Die Opposition gibt nicht auf
Minsk (n-ost) - Die Opposition in Minsk wird von Tag zu Tag mutiger: In der Nacht auf Dienstag begann ein unbefristete Kundgebung auf dem Oktober-Platz im Zentrum der Stadt. Es wurden 15 Zelte aufgestellt und trotz Temperaturen von Minus zehn Grad harrten mehrere Hundert Jugendliche bis zum Morgen auf dem Platz aus. Am Dienstag protestierten mehrere Hundert Menschen auf dem Oktober-Platz für die Wiederholung der Präsidentschaftswahlen. Für den Dienstagabend war eine weitere Großkundgebung geplant.
Am Sonntagabend hatten die Anhänger der Oppositionskandidaten noch Angst gehabt sich im Stadtzentrum zu versammeln. Doch trotz des Demonstrationsverbots hielt sich die Polizei zurück. Über 10.000 Menschen demonstrierten am Wahlabend friedlich gegen das offizielle Wahlergebnis. Es spricht Amtsinhaber Lukaschenko 82,6 Prozent der Stimmen zu, die beiden Oppositionsführer Aleksandr Milinkewitsch und Aleksandr Kosulin kommen danach zusammen nur auf 8,3 Prozent der Stimmen.
Am Montagabend versammelte sich die Opposition erneut vor dem Gewerkschaftshaus auf dem Oktober-Platz. Von der Freitreppe des klassizistischen Gebäudes aus rief Milinkewitsch seine Anhänger auf, „bis zum Ende durchzuhalten“. Er bat um Tee und Stullen für die Demonstranten. Noch entschlossener als bisher schwenkten die etwa 5.000 Demonstranten ihre weiß-roten Fahnen und riefen in Sprechchören immer wieder „Schywe Belarus“ - „Es lebe Weißrussland“. Am Rande der Kundgebung tauchten Gruppen der OMON-Polizeisondereinheit in schwarzen Overalls auf. Sie griffen jedoch nicht ein.
Um die Zelte bildet sich eine Menschenkette. Gitarren werden ausgepackt, Lieder gesungen und heißer Tee ausgeschenkt. Aus der Nachbarschaft brachten Bürger Lebensmittel und Süßigkeiten. Viele Demonstranten sind der Meinung, die Macht habe die Präsidentschaftswahlen extra um ein halbes Jahr vorverlegt. Protestaktionen sind im Winter schwer zu organisieren.
Am gestrigen Dienstagvormittag hielten Priester der von der Macht in Minsk nicht anerkannten autokephalen, orthodoxen Kirche auf dem Platz einen Gottesdienst ab. Sie beteten für die Teilnehmer der Aktion, für die weißrussische Regierung und die Sicherheitskräfte „die uns schützen“. Für den Abend ist wieder ein Großkundgebung der Opposition geplant.
Die Organisatoren der Kundgebungen halten die Menschen mit flammenden Reden, weißrussischer Rock- und Punkmusik sowie mit Live-Nachrichten von Radio Liberty bei Stimmung. „Die Wahlen in Weißrussland wurden von der ganzen freien Welt nicht anerkannt“, fasst einer der Organisatoren die Radio-Nachrichten unter dem Jubel des Platzes zusammen. Außer den weißrussischen sieht man auf dem Platz auch blaue Europa-Flaggen, die Fahne Georgiens und sogar zwei russische Flaggen.
Die Kundgebung in Minsk hat auch ihre humoristischen Seiten. Als am Montagabend nach der Rede eines norwegischen Parlamentsabgeordneten mehrere Tausend Menschen begeistert „Freedom, Freedom“ rufen, fällt der Leiter der Kundgebung mit der weißrussischen Entsprechung „Swadboda, Swaboda“ in den Rhythmus ein und erreicht schließlich, dass die weißrussische Variante übernommen wird. Die staatlichen Medien sind den Demonstranten nicht besonders wohlgesonnen. Schon jetzt berichtet das weißrussische Fernsehen über angeblich betrunkene und bezahlte Protestierer.
Zahlreiche Verhaftungen
In der Nacht von Montag auf Dienstag wurden in Straßenunterführungen am Rande des Platzes und in der weiteren Umgebung 20 Kundgebungsteilnehmer festgenommen. Auf dem Nachhauseweg wurden außerdem vier Mitglieder des Milinkewitsch-Wahlkampfstabes, festgesetzt, darunter der Vorsitzende der „Vereinigten Bürgerpartei“, Anatoli Lebedko. Nach anderen Angaben aus Oppositionskreisen soll die Zahl der Festnahmen bereits bei 100 Personen liegen. Festnahmegrund ist die Teilnahme an einer unerlaubten Kundgebung.
Unter den Festgenommenen befanden sich auch Witowt und Aleksandr, die beiden Söhne von Präsidentschaftskandidat Milinkewitsch. Als dem diensthabenden Polizeioberst klar wurde, wen er vor sich hatte, zerriss er jedoch das Vernehmungsprotokoll und fuhr die Milinkewitsch-Söhne im eigenen Auto zurück zum Oktober-Platz. Dies berichtete die oppositionelle Website charter97.org.
Es wäre falsch die Aktionen in Minsk mit der orange-farbenen Revolution in Kiew zu vergleichen. Die Opposition in Weißrussland ist viel schwächer. Gleichzeitig ist die Unterdrückung nichtkonformer Meinungen in Weißrussland stärker als in der Ukraine vor der dortigen Revolution. Oppositionskandidat Aleksandr Milinkewitsch verglich die Lage in Weißrussland mit der Lage in Polen während der 80er Jahre. Selbst wenn die Opposition jetzt eine Wiederholung der Wahlen fordert und damit ein wahrscheinlich nicht erreichbares Ziel deklariert, ist sie über ihren eigenen Mut überrascht. Das erste Mal nach Jahren gelang es, die Straße als Ort des Protestes zurückzuerobern.
Derweil hat die US-Regierung die Wahlen in Weißrussland nicht anerkannt. Präsidentensprecher McClellan nannte in Washington weitere Reisebeschränkungen gegen führende Politiker und das Einfrieren von Auslandsguthaben von Einzelpersonen als mögliche Strafmaßnahmen. Auch in der deutschen Politik gibt es Überlegungen die Reisebeschränkungen gegen weißrussische Politiker auszuweiten. Ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums erklärte, die Ukraine schließe sich der Erklärung der EU zur Verurteilung der Wahlfälschungen an. Eine Politik, die auf eine Isolierung von Weißrussland hinauslaufe, halte man jedoch nicht für effektiv.
Ende
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