejdeme do dějin“ in Prag erschien. Alena Wagnerová ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.


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