Ukraine

Timoschenkos Triumph

Ausgerechnet die Sieger der Parlamentswahl in der Ukraine machten lange Gesichter: Die Abgeordneten der „Partei der Regionen“ empfingen ihren Spitzenkandidaten Viktor Janukowitsch in der Wahlnacht mit mäßigem Beifall. Der ehemalige Ministerpräsident musste sich für seine Rede setzen und las mit versteinerter Miene vom Blatt: „Für die Stabilität im Land sind wir für Bündnisse nach allen Seiten offen.“

Janukowitschs Partei lag am gestrigen Nachmittag – nach Auszählung eines Drittels der Stimmen – zwar mit 26 Prozent knapp vorne. Für eine Regierungsmehrheit scheint es aber nicht zu reichen. „Wir hätten zehn Prozent mehr Stimmen bekommen, wenn der Präsident und die Verwaltung nicht zielgerichtet gegen uns gearbeitet hätten“, wetterte der Hinterbänkler Iwan Popesku, der sich plötzlich auf einem unsicheren Listenplatz sah. Präsident Wiktor Juschtschenko habe eine ganz raffinierte Methode der Wahlmanipulation erfunden: die schlechte Organisation.

Tatsächlich konnte nach Schätzungen der zentralen Wahlkommission eine Million Wahlberechtigte nicht abstimmen, weil die Wählerverzeichnisse fehlerhaft waren. Außerdem waren viele Wahllokale einfach zu klein. Mancherorts warteten die Bürger drei Stunden in der Schlange, bis sie schließlich entnervt aufgaben und nach Hause gingen. Aber dass dies hauptsächlich die Ostukraine betraf, wo die „Partei der Regionen“ ihre Stammwählerschaft hat, dürfte nicht stimmen. Die ausgewogene Wahlbeteiligung in den verschiedenen Landesteilen zeigt: Es handelte sich eben doch nur um schlechte Planung.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bescheinigte den Parlamentswahlen in der Ukraine trotz aller Mängel, sie habe „demokratischen Standards entsprochen“. Das ist ein großer Fortschritt: Noch die Präsidentenwahl im Herbst 2004 war von der damaligen Regierung offensichtlich gefälscht worden – zugunsten von Wiktor Janukowitsch, heute Vorsitzender der „Partei der Regionen“.

Damals demonstrierten Millionen bei der orangefarbenen Revolution für den betrogenen Wiktor Juschtschenko und erzwangen so eine Wiederholung der Wahl. Aber das Ergebnis vom Sonntag zeigt, dass viele inzwischen von der neuen Staatsführung enttäuscht sind. Nach der Auszählung bis gestern Nachmittag lag Juschtschenkos Partei „Unsere Ukraine“ bei weniger als 17 Prozent der Stimmen. „Es geht mir gut, wie immer vor einem Sieg“, sagte der Präsident noch bei seiner Stimmabgabe. Doch inzwischen ist Juschtschenko abgetaucht und lässt seinen Bürochef in seinem Namen Erklärungen abgeben.

Entspannt ging es gestern nur bei einer Partei zu: der Partei von Julia Timoschenko. Sie stand gestern Nachmittag überraschen bei fast 24 Prozent und damit auf Platz zwei. Julia Timoschenko kämpfte bei der orangefarbenen Revolution Seite an Seite mit Viktor Juschtschenko. Doch im vergangenen September entließ der Präsident die „schöne Julia“ als Premierministerin. Timoschenko, professionell bis zur Besessenheit, zeigte weder Freude noch Rachegefühle. Mit strenger Miene erklärte sie den Fernsehkameras, sie strebe eine Koalition mit „Unsere Ukraine“ und der Sozialistischen Partei an – natürlich als neue Regierungschefin.

Der Präsident wird diese Kröte wohl schlucken müssen. Denn als Juniorpartner von Wiktor Janukowitsch – Juschtschenkos Gegenspieler bei der orangefarbenen Revolution – würde „Unsere Ukraine“ vollends an Glaubwürdigkeit verlieren. Ganz zu schweigen von den Unterschieden im Programm. Die ostukrainische „Partei der Regionen“ versprach im Wahlkampf, dem Russischen den Status einer offiziellen Sprache zu geben und die Ukraine in einen föderalen Staat umzubauen.

Dass die westorientierten Parteien voraussichtlich eine Koalition bilden werden, darf über eines nicht hinweg täuschen: Die Ukraine ist politisch nach wie vor gespalten. Präsident Juschtschenko ist im Osten und im Süden des Landes noch ebenso unpopulär wie bei seiner Wahl vor anderthalb Jahren. Und Julia Timoschenko schnitt vor allem durch ihre Hausmacht in Kiew so gut ab. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Regierungsbeteiligung der „Partei der Regionen“ sogar wünschenswert. Sie würde die Ukrainer in Ost und West einander näher bringen.

Noch völlig unklar ist, was aus dem Ex-Boxweltmeister Vitalij Klitschko wird, der gleichzeitig für das Parlament und als Bürgermeister in Kiew kandidierte. Seine Partei PRP-Pora scheint die Drei-Prozent-Hürde nicht zu überspringen. Die Auszählung der Bürgermeisterwahl in Kiew indes kommt nicht voran. Am späten Montagnachmittag waren erst vier Prozent der Stimmen ausgewertet. Eine unabhängige Wählerkommission warf dem Amtsinhaber vor, die Abstimmung fälschen zu wollen. Er habe verschiedene Wahlkommissionen angewiesen, vorerst nicht weiter auszuzählen.


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