"Kriegerische Auseinandersetzungen sind möglich"
„Reißt die Brücke doch ab“, ruft einer der etwa 200 Demonstranten den internationalen Sicherheitskräften zu, die sich auf der Brücke über den Fluss Ibar postiert haben. Die Gemüter sind erhitzt. Zwei Stunden zuvor waren drei albanische Jungendliche aus dem Süden über die Brücke gekommen und hatten einen Serben mit dem Messer angegriffen. Die internationale UNMIK-Polizei hatte die Brücke daraufhin sofort gesperrt. Racheakte wurden befürchtet – besonders, weil unter den Serben das Gerücht kursiert, die Kosovo-Polizei habe die Täter absichtlich entwischen lassen.
„Das passiert doch jedes Mal, wenn die Kontrollen etwas gelockert werden“, beklagt sich Neschko. Der junge Mann ist während der letzten großen Unruhen vor zwei Jahren von albanischen Extremisten aus seinem Heimatdorf im Süden Kosovos vertrieben worden. Seitdem lebt er in Mitrovica. Das heißt: in Nord-Mitrovica, denn im albanischen Südteil der Stadt ist er noch nie gewesen. „Das ist zu gefährlich“, sagt er und spricht aus, was viele Serben hier denken. Genauso wie umgekehrt die Albaner sich nicht in den serbischen Norden trauen.
Zwischenfälle wie an diesem lauen Frühlingsabend passieren nicht häufig, aber durch sie wird deutlich: Die Situation in der geteilten Stadt ist immer noch angespannt und kann jederzeit eskalieren. Norden und Süden sind auch sieben Jahre nach dem Krieg zwei Welten, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Im Norden der Stadt fahren die Autos weiterhin mit den alten jugoslawischen Kennzeichen. Und während im übrigen Kosovo der Euro die Landeswährung ist, wird hier ganz selbstverständlich mit dem Dinar gezahlt. Auch die Gehälter der öffentlich Bediensteten kommen direkt aus Belgrad.
Es ist ein merkwürdiger Zustand des Wartens und der Spannung, in dem sich Mitrovica zurzeit befindet. Seit Anfang des Jahres treffen sich Delegationen von EU, USA, Serben und Albanern zu regelmäßigen Gesprächen in Wien, um über den zukünftigen Status der südserbischen Provinz Kosovo zu beraten, die seit dem Ende des Krieges unter UN-Verwaltung steht. Die jeweiligen Vorstellungen sind bislang unvereinbar: Während Serbien nur eine weitreichende Autonomie innerhalb des serbischen Staatsgebiets gewähren will, hat die albanische Seite die Unabhängigkeit Kosovos zum alleinigen Verhandlungsziel bestimmt.
Weil unter den Albanern, die mit 90% Bevölkerungsanteil die große Mehrheit stellen, fast jeder so denkt, stehen die „Internationalen“ unter großem Druck. An vielen Häusern in den Straßen rund um den Marktplatz und die Moschee im Süden Mitrovicas prangen Graffitis: „Keine Verhandlungen – Selbstbestimmung!“ Unter diesem Slogan macht die Jugendbewegung Vetevendosje des charismatischen Studentenführers Albin Kurti für die Unabhängigkeit mobil. Daneben sind in den vergangenen Monaten neue bewaffnete Gruppen aufgetaucht, haben Bombenanschläge auf UNMIK-Einrichtungen verübt und Straßensperren errichtet. Ihre unmissverständliche Botschaft: „Ohne Unabhängigkeit gibt es wieder Krieg“.
„Ich werde nichts anderes als Unabhängigkeit akzeptieren“, bekräftigt Agim. Er ist Taxifahrer und wartet neben einigen Marktständen auf Kundschaft. Sieben Jahre lang hat er in Deutschland gelebt, nach dem Krieg ist er freiwillig zurück in seine Heimat gegangen. Nach der Unabhängigkeit, so hofft er, werden endlich auch die internationalen Investoren nach Kosovo kommen, so dass neue Jobs entstehen können. Mit den Serben habe er persönlich überhaupt keine Probleme. Sie sollen ruhig hier leben, sagt er und blickt Richtung Brücke. „Aber sie müssen ein unabhängiges Kosovo akzeptieren.“
Doch die Serben betrachten Kosovo weiterhin als ihr Land und befürchten, im Fall der Unabhängigkeit zu einer rechtlosen Minderheit zu werden. „Kein serbischer Politiker kann eine Unabhängigkeit akzeptieren“, sagt Marko Jaksic, Repräsentant der Kosovo-Serben bei den Statusverhandlungen. „Sie würde zu einem weiteren Exodus der Serben aus Kosovo führen.“ Doch der 55-jährige Arzt aus Mitrovica weiß natürlich auch, dass die Entscheidung längst gefallen ist. Vertreter der internationalen Gemeinschaft haben bereits klare Signale gesandt, dass es zu einer Unabhängigkeit kommen wird, wenn auch mit Einschränkungen. Aus Belgrad sind daraufhin Stimmen laut geworden, Kosovo in diesem Fall zum besetzen Gebiet zu erklären. Für Jaksic, der die Stimmung seiner Landsleute kennt, nur eine von mehreren Optionen: „Ich befürchte, dass es auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen könnte.“
Tatsächlich schmieden schon so manche alten Kämpfer wieder neue Pläne. Im Cafe Dolce Vita etwa, dem Treffpunkt der berüchtigten Brückenwächter. „Kommt es gegen unseren Willen zur Unabhängigkeit, werden wir uns verteidigen“, sagt einer. Werde die Unabhängigkeit Kosovos proklamiert, werden die Kosovo-Serben ihrerseits die Unabhängigkeit des nördlichen Teils Kosovos ausrufen und den Anschluss an Serbien fordern, erklärt er. Dabei würden sie auf viele bewaffnete Freiwillige aus Serbien zählen können. "Wir werden sie hier an die Brücke bestellen. Und sie werden kommen."