EU stützt das System Lukaschenko
Moskau (n-ost) – Bei den Wahlen am 19. März ist der Sieg des amtierenden weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko kaum gefährdet. Dies liegt nicht nur an dessen rücksichtsloser Politik gegenüber der Opposition, sondern nicht zuletzt auch am atemberaubenden weißrussischen Wirtschaftswunder. Von 2002 bis 2005 hat Weißrussland sein Bruttosozialprodukt verdoppelt. Lukaschenko schaffte damit in drei Jahren, was Wladimir Putin für Russland bis 2010 anstrebt. Zudem fiel in der gleichen Zeitspanne die Inflationsrate von rund 35 auf acht Prozent.
Wie ist das in einem innovations- und wettbewerbsschädigenden Umfeld einer staatlich gelenkten Wirtschaft möglich? Das Erfolgsgeheimnis heißt Öl und Gas – von Russland billig geliefert und an Westeuropa teuer weiterverkauft. Politik paradox: Während politisch das System Lukaschenko in Europa völlig isoliert wird, ist der Westen mit seiner Wirtschaftspolitik gleichzeitig neben Russland die größte Stütze des Regimes.
Nach Erkenntnissen des oppositionellen belarussischen Ökonomen Jaroslaw Romantschuk liefern russische Erdölfirmen – oft auch über dubiose Kanäle und am Fiskus vorbei – billiges Rohöl weit unter Weltmarktpreisen nach Weißrussland. In zwei großen Raffinerien werde dieses verarbeitet und anschließend über Offshore-Firmen mit hohem Gewinn in Westeuropa verkauft. Den fürstlichen Ertrag teilten sich Weißrussland und seine russischen Partner. Das russische Wirtschaftsministerium habe bereits wiederholt mehr Transparenz in diesem Markt gefordert, doch ohne Erfolg, sagt Romantschuk. Der Kreml gehe gegen die weissrussisch-russischen Geschäftsstrukturen, die auf diesem Gebiet abkassieren, aus unbekannten Gründen nicht vor. „Durch die hohen Erdölpreise haben wir uns in ein kleines Kuwait im Zentrum Europas verwandelt“, meint Romantschuk.
Aber nicht nur Preisunterschiede sind entscheidend: Laut einem analytischen Bericht einer unabhängigen weißrussischen Denkfabrik sei die belarussische Raffinerie in Mosyr im Gegensatz zu den russischen Raffinerien in der Lage, Öl nach ökologischen Standards der EU zu verarbeiten.
Wie der weißrussische Ökonom Leonid Saiko kürzlich im russischen Magazin „Global Affairs“ aufzeigte, hat sich die Außenhandelsstruktur von Belarus in den vergangenen Jahren radikal verändert. Früher bezog Weißrussland billige Energieträger aus Russland und lieferte dem Nachbarn im Gegenzug günstige Produkte. Doch ging 2002 noch die Hälfte des weißrussischen Exports nach Russland, ist es heute nur noch ein Drittel. Der Außenhandelsanteil der EU stieg hingegen von 28 auf rund 44 Prozent. Diese Entwicklung ist einerseits auf den Exportboom von Erdölprodukten zurückzuführen. Andererseits sehen sich die weißrussischen Produkte auf dem russischen Markt mit immer schärferer Konkurrenz konfrontiert.
Das heißt, Lukaschenkos größte Kritikerin, nämlich die EU, ist zugleich seine größte Handelspartnerin. Auch die USA haben ihre Importe 2005 aus Weißrussland um 50 Prozent gesteigert. Der Großteil der weißrussischen Exporte in die EU gehen nach England und in die Niederlanden. Die Exporte für den niederländischen Markt sind seit 2002 von 3,4 Prozent auf 14,5 Prozent angestiegen.
Das wirtschaftliche Erfolgsrezept von Alexander Lukaschenko basiert also genau wie dasjenige von Wladimir Putin auf dem steilen Anstieg der Energiepreise. Aber Lukaschenkos Wirtschaftspolitik ist eine andere. Der ehemalige Leiter einer Sowchose verteilt gerne. Die Gewinne fließen werden in die zu 80 Prozent verstaatlichte Wirtschaft investiert. Der Staat schützt die Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz, erhält unrentable Arbeitsplätze und stützt marode Betriebe. Die Realeinkommen wuchsen 2005 um 20 Prozent. Selbst unabhängigen Umfragen zufolge unterstützt rund die Hälfte der Weißrussen ihren Präsidenten.
Emigration und geringe Geburtenrate ließen die Einwohnerzahl Weißrusslands unter zehn Millionen fallen und zementierten Lukaschenkos Position weiter. „40 Prozent der Bevölkerung Weißrusslands sind Pensionäre. Es ist ihnen egal, was mit den jungen Generationen passiert“, sagt Alexander Feduta, einst Lukaschenkos Informationsberater und heute ein scharfer Kritiker.
Gegen das System Lukaschenko und seine Lobbyisten in Moskau scheint auch Putin nicht anzukommen. Mehrere Male versuchte sein enger Gefährte, Gasprom-Chef Alexej Miller, Lukaschenko und den weißrussischen Staat erfolglos dazu zu zwingen, seine Kontrolle über den weißrussischen Gaspipeline-Betreiber „Beltransgas“ aufzugeben. Ein Drittel der russischen Gaslieferungen nach Europa fließt durch Weißrussland. Wie kürzlich der Ukraine drehte Russland im Frühling 2004 Minsk den Gashahn zu. Lukaschenko ging nicht in die Knie und Weißrussland bezieht das Gas weiterhin für einen Spottpreis – 47 Dollar pro 1 000 Kubikmeter.
Nach der orange-farbenen Revolution in der Ukraine ist Weißrussland aber trotz allen Meinungsverschiedenheiten zwischen Putin und Lukaschenko der letzte Verbündete Moskaus in der Region. Eine EU-freundliche Opposition an der Macht in Minsk wäre deshalb Putins Albtraum.
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