Ein Menschenleben für den Fußball
Krakau (n-ost) - Marcin war sein Leben lang Wisla-Fan, deshalb wurde es ihm von Hooligans der anderen Seite genommen. Marcin wurde nur 21 Jahre alt. Nach dem Lokalderby Wisla Krakau gegen Cracovia am 12. März ging Marcin abends zu Fuß nach Hause – den blau-roten Schal um den Hals gebunden. Vor dem Nonnenwohnheim in der Ulica Baluckiego passiert es dann: Zwei Autos halten in der wenig befahrenen Straße. Drinnen sitzen Cracovia-Fans auf der Suche nach einem Opfer. Türen fliegen auf, Marcin hat keine Chance. Er wird von hinten erstochen. Hingerichtet wegen eines falschen Schals, mit einem Butterfly-Messer. So eines mit zwei spreizbaren metallenen Griffen, die zum geschickten Fingerspiel einladen.
So eins, wie es der Polizist im Schneematsch vor dem Wisla-Stadion, am Eingang „C“, eine Woche später in der Hand wiegt: Spielerisch sieht das aus in den ersten Frühlingssonnenstrahlen nach einem langen polnischen Winter. Butterfly heißt Schmetterling. Den hat der Polizist einem der Wisla-Fans abgenommen, die gekommen sind, um gemeinsam an Marcin zu denken. Ganz still, in einer Schweigeminute vor dem Spiel. „Marcin, Wislaner von Anfang bis Ende“ steht in Weiß auf einem langen schwarzen Spruchband am Zaun vor der Gegengeraden. Und dann geht alles ganz schnell: Ein (An-) Pfiff, ein Schuss, ein Tor – Schluss mit der Stille im Stadion. Jubel aus traurigen Kehlen. Die Fans, die „Szaliks“ lassen ihre blau-roten Schals über den Köpfen kreisen.
Wer sich die Mühe macht, in die hinterste südöstliche Ecke des Stadions zu gelangen, über bröckelnde Stufen, rostige Streben und vorbei an den schwarz-uniformierten Ordnern, der kann sehen, was bei diesen Jungs hier Hass auslöst: „Cracovia“! Einen Torwartabschlag entfernt ist das kleinere Stadion des ärmeren und verhassten Lokalrivalen, der heute spielfrei hat.
Wisla ist Serienmeister, so etwas wie das polnische Bayern München. Fünf Meisterschaften in den vergangenen sieben Spielzeiten. Cracovia ist höchstens der Meister der Herzen; ihr größter Fan war Papst Johannes Paul II. Die polnische „Ekstraklasa“, wie die erste Liga heißt, ist im internationalen Vergleich allenfalls drittklassig. Doch die polnischen Hooligans können mit ihren Kollegen aus England, Holland, Italien und Deutschland mithalten, und wollen das bei der WM in Deutschland beweisen.
„Diese Jungs werden sich während der Weltmeisterschaft in Deutschland zusammenschließen, dann gibt es keine Clubrivalitäten, nur eine polnische Front“, sagt Piotr Z., den man in Deutschland als „szenekundigen Beamten“ bezeichnen würde. In Polen ist er ein verdeckter Ermittler, der in seinem schwarzen Lederblouson und mit den kahl geschorenen Haaren selber an einen Fußballschläger erinnert. Seit Jahren beschäftigt er sich mit der Szene. Aus einem alten Tresor zerrt er Akten mit Verhörprotokollen, schwarz-weiß Fotos von tätowierten Skinheads, von Verletzungen und von Waffen: Beile, Messer, Pistolen. Auf Piotrs Rechner liegen als Internetfavoriten die einschlägigen Hooliganforen: Kibicenet zum Beispiel. Ein Kibic ist ein Sportfan in Polen, einer der hinguckt.
„Von den Hooligans wollen viele zur Weltmeisterschaft nach Deutschland“, sagt Piotr Z. Polen spielt in der deutschen Gruppe. In einem Internetforum wird bereits „Rache für den II. Weltkrieg“ gefordert. „Und es kursieren bereits SMSs mit Verabredungen zwischen englischen und polnischen Hooligans“. Z. sieht darin eine Gefahr – und öffnet einen weiteren Schrank. Konfiszierte Waffen. „Diese Dinger hier mögen sie besonders!“ Klack. Klack. Z. ist geschickt mit dem Butterfly.
