"Wir haben es statt, wie Vieh behandelt zu werden“
Minsk (n-ost) – Am 19. März wird in Weißrussland ein neuer Präsident gewählt. Drei Herausforderer wollen dabei den autoritär regierenden Staatschef Alexander Lukaschenko ablösen. Die größten Chancen werden Alexander Milinkewitsch eingeräumt. Hinter dem 58-jährigen Physiker hat sich ein breites Oppositionsbündnis formiert, zu dem auch die Vereinte Bürgerliche Partei, Teile der Sozialdemokraten, die Kommunisten und über 200 Bürgervereine gehören. Milinkewitschs Wahlprogramm sieht eine Demokratisierung des Landes vor, außerdem eine liberale Wirtschaftspolitik und die Öffnung hin zur Europäischen Union. Der parteilose Milinkewitsch, der einige Jahre in den USA studiert hat, bezeichnet sich selbst als „unpolitischen Menschen mit sauberen Händen“. Nur die Umstände hätten ihn zu seiner Kandidatur bewegt. Unsere Korrespondentin Tatjana Montik sprach mit Milinkewitsch über seine Ängste, seine Hoffnungen und das Vorbild der Ukrainischen Revolution.
FRAGE: Herr Milinkewitsch, sind Sie als Präsidentschaftskandidat mit dem Ablauf der Wahlkampagne zufrieden?
Milinkewitsch: Wenn Sie die Fähigkeiten unserer demokratischen Oppositionskräfte meinen, so haben wir gute Arbeit geleistet. Die Zustimmung zu meiner Politik als Präsidentschaftskandidat ist von 0,8 Prozent im Oktober letzten Jahres auf fast 25 Prozent Mitte Januar dieses Jahres gestiegen. Unabhängigen Umfragen zufolge ist heute der Großteil der Wähler in Minsk und in anderen Großstädten eher dazu geneigt, für uns als für Lukaschenko zu stimmen.
FRAGE: Im Gegensatz zu Lukaschenko haben Sie kaum Zugang zu Massenmedien. Wie und wo können Sie die Wähler erreichen?
Milinkewitsch: Da uns für unsere Treffen mit den Wählern keine staatlichen Räume zur Verfügung gestellt werden, müssen wir uns mit den Menschen informell treffen – auf den Märkten, vor den Fabriken und Werken, vor Universitätsgebäuden und an den Kirchen. Auch wenn wir bei Reisen in die Regionen nur einige hundert Wähler treffen, geben diese Menschen das Gehörte in ihrem Freundes- und Familienkreis weiter. In Umfragen hat sich mein Bekanntheitsgrad unter den Wählern auf über 80 Prozent erhöht.
FRAGE: Haben die Menschen keine Angst, zu den Treffen mit Ihnen zu erscheinen?
Milinkewitsch: Alle unsere Treffen werden von den Sicherheitsdiensten ganz offen mitgefilmt. Außerdem ist es bereits mehrfach passiert, dass Arbeiter von Betrieben von ihrer Leitungsebene davor gewarnt wurden, zu den Treffen mit mir zu gehen. Man sagte ihnen, die Treffen würden auf Video festgehalten, und man drohte den Arbeitern mit schlimmen Konsequenzen. Doch diese Gehirnwäsche kann auch einen gegenteiligen Effekt haben: Die, die früher unpolitisch waren, könnten sich dadurch gegen das Regime stellen, weil sie es satt haben, wie eine Viehherde behandelt zu werden.
FRAGE: Haben Sie unter solchen Umständen nicht hin und wieder den Eindruck, Sie würden gegen Windmühlen kämpfen?
Milinkewitsch: Die weißrussische Wählerschaft ist ungefähr so strukturiert: Ein Drittel möchte die Beibehaltung des Status Quo, ein weiteres Drittel sehnt sich nach einem Wandel und der Rest versteht, dass Lukaschenkos Zeit abgelaufen ist, sieht jedoch zum jetzigen Regime keine Alternative. Wir müssen zeigen, dass wir, die demokratischen Kräfte, genau diese Alternative darstellen. Es geht uns nicht um die Zahlen der Wahlkommission. Denn die Zahlen, die verlautbart werden, werden nicht der Realität entsprechen. Wir sind bestrebt, in den Köpfen und in den Herzen der Menschen zu siegen. Wenn am 19. März der Sieg de facto auf unserer Seite sein wird, wird sich derjenige, der sein juristisches und moralisches Recht auf die Macht längst eingebüßt hat, nicht mehr an der Macht halten können.
FRAGE: Wird seitens des Regimes direkter Druck auf Sie und ihre Mitarbeiter ausgeübt?
Milinkewitsch: Unsere Machthaber haben es längst aufgegeben, mich einzuschüchtern. Offensichtlich haben sie die Nutzlosigkeit solcher Versuche eingesehen. Hin und wieder aber werden die Mitglieder meines Stabs, wie vor kurzem Sergej Kaljakin, zum Verhör in die Staatsanwaltschaft geladen. Besonders stark zu spüren ist der Druck, der gegen unsere Aktivisten in den Regionen ausgeübt wird. Für ihre demokratischen Ansichten verlieren die Menschen ihre Jobs und Studienplätze, ihre Familienmitglieder werden eingeschüchtert. Unsere unabhängigen Zeitungen brachten sogar Bilder, auf denen festgehalten wurde, wie die Menschen, die nicht für eine Kandidatur Lukaschenkos ihre Unterschriften abgeben wollten, zusammengeschlagen wurden.
