Belarus

Funken für den Widerstand

Bialystok (n-ost) - In diesen Tagen schmerzt der Blick nach Weißrussland. Der grelle weiße Schnee reicht bis an den Horizont, der das östliche Ende Europas markiert. Und wer für einen Augenblick das Dorf im Rücken vergisst, und die Straße und das rot lackierte Holzhaus von Sokrat Janowicz, der fühlt sich an den schwarz-weißen Film „So weit die Füße tragen“ erinnert. 800 Meter durch den Schnee sind es von hier aus bis zu dem Land, dessen Besuch so etwas wie der Gang in ein Freilichtmuseum ist. „Die Menschen dort sind immer noch vom Schlage des Homo Sovieticus“, sagt wenig später in der warmen Stube der Literat Janowicz.

„Ich erkläre den Polen, was weißrussisch ist“. Dazu braucht er die beiden mechanischen Schreibmaschinen in seinem Arbeitszimmer – eine mit lateinischen, eine mit kyrillischen Typographen. Der Alte mit den braunen Augen schreibt in beiden in dieser Gegend geläufigen Sprachen. Auf polnisch und auf weißrussisch über das weißrussisch-polnische Leben. Sokrat Janowicz ist die widerspenstige Stimme der 400.000 Menschen zählenden orthodoxen weißrussischen Minderheit. Die polnische Minderheit auf der anderen Seite ist ähnlich groß. Janowicz ist hier im Grenzgebiet geboren, davor sein Vater und auch schon der Großvater.

Mittlerweile liegen Welten zwischen beiden Seiten, zwischen dem EU-Mitglied Polen und dem immer noch sowjetisch geprägten und von Alexander Lukaschenko autoritär regierten Belarus. Um dort eine demokratische Entwicklung zu fördern, ist seit ein paar Tagen der Radiosender „Radio Racja“ on Air. Aus der „Warmen Straße 1“ in der ost-polnischen Provinzhauptstadt Bialystok sendet „Radio Racja“ ein (von der weißrussischen) Regierung unabhängiges Radioprogramm nach Weißrussland auf weißrussisch. Vorbild ist das „Radio Free Europa“, mit dem die US-Regierung den Menschen im sozialistischen Polen und dem restlichen Ostblock jahrelang freie Informationen zugänglich machte. Die polnische Regierung unterstützt „Radio Racja“ bis Jahresende mit 400.000 Euro.

Warschau ist inzwischen das vorrangige Ziel berufsoppositioneller Weißrussen, die hier von europäischen und US-amerikanischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) den letzten Schliff im Kampf gegen Lukaschenko erhalten, der in der Tat kein Menschenfreund nach westlichen Maßstäben ist. Bei den Menschenrechtsorganisationen „Amnesty International“ oder den „Reportern ohne Grenze“ steht er ganz oben auf der Liste der Despoten: Ein „Feind der Pressefreiheit“ nennt die Journalistenorganisation Lukaschenko, mit dem Weißrussland in der weltweiten „Rangliste der Pressefreiheit“ Platz 152 von 167 Ländern einnimmt. Weißrussische Journalisten berichten laufend von Zeitungsschließungen, Schikane, Festnahmen, Verhören – und in Einzelfällen von Mord.

Am 19. März sind Präsidentschaftswahlen in Weißrussland. Aussichtsreichster Oppositionskandidat mit Alexander Milinkewitsch ausgerechnet ein Mann, der aus der polnischen Minderheit östlich des Bug stammt. Vor allem die Polen hat Lukaschenko als Unruhestifter ausgemacht, „die den inneren Frieden destabilisieren wollen“ und dabei vom imperialistischen Ausland gelenkt und bezahlt würden. Als EU-Neumitglied hat Polen sich im Gegensatz zu Deutschland an vorderster Stelle für die orange-farbene Revolution in der nahen Ukraine engagiert.