Und die Hooligans selbst? „Ja, wir wollen uns mit den Deutschen messen“, sagt Jurek K., der als Webmaster ein Hooligan-Forum betreut. Er ist selbst einer; aus dem elterlichen Wohnzimmer verfolgt er in Filzpantoffeln die Szene. Treffpunkte, Verabredungen, Anreisewege – all das ist tabu im Internet, „weil die Polizei mitliest“. Über Tickets zu den Spielen macht K. sich keine Gedanken: „Das ist nicht so wichtig. Wo Polen spielt, sind immer mehr Fans als Karten“.
In den Stadien der „Ekstraklasa“ ist das anders, die bleiben häufig leer. Wegen der Hooligans. Selten kommen mehr als 2000 Besucher. „Ich sitze lieber zu Hause auf dem Sofa“, sagt der Cracovia-Fan hinter dem Steuer des Taxis auf dem Weg zu dem Ort, wo Marcin sein Leben für seinen Verein ließ. Dort, in der Ulica Baluckiego, erinnern auf dem Gehsteig noch gelbe Plastikblumen und abgebrannte Kerzen an den Toten.
Die Polizei hat beim ersten Wisla-Heimspiel nach den Messerstichen aufgerüstet. Ein Wasserwerfer steht vor dem Wisla-Stadion und eine Hundestaffel begleitet die kleine Gruppe der auswärtigen Fans zum Eingang. Die schwarz-uniformierten Polizisten tragen gerippte schuss- und stichsichere Westen. Dazu schwarze Schirmmützen und Kampfstiefel. Aber die Polizei bleibt vor dem Stadion, „denn das ist eine private Veranstaltung“, heißt es später in der Kommandantur. Im Stadion kümmert sich ein privater Sicherheitsdienst – mit Nachdruck: „Presse auf die Pressetribüne, bei den Fans ist es zu gefährlich“. Diskussionen und Umwege sind nötig, um zu denen zu gelangen, um die es geht.
Die Wislaner haben heute ihren zentralen Block leer gelassen. Auf den verblassten blauen Plastiksitzen, wo sonst die treuesten stehen, stehen heute einige Gedenkkerzen. Vor dem leeren Block steht auf einem stählernen Ausguck ein Kapuzenfan – rücklings zum Spielfeld- mit einem Megafon, der den Ton angibt: „Wisla bedeutet Macht, Wislaner sind die aller besten“ – die geteilte Masse – rechts und links des leeren Blocks – stimmt ein. Ganz nüchtern, denn die Betrunkenen wurden vor dem Spiel aussortiert. Und Bier gibt’s hier keines, nur auf der anderen Seite im ViP-Raum, wo prall-geschminkte Spielerfrauen ihre Kinder mit Pommes und Pepsi füttern. Sogar einer der kleinen Edelfans trägt eine Strickmütze mit dem Titel „Hooligans“. Das Wort ist Mode, „transportiert Coolness, eine gewisse Verwegenheit“, sagt Fußballfan Artur, der solche Markenware verkauft: „United Hooligans“ heißt sein Label, von dem er „gut leben“ kann.
Vom „Heiligen Krieg“ ist die Rede in Krakau, wenn es um den Zwist zwischen Wisla und Cracovia geht, ein Krieg, dessen Opfer niemand zählt: „Wissen Sie, in unseren Polizeiberichten steht doch nicht bei jedem Tötungsdelikt dabei, ob es darum ging Cracovia- oder Wisla-Fan zu sein“, verlautet es bei der Polizei.
Auch im Historischen Museum am Altmarkt tauchen die Todesfälle nicht auf. Eine Ausstellung über Fußball zeigt keine Schlägereien mit Eisenstangen und auch keine hasserfüllten Hakenkreuz-Schmierereien, wo die einen die anderen als „Juden“ beschimpfen. Hier geht es um die glücklichen Momente im sportlichen Leben der Stadt. Um den „Fußballfrieden von Krakau“, der im vergangenen Jahr für ein paar Tage hielt: Fotos aus der Messe am 4. April 2005 im Cracovia-Stadion anlässlich des Todes von Johannes Paul II.. Andächtig stehen hier 25.000 Wisla- und Cracovia-Fans zusammen. Ein anderes Foto zeigt einen Haufen Schals beider Farben vor dem Bischofspalast, wo der Papst wohnte, als er noch Karol Wojtyla hieß. Was von der Versöhnung geblieben ist, weiß die alte Aufseherin im „Historischen Museum“ zu erzählen: „Na ja, wissen Sie, neulich hatten wir schon Angst, als ein paar grölende Wisla Fans hier ihre Hasstiraden über Cracovia durch den Saal schrieen“.
Ende