Gefängnis für Kriegsverbrecher
Sarajevo (n-ost) – Schon der Bauplatz ist von symbolischer Bedeutung: Auf einem ehemaligen Übungsplatz der Jugoslawischen Volksarmee (JNA), die auf Seiten der bosnischen Serben Mitte der 90er Jahre 1400 Tage die Stadt Sarajevo beschossen und belagert hat, soll das modernste und sicherste Gefängnis Südosteuropas entstehen. Der geschätzte 30 Millionen Euro teure Bau soll als Untersuchungsgefängnis für Kriegsverbrecher und Großkriminelle dienen, die als Hauptverantwortliche für den Tod von mehr als 200.000 Menschen und die Vergewaltigung von schätzungsweise über 40 000 Frauen und Mädchen während der Balkankriege gelten.
Der Gefängnisbau geht auf eine umfassende Strategieänderung des Haager Kriegsverbrechertribunals zurück. Bislang wurden Hauptkriegsverbrecher aus den Balkankriegen wie Slobodan Milosević und Ante Gotovina weit weg vom Ort ihrer Verbrechen inhaftiert und angeklagt. Doch der Internationale Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag will bis 2010 seine Arbeit einstellen und in den nächsten Jahren die meisten Gerichtsverfahren an das Oberste Gericht Bosnien-Herzegowinas, den „Sud BiH“ abgeben, das im März 2005 eine eigene „Kammer für Kriegsverbrechen“ ins Leben rief, deren Aufbau inzwischen abgeschlossen ist. Mit schätzungsweise 4500 Anklagen soll sich das bosnische Kriegsverbrechertribunal in den nächsten Jahren befassen. Die Täter kommen damit in das Land der Opfer zurück.
Einige Angeklagte wie die bosnischen Serben Zeljko Mejakic und Dusan Knezevic haben bereits die Sorge geäußert, die Verfahren in Sarajewo könnten weniger fair verlaufen. Dies soll mit internationalem Geld und Personal verhindert werden. „Die internationale Gemeinschaft kann es sich nicht leisten, dass die Kammer für Kriegsverbrechen versagt. Deswegen ist eine finanzielle Unterstützung lebenswichtig“, sagte dazu der Anwalt Param-Preet Singh von der Organisation Human Rights Watch.
Für die Unterbringung der Angeklagten wird ein Gefängnis mit höchsten Sicherheitsstandards benötigt. Im Vergleich zu den bestehenden Gefängnissen in Südosteuropa, die in der Regel hoffnungslos überfüllt sind, erinnert das geplante Staatsgefängnis, das von der türkischen Baufirma „Tustas“ gebaut werden soll, an ein Nobelhotel. Es soll sogar das gerne als „Luxusknast“ bezeichnete Untersuchungsgefängnis im niederländischen Scheveningen in den Schatten stellen.
Zwischen 320 und 350 Kriegsverbrecher und Großkriminelle werden in Ein- bis Drei-Bett-Zellen untergebracht werden. Ihre Freizeit können sie in Fernsehsälen, Arbeits- und Hobbyräumen, der Bibliothek, im Garten oder auf einer von mehreren geplanten Sportstätten verbringen. „In den letzten 30 Jahren wurde kein einziges Gefängnis in Bosnien und Herzegowina gebaut. In Anbetracht der großen Zahl an Angeklagten, die zu erwarten ist, rechtfertigt sich der Bau von selbst“, sagt Radivoje Badnjar, Leiter der Projektgruppe am Obersten Gericht von Bosnien-Herzegowina, die den Bau koordinieren soll.
Besonders großen Wert werde auf die Sicherheit des Gefängnisses gelegt. Aufgrund internationaler Standards seien besondere Schließanlagen und Videosicherheitssysteme notwendig. Speziell ausgebildete Sicherheitskräfte und die direkte Nähe zum Gericht Bosnien-Herzegowinas sollen die Fluchtgefahr auf ein Minimum reduzieren.
Noch ist das Geld für den Bau nicht vollständig beisammen, aber eine internationale Donatorenkonferenz in Brüssel stellte Ende März bereits zwischen 7,7 und 10 Millionen Euro in Aussicht. Der Präsident des Haager Kriegsverbrechertribunals, Fausto Pokar, kündigte weitere Unterstützung an:„Vor den Gerichtsinstitutionen Bosnien-Herzegowinas stehen große Herausforderungen und ohne eine kontinuierliche Unterstützung von Seiten der Internationalen Gemeinschaft werden die bosnischen Gerichte es nicht schaffen ihre Hauptfunktion zu erfüllen – die Stärkung des Rechtsstaates“. Der Spatenstich für den Gefängnisbau soll im Juli 2006 erfolgen, bereits nach 18-monatiger Bauzeit könnten Ende 2007 die ersten Gefangenen ihre Zellen beziehen.
„Nur durch eine Aufklärung der Kriegsverbrechen und ihre Verurteilung kann es zu einer wirklich Vergangenheitsbewältigung kommen. Deswegen ist der Bau dieses Gefängnisses, das sicherlich die bosnisch-herzegowinische Geschichte stark prägen wird, sehr wichtig“, kommentiert Damir Banović, derzeit Mitarbeiter des Obersten Gerichts Bosnien-Herzegowinas das Projekt.
Aus Reihen der Anhänger von Slobodan Milošević wurden nach dessen Tod wüste Beschimpfungen in Richtung Den Haag ausgestoßen. Man verdächtigt den Internationalen Strafgerichtshof des Mordes. Der Gefängnisbau in Sarajewo dürfte erst recht zu Konfrontationen führen. „Ohne eine adäquate Aufarbeitung der Ereignisse, und unter anderem der Kriegsverbrechen wird es dieses Land nicht schaffen. Das muss auch die serbische Öffentlichkeit in Bosnien akzeptieren“, kommentiert Aleksandar Trifunović, Politikanalytiker aus Banja Luka die Arbeit des nationalen Kriegsverbrechertribunals. Doch noch lässt man die Bevölkerung weitgehend im Unklaren über die Pläne. Diese ist ohnehin der politischen Auseinandersetzungen müde und vorrangig damit beschäftigt, das tägliche Überleben zu organisieren.
Ungelöst bleibt weiterhin die Hauptfrage auf dem Balkan: Was nützt das schönste und sicherste Gefängnis, wenn Straftäter wie Ratko Mladić und Radovan Karadžić trotz des Drucks der internationalen Gemeinschaft immer noch auf freiem Fuß sind? Vielleicht aber entfaltet der neue Knast in Sarajevo auch eine anziehende Wirkung. Straftäter dürften in diesem Luxusgefängnis ein weitaus besseres Leben führen, als die Familien der Ermordeten, die größtenteils an der Armutsgrenze leben, ohne jegliche Aussicht auf nennenswerte Entschädigung.
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