„Aleksander Lukaschenko ist der letzte Diktator Europas, sagt Condoleeza Rice“, sagt Janowicz nördlich der warmen Straße in der warmen Stube und lacht dabei so sehr, dass die Lachfalten an seinen Augen einen regelrechten Tanz aufführen, „das hört sich an, als müsste man ihn unter Artenschutz stellen“. Von dem Radiosender, der den Weißrussen von Polen aus erklären will, wo es lang geht zur Demokratie, erwartet Sokrat allerdings nicht viel. Von Polen lernen heißt Demokratie lernen? „Es wird wohl nicht so sein, dass die Weißrussen Radio Racja hören, um dann gleich auf den Straßen eine Revolution zu veranstalten“. Das ist noch ein langer Weg. „Die Zukunft“, sagt Janowicz etwas zynisch, „liegt dort auf den Friedhöfen“. Erst wenn der „Homo Sovieticus“ aussterbe, habe die Demokratie ihre Chance. Das Land sei überaltert, wer über 50 sei, mache keine Revolutionen mehr. So lange Väterchen Lukaschenko die Renten pünktlich zahle, hätten die Menschen keinen Grund etwas zu ändern. Zehn Jahre - prophezeit der Literat, werde es wohl noch dauern. Und sein Vorname Sokrat bürgt quasi für Weisheit.

Mikolaj Markiewicz ist noch keine 50 und will auch nicht auf die demographische Lösung für den Machtwechsel in Minsk warten, bei dem er sicherlich gerne dabei wäre. Denn im Parlament hat der kräftige Mann aus Grodno schon mal als Abgeordneter gesessen, bis er unbequem wurde. Dann hat er im Gefängnis gesessen und ist auf die Idee gekommen, Journalist zu sein. Bevor er „Programmdirektor“ bei „Radio Racja“ wurde, war er Chefredakteur der regierungsunabhängigen Zeitung „Pahonia“ (Ritter) in Grodno, die irgendwann nur noch als Internetausgabe erscheinen konnte. Hüben wie drüben hängt Markiewiczs „Radio Racja“ vom Geld konservativer Quellen ab, denen es um „den Aufbau der Zivilgesellschaft“ in Weißrussland geht. Ein hehres Ziel, für das Markiewicz auch von demokratischen Idealen abweicht: „Wir machen hier so etwas wie eine sanfte Sabotage“ sagt er offen. Zwei Stunden täglich von 18 Uhr bis 20 Uhr schallt die sanfte Sabotage nun werbefrei in Richtung Osten. Enthalten ist ein zehnminütiger Nachrichtenteil, der sich vor allem um die Wahlkampagne von Alexander Milinkewitsch dreht, abgerundet wird das Programm mit weißrussischer Musik. Theoretisch ist das in ganz Weißrussland zu hören. Zwei starke Sender schicken Markiewiczs´Botschaft vom schlesischen Kattowice und aus dem litauischen Vilnius in Richtung Freilichtmuseum.

Auf die Frage nach der Finanzierung bläst Markiewicz die Backen auf, „nein, aus Deutschland kriegen wir leider kein Geld. Aber wir sind auf Hilfe angewiesen, nicht bloß auf ideelle Unterstützung“. 25 Leute arbeiten für „Radio Racja“, im Studio und als Korrespondenten. „Unsere Kollegen in Weißrussland haben es sehr schwer, sie werden ständig überwacht“. Seine Informationen kriegt „Radio Racja“ telefonisch oder aus Internetforen. Für Agenturen ist kein Geld da. „Die meisten unserer Korrespondenten und Quellen können wir nicht nennen, weil sie sonst Probleme mit dem KGB kriegen“. Auch seine Frau und die drei Kinder daheim im weißrussischen Grodno würden ständig überwacht, das Telefon abgehört. Vielleicht hüpft er deshalb wie ein nervöser Boxer über das frisch verlegte Laminat von „Radio Racja“.

Fragt man weißrussische Grenzgänger, die sich auf dem Markt in Bialystok mit Schmuggelzigaretten, Honig aus der eigenen und rosafarbenen Spitzenhöschen aus chinesischer Produktion, ein paar Zloty verdienen nach Radio Racja, erntet man kopfschütteln. „Radio Racja?“ „Kenn ich nicht“, sagt eine der wuchtigen Frauen, die nächste: „Habe ich noch nie gehört, was soll das denn sein?“. Und so geht das weiter, niemand kennt Radio Racja… „Aber was wollen die uns auch erzählen – die Wahrheit etwa?“, sagt schließlich eine. „Wissen Sie, jeder hat doch seine eigene Wahrheit, die in Minsk und auch die Leute, die Milinkiewicz unterstützen. Und Sie und ich haben auch unsere eigene Wahrheit, so einfach ist das“. So einfach ist das mit der Wahrheit.

Ende

-------------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Die Honorierung der Artikel und Fotos erfolgt nach den marktüblichen Sätzen. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors.

Angaben zum Autor :
Name des Autors: Olaf Sundermeyer

Belegexemplare bitte UNBEDINGT an die folgende Adresse:
n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin


Weitere Artikel