FRAGE: Sie wurden im Herbst 2005 zum Kandidaten der Opposition gewählt. Doch dann tauchten weitere demokratische Kandidaten auf. Warum kann sich das demokratische Lager nicht einigen?
Milinkewitsch: Es gibt nur zwei demokratische Kandidaten: Das sind Alexander Kosulin und ich. Sergej Gajdukewitsch ist der Kandidat des Regimes. Natürlich wäre es erstrebenswert, wenn Kosulin und ich bei dieser Wahl einheitlich auftreten würden. Mein Stab und ich haben uns die beste Mühe gegeben, uns mit dem Stab von Kosulin noch vor der Kandidatenregistrierung zu verständigen, aber leider keine konstruktive Antwort erhalten.
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FRAGE: Die gegenwärtige Stabilität in Belarus ist nicht zuletzt auf billiges russisches Öl und Gas zurückzuführen. Sollten Sie an die Macht kommen, würde Ihrem Land womöglich eine ähnliche Gaskrise drohen wie der Ukraine.
Milinkewitsch: Unabhängig vom Ausgang der Wahl am 19. März werden die russischen Gaspreise für Weißrussland steigen. Russland bereitet sich auf den Beitritt zur Welthandelsorganisation vor. Was wir allerdings machen müssen, ist die Schaffung einer konkurrenzfähigen weißrussischen Wirtschaft, einer Wirtschaft, die nicht wie eine Drogensüchtige an der russischen Gas- und Ölnadel hängt, sondern die auf dem internationalen Markt konkurrenzfähige Waren anbietet. Doch so etwas ist nur in einem demokratischen Weißrussland möglich, in einem Land, das offen wäre für in- und ausländische Investitionen, für moderne Technologien und die neuen Märkte.
FRAGE: Es gibt die Meinung, in Weißrussland sei ohne Hilfe von außen kein Wandel zu erreichen. Wie sehen Sie das?
Milinkewitsch: Ich teile diese Meinung nicht. Ja, die Demokratie in unserem Land braucht Unterstützung von außen, und wir danken der internationalen Staatengemeinschaft für diese Unterstützung. Doch unsere Probleme werden wir mit unseren eigenen Kräften lösen.
FRAGE: Herr Milinkewitsch, was bedeuteten für Sie persönlich Ihre Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin und dem deutschen Außenminister im vergangenen Februar?
Milinkewitsch: Europa hat endlich verstanden: Lukaschenkos Regime ist nicht veränderbar! Der offizieller Empfang unserer Delegation in Deutschland war ein Signal der EU an das offizielle Minsk: Es gibt eine Chance, eine transparente und demokratische Wahl abzuhalten. Und es war ein Signal an die weißrussische Öffentlichkeit: Die Selbstisolation des Landes dauert schon viel zu lange. Die EU unterstützt die demokratische Bewegung in Weißrussland, sie setzt auf die Zukunft unseres Landes. Der Kreml in Moskau arbeitet dagegen nur mit der jetzigen weißrussischen Regierung zusammen und führt mit den demokratischen Kräften unseres Landes keinen Dialog.
FRAGE: Lukaschenko ist bekanntlich nicht bereit, seine Macht so einfach aufzugeben. Glauben Sie, nach der Wahl könnte es zu Gewalt kommen?
Milinkewitsch: Erst vor kurzem haben die Machthaber erklärt, sie seien zur Gewaltanwendung bereit. Ich nehme durchaus an, dass ein solcher Befehl gegeben wird, falls sich die Machthaber persönlich bedroht fühlen sollten. Doch ich bin mir nicht sicher, dass sich tatsächlich viele Eifrige finden würden, die diesen Befehl ausführen und gegen die eigenen Mitbürger zu Felde ziehen. Deshalb stellt sich die Frage anders: Nicht, ob die Macht bereit wäre, Gewalt anzuwenden, sondern ob die Anhänger des Wandels in der Lage sind, sich zu behaupten.
FRAGE: Welche Zukunft hat die weißrussische Opposition, falls Lukaschenko wieder einmal ein „eleganter Sieg“ gelingt?
Milinkewitsch: Wir haben unsere Opposition nicht nur für diese Wahl gebildet, sondern für die Demokratisierung unseres Landes. Egal, wie diese Wahl ausgehen wird, wird unsere Koalition zusammenbleiben und unsere gemeinsame Arbeit fortführen, bis wir unser Ziel endlich erreicht haben.
FRAGE: Was werden Sie persönlich im Falle einer Niederlage machen?
Milinkewitsch: Ich werde in Weißrussland, das ich mit meinem ganzen Herzen liebe, bleiben. Und ich werde meine Arbeit in der demokratischen Koalition fortsetzen. Ich wünsche mir, dass in unserem wunderbaren Land die Freiheit, die Wahrheit und die Gerechtigkeit siegen.
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