Kirgisistan

Ein Jahr nach der Tulpenrevolution

Bei freundlichem Frühlingswetter gedenkt Kirgisien mit einer Militärparade, Luftballons und den obligatorischen Festansprachen dem ersten Jahrestag seiner Tulpenrevolution. Familien flanieren gemütlich durch die Hauptstadt, alles ist ruhig und friedlich. Ende März 2005 herrschte Chaos auf den Straßen. Ausgehend vom Süden des Landes formierte sich nach manipulierten Parlamentswahlen eine Protestbewegung, die letztlich den damaligen Präsidenten Askar Akajew nach Moskau und aus dem Amt trieb.

Doch der freundliche Schein des kirgisischen Frühlings 2006 trügt: Die politische Lage in dem nach Tadschikistan zweitärmsten Land der Region ist instabil. Viele der 4,7 Millionen Einwohner sind durch eine desolate wirtschaftliche Situation verunsichert. Ähnlich wie seinem Revolutionskollegen Viktor Juschtschenko in Kiew wird dem kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew vorgeworfen, Kriminalität und Korruption nicht nachdrücklich genug zu bekämpfen.

In seiner Rede zum Revolutionsjubiläum beschwichtigte Bakijew seine Landsleute. „Bei uns gibt es immer noch Schwierigkeiten mit organisierter Kriminalität und Korruption“, räumt er ein, verweist aber gleichzeitig auf die Kürze der Zeit und verspricht Besserung für die Zukunft. Die 73-Jährige Rauschanna Abdulmanowa hat er auf seiner Seite: „Was ist schon ein Jahr, was kann man in einem Jahr schaffen?“, fragt sie. Die Rentnerin hat es sich nicht nehmen lassen, an der Parade teilzunehmen, obwohl ihre Nachbarin sie vor möglichen Unruhen gewarnt hatte.

Tatsächlich hören die Gerüchte über ein Wiederaufflammen der Kämpfe nicht auf. So ist Bischkek zum Revolutionsjubiläum voll von Polizisten. „Immer wieder wird von Demonstrationen und Protesten erzählt. Die Leute sind verunsichert“, erzählt Tschinara Asanalijewa, der nicht nach Feiern zumute ist. „Es hat sich nichts geändert, Korruption und Vetternwirtschaft herrschen weiterhin, die soziale Lage hat sich eher verschlechtert. Wer irgendwie kann, versucht, das Land zu verlassen.“

Die desolate wirtschaftliche Lage im Land, wird auch auf das Chaos zurückgeführt, das die Tulpenrevolution begleitete: „Allein die Unruhen und Zerstörungen zwischen dem 24. und 25. März letzten Jahres haben 100 Millionen Dollar gekostet“, sagt Burulkan Usubakunowa, Repräsentantin einer Organisation geschädigter Geschäftsleute, in einem Interview mit eurasianet.org. Die Revolutionsfeiern lehnt auch sie ab: „Mehr als 1.000 Geschäfte, Unternehmen und Büros sind zerstört worden, einige Opfer waren gezwungen zu fliehen, die Wirtschaft ist am Boden“, klagt sie. Bis heute habe die Regierung die Betroffenen nicht entschädigt.

Erst Anfang März hatte Präsident Bakijew gegen den Widerstand des Parlaments entschieden, mit einer Feier an die Revolution zu erinnern. Er wolle damit die Aufmerksamkeit weg von der Unfähigkeit seiner Regierung lenken und seinen Rückhalt in der Bevölkerung stärken, unterstellen Kritiker. Zwischen dem Präsidenten und seinem Regierungschef Felix Kulow auf der einen Seite und dem Parlament schwelt seit längerem ein Machtkampf. Bakijews Popularität ist in den letzten Monaten gesunken, Clan- und Machtdenken werden ihm und seiner Mannschaft vorgeworfen. Vor ein paar Monaten hatte Kulow seinen Rücktritt angeboten, ihm werden Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt. Erst im Herbst hatte es neue Proteste und Gefangenenunruhen gegeben, der Parlamentssprecher musste nach Kritik an Präsident Bakijew zurücktreten, Außenministerin Rosa Otunbajewa war im Oktober entlassen worden.

Die Bevölkerung sieht das alles mit Skepsis, ethnische Minderheiten befürchten zunehmend Nachteile: „Dass etwas besser wird, daran glauben wir nicht. Wir sind Russinnen, es wird für uns garantiert eher schwieriger in der Zukunft“, sagen Irina und Natascha, 21-jährige Studentinnen aus Bischkek. „Im Fernsehen sind wir gewarnt worden, als Russinnen nicht auf die Straße zu gehen“, erzählen sie. Dass die Lage im Land sich nicht so bald bessern werde, da seien sie sich sicher.

Auch Irina Kastejewa kann der neuen Zeit wenig Positives abgewinnen. „Ich bin einfach enttäuscht“, sagt sie. „Was bedeutet Freiheit, wenn alles so teuer geworden ist und ich mit meinen 1000 Kirgisischen Som (20 Euro) Rente nicht mal meine Gasrechnung bezahlen kann?“, fragt sie. Die Preise für Grundnahrungsmittel seien im letzten Jahr explodiert, hätten sich meist verdoppelt. „Ohne die Unterstützung meiner Kinder könnte ich nicht überleben“, so die ehemalige Kindergärtnerin. Das Wirtschaftswachstum ist von sechs Prozent im Jahr 2004 auf minus 0,6 Prozent im Jahr 2005 abgesackt. Doch Präsident Bakijew demonstriert Durchhaltewillen: „Der zweite und wichtigste Teil der Revolution startet jetzt“, verspricht er seinen Landsleuten.


Weitere Artikel